Türkei: Bewegung im Fall Mesale Tolu

Für die Freilassung der Journalistin formierte sich Protest. Foto: Freundeskreis Freiheit für Mesale Tolu

Die Ende April in Istanbul verhaftete Journalistin Mesale Tolu soll am morgigen Freitag im Gefängnis erstmals Besuch aus dem deutschen Konsulat erhalten. Wie das Auswärtige Amt auf M-Anfrage bestätigte, hat das türkische Außenministerium diesem Haftbesuchstermin jetzt zugestimmt. Völkerrechtlich ist die Bundesregierung für die Betreuung der 32-Jährigen zuständig.

Anders als Welt-Reporter Deniz Yücel hat Mesale Tolu, die in Istanbul für die türkische Nachrichtenagentur Etha tätig war, nur die deutsche Staatsbürgerschaft. Anfang der Woche verlautete aus dem Außenministerium, dass auf „Drängen“ der deutschen Seite nun eine mündliche Erlaubnis der türkischen Behörden erreicht sei.

Mesale Tolu lebt seit 2014 mit ihrem bereits Wochen zuvor ebenfalls inhaftierten Mann in der Türkei. Zunächst war sie für den Radiosender Özgür Radyo tätig. Nach dessen Schließung per Erdogan-Dekret arbeitete sie als Übersetzerin und Journalistin für die Nachrichtenagentur Etha.

Die Mutter eines zweieinhalbjährigen Sohnes war in den frühen Morgenstunden des 30. April in ihrer Wohnung verhaftet worden, blieb eine Woche in Polizeigewahrsam und sitzt seit dem 6. Mai im Frauengefängnis im Istanbuler Stadtteil Bakirköy. Bisher durften Angehörige sie zweimal besuchen. Zeitungen erhalte sie nicht. Was ihr genau vorgeworfen wird, wissen nach Medienberichten bisher weder Tolu selbst noch ihr Anwalt, da keine Einsicht in die Ermittlungsakte gewährt wird. Offenbar werde sie der Terrorpropaganda bezichtigt oder beschuldigt, Mitglied einer Terrororganisation zu sein.

ver.di forderte umgehend die Freilassung von Mesale Tolu. Auch Reporter ohne Grenzen setzt sich für sie ein. „Die Inhaftierung von Mesale Tolu zeigt, dass auch Journalisten mit türkischem Migrationshintergrund, die nur einen deutschen Pass besitzen, nicht mehr sicher vor der schamlosen Verfolgung durch Recep Tayyip Erdogan sind“, erklärte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Solidaritätskundgebung im Mai in Ulm.
Foto: Freundeskreis

In verschiedenen deutschen Städten fanden mittlerweile Solidaritätsaktionen und Kundgebungen für Mesale Tolu und andere in der Türkei inhaftierte Journalist_innen statt. Besonders aktiv ist die Protestbewegung in Ulm, wo Tolu gelebt und Abitur gemacht hat, so solidarisierte sich auch das Anna-Esslinger-Gymnasium mit seiner Absolventin. In Istanbul organisieren Journalist_innen der Nachrichtenagentur Etha bereits die zweite Solidaritätskundgebung für ihre Kollegin.

In Deutschland hat sich ein Solidaritätskreis gebildet, der Aktionen koordiniert. Er hat für den 2. Juni erneut Infostände und Kundgebungen in Köln und Ulm angekündigt. Darüber hinaus bitten die Aktivisten, Mesale Tolu Briefe ins Gefängnis zu schreiben – da sie der Kontrolle unterliegen, möglichst auf Türkisch. „Aber auch deutsche Post dürfte den Druck auf Behörden und Justiz erhöhen“, heißt es vonseiten der Unterstützer.

Nachtrag am 6. Juni 2017:

Der Besuch von Vertretern des Deutschen Konsulats am 2. Juni hat stattgefunden. Am gleichen Tag veröffentlichte die türkische Agentur Etha einen Brief von Mesale Tolu aus dem Gefängnis, in dem sie ihre Situation erklärt und schreibt: „Ich bin eine von 159 in der Türkei inhaftierten JournalistInnen. Aufgrund von unrechtmäßigen Behauptungen und Anschuldigungen befinde ich mich mit meinem zweijährigen Sohn im Gefängnis. Wenn mein Sohn alt genug ist, diese Situation zu verstehen, werde ich ihm erklären, dass wir unserer Freiheit beraubt wurden, weil wir die Freiheit verteidigt haben.“


Briefe können geschickt werden an:

Mesale Tolu-Corlu,
Bakirköy Kapah Kadin Hapishanesi
Bakirköy-Istanbul
Türkei

Aktuell wurde auch eine Unterschriftenkampagne initiiert. Zur Petition

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

N-Ost: Alles ist europäisch

Vor fast 20 Jahren wurde N-Ost als Korrespondentennetzwerk für Berichterstattung und Expertise über Osteuropa gegründet. Mittlerweile versteht sich N-Ost als Medien-NGO, die sich für die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen einsetzt. Zum Netzwerk, das seinen Sitz in Berlin hat, gehören nach eigenen Angaben mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Berichterstattung aus der Ukraine.
mehr »

Das Internet als Nachrichtenquelle

„Das Internet stellt erstmals die wichtigste Nachrichtenquelle der erwachsenen Online-Bevölkerung in Deutschland dar“. So der aktuelle Reuters Institute Digital News Report 2024.  Er liefert interessante Befunde für die journalistische Arbeit – etwa zu Nachrichtenvermeidung, Medienvertrauen und Erwartungen an Nachrichtengestaltung in Zeiten zunehmender Internetnutzung.
mehr »

Fußball-EM: Zu Gast bei Freunden?

Vier Wochen vor EM-Start überraschte der Deutsche Fussballbund (DFB) mit einer originellen Kaderpräsentation. Anstelle einer drögen Pressekonferenz setzte man auf eine teils witzige Salami-Taktik: Mal durfte ein TV-Sender einen Namen verkünden, dann wieder druckte eine Bäckerei den Namen Chris Führich auf ihre Tüten. Das Bespielen sozialer Netzwerke wie X oder Instagram dagegen funktionierte nicht optimal – da hat der Verband noch Nachholbedarf.
mehr »