Türkei: Neue Eskalationsstufe

Für die Freilassung der Journalistin formierte sich Protest. Foto: Freundeskreis Freiheit für Mesale Tolu

Die deutsche Journalistin Mesale Tolu wird bis zum Beginn ihres Prozesses am 11. Oktober in Untersuchungshaft bleiben, wie Reporter ohne Grenzen (ROG) unter Berufung auf eine Anwältin Tolus mitteilte. Insgesamt sitzen in der Türkei derzeit rund 170 Journalist_innen im Gefängnis. Der Autorenverband PEN hat unterdessen einen Spendenaufruf für den von der Auslieferung an die Türkei bedrohten Schriftsteller Doğan Akhanlı gestartet.

Die Entscheidung eines Istanbuler Richters, Tolu und ihren zweijährigen Sohn nicht freizulassen, wurde nach Angaben von ROG damit begründet, dass Fluchtgefahr bestehe. Vor dem Prozessbeginn im Oktober ist allerdings noch ein weiterer Haftprüfungstermin angesetzt. ROG-Geschäftsführer Christian Mihr forderte die Türkei auf, „Mesale Tolus unwürdige politische Geiselhaft endlich zu beenden“ und sieht auch die Bundesregierung in der Pflicht, „dies mit allem politischen und wirtschaftlichen Nachdruck einzufordern.

Tolu, die als Journalistin und Übersetzerin für die regierungskritische Nachrichtenagentur Etkin News Agency (ETHA) und den Radiosender Özgür Radyo gearbeitet hatte, wurde am 30. April in Istanbul festgenommen und sitzt seit dem 05. Mai im Frauengefängnis Bakirköy in Haft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr laut Anklageschrift, die ROG vorliegt, Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation und Terror-Propaganda vor. Demnach drohen ihr bis zu 15 Jahre Haft, die laut Tolus Anwältin Kader Tonc gemäß den geltenden Anti-Terror-Gesetzen um weitere fünf Jahre verlängert werden könnten.

Wie der Solidaritätskreis „Freiheit für Mesale Tolu“ am Dienstag mitteilte, sei für Freitag, den 25. August eine Solidaritätskundgebung in Ulm geplant. An der Veranstaltung teilnehmen wird nach einem Besuch der Familie Tolus auch die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Die Linke). Außerdem wurde auch im Namen Tolus darum gebeten, weiterhin Briefe an die Journalistin sowie an ihren ebenfalls inhaftierten Ehemann Suat Corlu zu schreiben. Die Briefe und Postkarten könnten auch auf Deutsch verfasst sein.


Meşale Tolus und Suat Corlus Postadressen:

Meşale Tolu-Çorlu
Bakırköy Kapalı Kadın Hapishanesi
Bakırköy-İstanbul

Suat Çorlu
Silivri 6 Nolu L tipi Hapishanesi
F3 Alt
Silivri- Istanbul
Türkei


170 Journalistinnen und und Journalisten in Haft

Nach Angaben von ROG sitzen in der Türkei derzeit insgesamt 170 Journalist_innen im Gefängnis, darunter auch mehrere Mitarbeiter der unabhängigen Tageszeitung Cumhuriyet. Gegen 17 von ihnen soll am 11. September in Istanbul der Prozess wegen angeblicher Verbindungen zu verschiedenen „terroristischen Gruppen“ fortgesetzt werden. Noch immer keine Anklageschrift und keinen Prozesstermin gibt es hingegen für den am 14. Februar in der Türkei festgenommenen Welt-Korrespondenten Deniz Yücel.

Neue Eskalationsstufe

Allgemeines Entsetzen hatte am vergangenen Samstag die Nachricht ausgelöst, dass der deutsche Staatsbürger und Schriftsteller Dogan Akhanli auf Ersuchen der Türkei in seinem Urlaubsort in Spanien festgenommen worden war. Akhanli war am Montag zwar unter der Auflage, Spanien nicht verlassen zu dürfen und sich wöchentlich bei der Madrider Polizei zu melden, zunächst auf freien Fuß gesetzt worden, doch das Auslieferungsgesuch der Türkei steht weiterhin im Raum. Der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke forderte die Bundesregierung auf, „alles zu tun, um Dogan Akhanlis Entlassung in Spanien zu erwirken“. Er dürfe auf keinen Fall an die Türkei ausgeliefert werden. „Diese Aktion ist eine erneute Eskalation seitens der Türkei und offensichtlich rein politisch motiviert. Die Freiheit von Presse und Kunst werden mit dieser Verhaftung auf EU-Territorium aufs Gröbste missachtet. Das darf sich nicht durchsetzen. Erdogans Einfluss darf niemals so weit reichen, dass ihm missliebige Stimmen mittlerweile selbst außerhalb seines Landes – auch solche in der EU und von Staatsbürgern anderer Länder – mundtot gemacht werden“, warnte Werneke.

Der Autorenverband PEN hat unterdessen zu einer Spendenaktion zu Gunsten von Akhanli aufgerufen, die auch vom Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) in ver.di unterstützt wird. Damit sollten die Kosten für den Zwangsaufenthalt des Ehepaars Akhanli, der zunächst einmal bis zu 40 Tage dauern könne, sowie die Kosten für seinen deutschen und seinen spanischen Anwalt getragen werden. Dabei handele es sich laut PEN um Kosten, die die finanziellen Möglichkeiten der Familie übersteigen.


Spenden können unter dem Stichwort: »Dogan Akhanlı« an das PEN-Zentrum Deutschland e.V. gerichtet werden. Die Bankverbindung dafür lautet:
Volksbank Darmstadt-Südhessen eG
IBAN: DE22 5089 0000 0058 9207 11
BIC: GENODEF1VBD


Wie ROG berichtet, sitzt in Spanien derzeit ebenfalls auf Betreiben der Türkei der türkisch-schwedische Journalist Hamza Yalcin in Untersuchungshaft. Er wurde am 03. August während seines Urlaubs aufgrund eines Interpol-Fahndungsaufrufes festgenommen. Vorgeworfen werden ihm laut ROG Beleidigung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sowie „terroristische Beziehungen“ zur verbotenen linksextremen Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKP-C).

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »