Journalisten bezahlen Suche nach der Wahrheit mit dem Leben
Seit mehr als einem Jahr protestiert die Opposition in Syrien gegen Präsident Baschar el-Assad. Nur selten können Journalistinnen und Journalisten direkt aus dem Land berichten – Arbeitsvisa erteilt die Regierung in Damaskus nur selten und selektiv. Entsprechend unzuverlässig und oft auch interessengeleitet sind viele Informationen, die aus Syrien nach außen dringen.
Die für das Land zuständigen Korrespondenten – sie sitzen meist in Amman, Beirut, Kairo oder Istanbul – und auch die Nachrichtenredaktionen suchen sie vergebens: die absolut zuverlässige und glaubwürdige Quelle aus dem syrischen Bürgerkrieg. Das Staatsfernsehen und die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana verbreiten einseitig die Sicht der Regierung. Die Opposition kommt dort seit Beginn des Aufstands im Februar 2011 lediglich in Form von „Terroristen“ und „bewaffneten Banden“ vor.
Doch auch die syrische Opposition ist als Quelle nicht zuverlässig. Denn es gibt sie gar nicht, die einheitliche syrische Opposition. Sie hat sich vielmehr in viele Gruppierungen zersplittert und agiert zu einem großen Teil aus dem Exil. Ihre Angaben über Opferzahlen sind teilweise widersprüchlich oder zumindest oft nicht überprüfbar. Es gibt unter anderem den Nationalrat, lokale Koordinationskomitees oder auch die „Freie Syrische Armee“, in der sich Deserteure versammelt haben. Die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ mit Sitz in London wird oft zitiert, ist aber eigentlich ein Ein-Personen-Unternehmen, an dessen Zuverlässigkeit der Information durchaus Zweifel angemeldet werden können. Nicht nur ARD-Hörfunk-Korrespondent Ulrich Leidholdt vermeidet deshalb möglichst die Verbreitung von Opferzahlen. Wichtig erscheint ihm, die verwendeten Quellen möglichst detailliert zu benennen und immer wieder zu betonen, dass die Angaben nicht überprüft werden können.
Ausländische Berichterstatter versuchen sich ein eigenes Bild zu machen. Während der Kämpfe um die Aufständischen-Hochburg Homs wurden Ende Februar mehrere ausländische Berichterstatter zur Zielscheibe. Offenbar war es den syrischen Sicherheitskräften gelungen, die Mobiltelefone der westlichen Journalisten zu orten. Jedenfalls begann im Morgengrauen des 22. Februar der gezielte Beschuss eines bereits halbzerstörten Hauses, das als Medienzentrale diente. Rasch hintereinander schlugen mehrere Granaten ein und überraschten die Journalisten im Schlaf. Während einer Feuerpause traten die erfahrene US-amerikanische Kriegsreporterin Marie Colvin sowie der französische Fotograf Rémi Ochlik vor das Haus. In diesem Augenblick detonierte genau dort die nächste Granate; die beiden waren sofort tot. Drei andere Journalisten, die Franzosen William Daniels und Edith Bouvier sowie der britische Fotograf Paul Conroy wurden verletzt und konnten später das Land verlassen und die Umstände des Geschehens schildern.
Marie Colvin hatte seit mehr als zwei Jahrzehnten aus Kriegsgebieten für die britische Sunday Times berichtet, unter anderem aus Bosnien-Herzegowina, Tschetschenien und Sri Lanka. Dort hatte 2001 eine Granate ihr linkes Auge verletzt, so dass sie seitdem eine Augenklappe trug. Seit Beginn des Arabischen Frühlings berichtete sie aus Nordafrika: aus Tunesien, Ägypten, Libyen. Auch aus Syrien wollte sie präzise und vorurteilsfrei berichten, was sie dort sah. Diese Einstellung zu ihrem Beruf bezahlte sie mit ihrem Leben.
In Syrien hat es zahlreiche weitere – und weniger prominente – Opfer unter Berichterstattern gegeben. So war der einheimische Videoblogger und Bürgerjournalist Rami al-Sayyed im Homser Stadtteil Baba Amr von einer Granate getötet worden. Mit seinen über das Internet verbreiteten Videos hatte er die Gräueltaten der syrischen Militärs der Weltöffentlichkeit vor Augen geführt. „Reporter ohne Grenzen“ (ROG) haben dokumentiert, dass gerade zum Jahrestag des Beginns der Proteste Mitte März viele Internet-Aktivisten und Filmer inhaftiert wurden.
Ende März gab es weitere Todesopfer in der Nähe der syrisch-türkischen Grenze. Die freiberuflichen Filmemacher Walid Blidi und Nassim Terreri wurden am 26. März erschossen, als nach Informationen der ROG syrische Soldaten das Feuer auf sie eröffneten. Sie wollten eine Dokumentation über den Aufstand in der nordsyrischen Stadt Idlib drehen. Einen Tag vorher war bereits ihr syrischer Kollege Jawan Mohammed Qatana in Derbassiyeh getötet worden. „Man kann vielleicht die Überbringer der Botschaft töten, aber ihre Botschaft bleibt“, fasst Dahlia El-Zein vom „Komitee zum Schutz der Journalisten“ das brutale Vorgehen der Behörden zusammen.
Viele Menschen in Syrien und Syrer im Exil sind erst durch die Proteste zu Berichterstattern geworden. Etwa 130 von ihnen haben bereits eine neue Journalisten-Gewerkschaft gegründet, die Kollegen vor Ort unterstützen will. Wie notwendig das ist, schilderte die freie Journalistin Maissum Melhem der taz: „Wenn ein Journalist inhaftiert wird, hört man davon nichts. Man weiß nicht, in welchem Gefängnis er sitzt und ob er überhaupt noch am Leben ist.“