The Independent nur noch online

The Independent wird nicht mehr gedruckt – bis zu 100 Arbeitsplätze fallen weg

In London nennt man den in Russland geborenen Evgeny Lebedev den „denkenden Oligarchen“. Er gilt als ein Zeitungsverleger, der sich gern für wohltätige Zwecke in Schale wirft und ablichten lässt – nicht zuletzt auch auf den Titelseiten der sich seit 2009 in seinem Besitz befindlichen Londoner Lokalzeitung Evening Standard. Im Jahr 2010 hatte Lebedev außerdem die Tageszeitung The Independent samt Sonntagsausgabe und Webseite gekauft. Jetzt will er deren Printausgaben zu Gunsten eines ausgebauten Onlineangebotes schließen.

Der Independent on Sunday soll das letzte Mal am 20. März erscheinen. Für die Tageszeitung The Independent ist es am 26. März vorbei. Lebedev will sich ganz auf die Produktion eines ausschließlich digital erscheinenden Independent konzentrieren. Er hält sich für einen Visionär, der einen notwendigen und transformativen Schritt geht. Auf Papier gedruckte Zeitungen hält er nicht mehr für relevant. Doch für die Mitarbeiter des Independent ist Lebedev damit zu einem Jobkiller geworden. Bis zu 100 Arbeitsplätze sollen für dessen Vision geopfert werden. Pikant sind dabei zwei Dinge: Die betroffenen Journalisten erfuhren von Lebedevs Plänen quasi über Nacht aus den Medien. Und mit der Schließung der Printausgabe des Independent entledigt sich Lebedev auch der gewerkschaftlichen Organisation in seinem Unternehmen.

Nach britischem Arbeitsrecht können sich die Mitarbeiter eines Betriebes dann offen zu einer Gewerkschaft bekennen, wenn das über 50 Prozent von ihnen durch eine Urabstimmung bestätigen. Dann muss das Unternehmen eine Gewerkschaft im Betrieb anerkennen. Das ermöglicht es betrieblichen Aktivisten, offen über Lohnerhöhungen, Arbeitsbedingungen und ähnliches zu verhandeln, ohne Repressalien durch die Chefs befürchten zu müssen.

Bei der Printausgabe des Independent ist die britische Journalistengewerkschaft NUJ anerkannt. Bei der Webseite ist das nicht der Fall, da diese formal gesehen ein anderer Betrieb ist. Alle Independent-Redakteure die ihren Job behalten, sollen zur Webseite übersiedeln. Dadurch verlieren sie aber ihre gewerkschaftlichen Rechte. Kein Wunder also, dass die NUJ-Betriebsgruppe beim Independent ihrem Eigentümer in einer Stellungnahme das Misstrauen ausgesprochen hat. Die Betriebsgruppe hält fest: „Wir haben uns kontinuierlich dafür eingesetzt, dass auch unsere Kollegen bei der digitalen Ausgabe die volle gewerkschaftliche Anerkennung durch die Firma erhalten, damit niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen angegangen werden können.“ Jetzt rechnen die NUJ-Mitglieder mit Lohnsenkungen und andere Verschlechterungen für all jene, die von der Print- zur Digitalausgabe wechseln.
Die NUJ-Hauptamtliche Laura Davison hält in dieser Hinsicht die Informationspolitik des Unternehmens für katastrophal: „Informationen kommen sehr langsam oder überhaupt nicht. Die meisten Kollegen wissen nicht, wie es mit ihnen weitergeht. Gleichzeitig sollen sie auf Urlaub verzichten, um so den Übergang auf die rein digitale Ausgabe zu ermöglichen. Es herrscht Chaos.“

Mit dem Verschwinden des Independent ist nur noch der Guardian als liberale täglich erscheinende Tageszeitung übrig. Bis auf das eher sozialdemokratisch angehauchte Tabloid Daily Mirror und die kommunistische Tageszeitung Morning Star sind damit alle anderen Titel der in London erscheinenden Tagespresse politisch konservativ.
NUJ-Generalsekretärin Michelle Stanistreet sieht hier neben der „Verachtung der Unternehmer für ihre Beschäftigten“ auch ein zunehmendes Problem für die Medienpluralität in Großbritannien: „Der Fakt, dass große Tageszeitungen ohne jede Kontrolle und ohne den Versuch, ihren Erhalt zu sichern, einfach über Nacht geschlossen werden können, verdeutlicht einmal mehr den moralischen Bankrott der britischen Zeitungseigentümer. Dieses Problem muss man dringend angehen.“

Lebedev begründet die Schließung des Independent mit den gesunkenen Verkaufszahlen der vergangenen Jahre. Diese sind mindestens teilweise selbst herbeigeführt, denn 2011 brachte er mit dem „i“ eine abgespeckte und somit billigere Version des Independent mit einer Auflage von 200.000 Ausgaben auf den Markt. Dass viele Käufer lieber zur billigeren Variante griffen, verwundert da eher wenig. Das „i“ wird übrigens an die Regionalzeitungsgruppe Johnston Press verkauft. Die Konsequenzen für die bisherigen Redakteure des „i“ sind, wie so vieles in dieser Geschichte, noch unklar.

Lebedev glaubt derweil fest an die Profitabilität seines digitalen Projektes. Dafür bleiben zumindest die größten Namen des Independent, darunter die berühmten Nahost-Korrespondenten Robert Fisk und Patrick Cockburn, an Bord. Doch Lebedev bleibt die Antwort darüber schuldig, wie er eine Homepage zu Geld machen will.
Der Guardian hat wegen desselben Problems Anfang 2016 bereits ein Sparprogramm von knapp unter 54 Millionen Pfund verkündet. Laut Branchenmagazin Press Gazette sind 194 Stellen dadurch bedroht. Für die Belegschaften britischer Medienunternehmen gibt es zurzeit nur sehr wenig Licht am Horizont.

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