Wegen massiver Morddrohungen musste der kolumbianische Journalist Hollman Morris mehrfach ins Exil flüchten. Dennoch wird er im Oktober für die „Partido Progresista“ des noch amtierenden linken Bürgermeisters Gustavo Petro für einen Parlamentssitz in Bogotá kandidieren. M sprach mit Morris über seine Beweggründe.
M | Hollman Morris, Sie sind einer der bekanntesten investigativen Journalisten Kolumbiens. Sie waren Leiter des investigativen Fernsehformats „Contravia“, wurden später Direktor des öffentlichen Hauptstadtsenders „Canal Capital“. Warum wechseln Sie das Metier und gehen in die Politik?
HOLLMAN MORRIS | Wir sind derzeit in Kolumbien Zeugen eines historischen Zeitpunkts. Noch nie waren wir so nah dran, mit der Guerilla der FARC ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Da will ich meinen Teil beitragen und trotz massiver Drohungen nicht erneut das Land verlassen. Ich habe mich für die Politik entschieden und trete dort nun einer Person gegenüber, die für ein intolerantes, ein brutales, ein gewalttätiges Kolumbien steht: Álvaro Uribe Vélez.
M | Kolumbiens ehemaliger Präsident (2002-2010), Uribe Vélez, hat Sie bereits früher als Sympathisanten der FARC-Guerilla bezeichnet. Das hat Morddrohungen der Paramilitärs gegen Sie nach sich gezogen. Hat sich an dieser Situation etwas geändert?
MORRIS | Nein, denn letztlich begannen die Angriffe gegen „Canal Capital“ mit meiner Nominierung zum Direktor des Hauptstadtsenders. Es gab einen Sabotageakt am Sendemast, so dass das Signal zwischenzeitlich von den Zuschauern nicht empfangen werden konnte. Aus der Ecke des Uribismo, dem politischen Lager von Expräsident Uribe, hieß es zudem immer wieder, dass der Kanal die Guerilla und den Terrorismus repräsentiere. Gegen derartige Diffamierungen des Ex-Präsidenten und derzeitigen Senators will ich mich auf der politischen Bühne wehren. Schließlich haben die Vereinten Nationen „Canal Capital“ als eine Stimme für die Menschenrechte und ein Beispiel für einen Fernsehkanal gelobt, der sich für eine Friedenskultur engagiert.
M | Sie sind im Februar 2012 nach Bogotá zurückgekehrt, um den Hauptstadtkanal neu aufzubauen. Was hat sie dazu trotz anhaltender Morddrohungen bewogen?
MORRIS | Das Angebot von Bürgermeister Gustavo Petro, „Canal Capital“ zu leiten, bedeutete für mich so etwas wie eine Wiedergutmachung nach mehreren Jahren der Verfolgung. Schließlich gehöre ich zu den Journalisten, Gewerkschaftern, Menschenrechtsaktivisten und Richtern, die vom Geheimdienst (DAS) ausspioniert und kriminalisiert wurden. Für die demokratisch legitimierte Stadtverwaltung zu arbeiten, war auch ein Stück Genugtuung nach vielen Jahren, in denen ich vom ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez angefeindet und immer wieder als Sympathisant der Guerilla dargestellt wurde.
M | Hatten sie freie Hand bei der Neuausrichtung des Fernsehkanals?
MORRIS | Ja, ich erhielt die Option einen öffentlichen Fernsehkanal neu aufzustellen, zu zeigen, dass man Fernsehen auch anders machen kann. Heute ist „Canal Capital“, der viertwichtigste Fernsehkanal im Land, ein Kanal, der Diskussionen anschiebt, der Themen anders aufbereitet als bisher, der kritisch ist und für eine Kultur des Friedens steht. Mit den Erfolgen nahmen die Angriffe des Uribismo dann wieder zu. Senator Uribe Vélez erklärte im Oktober 2014 öffentlich, dass „Canal Capital“ ein Alliierter des Terrorismus sei. Derartige Aussagen haben handfeste Folgen für die Mitarbeiter des Senders, denn sie geraten in den Fokus der Paramilitärs und deren Nachfolgeorganisationen. Es sind Mitarbeiter auf offener Straße von Anhängern des Präsidenten beschimpft worden. Auch ich habe erneut massive Drohungen erhalten. Von den Águilas Negras, einer der paramilitärischen Gruppen, aber auch in den sozialen Netzen gab es Appelle, Hollman Morris zu töten.
M | In der Theorie haben die Medien eine Kontrollfunktion für Exekutive, Legislative und Judikative – wie sieht es in der kolumbianischen Praxis aus?
MORRIS | In Kolumbien sind die großen Medienunternehmen in den Händen der reichsten Familien des Landes. Da entsteht schnell der Eindruck, dass die Medien die Interessen ihrer Besitzer vertreten und nicht einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen. Aus meiner Perspektive brauchen wir mehr Regulierung im Mediensektor: wir brauchen Vielfalt und mehr öffentliche Medien.
M | Welche Funktion haben die Medien im Friedensprozess?
MORRIS | Sie sollten für Versöhnung, für die Erinnerung, für die Vergangenheitsarbeit eintreten. Das hat bisher vor allem das öffentliche Fernsehen getan. Die privaten Kanäle haben hier Nachholbedarf.
M | Fehlt es nicht auch an investigativen Journalisten?
MORRIS | Ja, aber ich denke schon die Sendung „Contravia“ hat auch eine neue Generation von Journalisten inspiriert, die ähnlich arbeiten und sich engagieren. Aber genauso wie im Journalismus eine neue Generation notwendig ist, ist es auch in der Politik wichtig, neue Gesichter, neue Strategien und neue Ideen zu präsentierten. Wir brauchen eine neue linke Politik und die will ich mitaufbauen.
Gespräch: Knut Henkel