Wir müssen mehr Druck auf die türkische Regierung gegen die Unterdrückung der Meinungsfreiheit ausüben. Darin waren sich die Teilnehmer der „1. Internationalen Konferenz zur Pressefreiheit und gegen Zensur in der Türkei und international“ einig. Auf dem Kongress beim Europa-Parlament gingen Redner hart mit der Türkei ins Gericht, sahen aber auch Versäumnisse bei der EU.
In Brüssel gaben Vertreter des Europa-Parlaments, von kurdischen Medien und Organisationen wie die Europäische Journalisten-Föderation ein düsteres Bild der Lage in dem Staat am Südostrand Europas. Angeprangert wurden Inhaftierung von Journalisten, Schließen von Fernsehsendern, Zeitungen und Nachrichtenagenturen und Folter in der Türkei. Besonders gravierend sei der „lange Arm Ankaras“ bis Paris, um kurdische Fernsehsender in Europa mundtot zu machen. Die Europa-Parlamentarier Mark Demesmaeker (Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer) und Josef Weidenholzer (Sozialdemokrat) forderten, die milliardenschweren Hilfen Europas und die Zollunion als Druckmittel zu nutzen.
Kolumne für inhaftierte Kolleg_innen
Die Konferenz im Europa-Parlament auf Einladung der Gruppe Sozialisten/Demokraten bot einen guten Überblick über die Lage der Medien unter dem AKP-Regime. So verwies Delil Agbaba vom Kurdischen National-Kongress auf weit verbreitete Zensur. Nachrichten zum Genozid an Kurden, Armeniern und Aleviten dürften nicht in social media geteilt werden. Auf Facebook stehen die syrisch-kurdischen Streitkräfte YPG und YPJ auf einer schwarzen Liste. Der türkische Staat setze schweres Militärgerät zur Befriedung der eigenen Bevölkerung im Südosten des Landes ein. Die Bilanz seit dem Putschversuch im Juli 2016: 234 Journalisten wurden festgenommen, 22 Medienschaffende verurteilt,149 Medien seien geschlossen worden. Insgesamt seien 110000 Menschen festgenommen worden, 54600 wurde inhaftiert und 8270 Akademiker entlassen, so Agbaba.
Den Lagebericht vertiefte Füsun Erdogan mit Anmerkungen zu den acht Jahren Haft, die sie absaß, weil sie einen Radiosender betrieben hat. Dabei hat sie Informationen verbreitet, die von anderen Medien in der Türkei ohne Beanstandung veröffentlicht wurden. „Es kommt darauf an, wer etwas sagt, nicht so sehr, was du sagst.“ In der Haft war es wichtig, Briefe von Unterstützern zu erhalten, das zeigte ihr, dass sie nicht allein ist.
Der Anwalt Erik Mootet vertritt den Sender Newroz TV mit Sitz in Schweden. Er berichtete über den Kampf mit dem Satellitenbetreiber Eutelsat, nachdem das in Paris ansässige Unternehmen den kurdischen Sender auf Verlangen der Türkei abgeschaltet hat. Vor Gericht zeigte sich, dass aus Ankara nur ein Brief mit dem Vorwurf an Eutelsat gegangen war, dass Newroz TV die PKK unterstütze, die auf der Terror-Liste der EU stehe. „Sie legten keine Beweise vor,“ das sei gegen das Gesetz, so Mootet. Das juristische Tauziehen geht weiter, obwohl das französische Gericht den Satellitenbetreiber zum Aufschalten verurteilt hat.
Caroline Stockford von PEN Wales berichtete über die Prozessbeobachtung mehrerer Menschenrechtsgruppen. Das sei gerade in der Provinz wichtig. Erst neulich erfuhr man so bei einem Verfahren in Hakkari, dass neun von elf Zeugen gefoltert wurden. Sie regte an, inhaftierten Kolleg_innen eine monatliche Kolumne in der eigenen Zeitung einzuräumen.
„Kranker Staat“
Konsequenzen für das türkische Regime forderte EU-Abgeordneter Mark Demesmaeker. Er nannte die Türkei einen „kranken Staat“. Die EU habe versagt, in der Türkei die eigenen Standards einzufordern. Dabei habe die EU Druckmittel, das Land sei schließlich größter Empfänger der Heranführungshilfen mit 4,5 Milliarden Euro für die Periode 2014 bis 2020. Allein 1,2 Milliarden seien für Demokratieförderung eingeplant. Der frühere Journalist aus Flandern betonte, im EU-Parlament wachse das Bewusstsein über dieses Versagen Europas. „Die Pressefreiheit ist ein Eckpfeiler der Demokratie.“ Ähnlich argumentierte sein Parlamentskollege Josef Weidenholzer, „Demokratie ist in Gefahr, wenn Journalisten unterdrückt werden“. Er unterstütze inhaftierte Journalisten, „manchmal hilft das“. Im Gespräch mit dem ver.di-Vertreter schränkte er ein, dass die EU noch vor einem halben Jahr mehr Einfluss in der Türkei hatte. Zur Zeit könne man nur moralischen Druck ausüben und den Menschen in der Türkei zeigen, dass man an ihrer Seite sei. Doch bei der Überprüfung der Heranführungshilfen habe man demnächst ebenso Einflussmöglichkeiten wie bei der Zollunion.