Türkei: … und Berlin schweigt

Nahezu täglich seit dem fehlgeschlagenen Putsch in der Türkei erreichen uns besorgniserregende Meldungen vom Umgang mit den Medien. So ließ der Minister für Jugend und Sport, Akif Cagatay Kilic, nach einem Interview des Journalisten Michel Friedman für die Deutsche Welle das komplette Filmmaterial konfiszieren und verhinderte die Ausstrahlung. Der Journalistin Dilek Dündar, Ehefrau des verurteilten früheren Chefredakteurs von Cumhuriyet, Can Dündar, wurde die Ausreise verweigert und der Pass entzogen. Die kurdische Zeitung Özgür Gündem wurde gerichtlich verboten, sie ist angeblich ein Sprachrohr der verbotenen PKK. Die Reaktion aus Europa auf all das ist Schweigen.

Harald Gesterkamp arbeitet als Journalist bevorzugt zu den Themen Pressefreiheit und Menschenrechte. Er ist Redakteur beim Deutschlandfunk und hat kürzlich mit „Humboldtstraße zwei“ seinen ersten Roman veröffentlicht. Foto: Kava-Design/Irmtraud Hofmann
Harald Gesterkamp arbeitet als Journalist bevorzugt zu den Themen Pressefreiheit und Menschenrechte. Er ist Redakteur beim Deutschlandfunk und hat kürzlich mit „Humboldtstraße zwei“ seinen ersten Roman veröffentlicht.
Foto: Kava-Design/Irmgard Hofmann

Dabei gehen Präsident Recep Tayyip Erdogan und die türkischen Behörden seit dem Putschversuch Mitte Juli konsequent gegen Andersdenkende vor. Zehntausende Festnahmen dokumentieren das genauso wie die Schließung von mehr als 45 Radio- und Fernsehstationen und diverser Zeitungs- und Buchverlage. Gegen etwa 90 Journalisten wurde Haftbefehl erlassen, einige Kolleginnen und Kollegen sind bereits im Gefängnis. Das Nothilfe-Referat von Reporter ohne Grenzen hat so viel zu tun wie schon lange nicht mehr, Amnesty International veröffentlicht eine „Urgent Action” nach der anderen. Gleichzeitig fordern die türkischen Machthaber Verständnis dafür, dass man gegen die Putschisten und ihre Hintermänner vorgehe. Doch selbst wenn man dieser Argumentation folgt, zeigt die aktuelle Repressionswelle, dass eben nicht nur gegen die islamische Sekte von Fethullah Gülen vorgegangen wird, die Ankara für den Umsturzversuch verantwortlich macht. Die linken und kurdischen Medien stehen nicht im Verdacht, mit Gülen zu sympathisieren – im Gegenteil, doch trifft es sie ebenfalls mit voller Härte.

Die Bundesregierung reagiert auf die Entwicklung nicht einmal halbherzig. Sie hebt die Bedeutung der Pressefreiheit ganz allgemein hervor, betont die Notwendigkeit der Demokratie. Die kaum vernehmbare Kritik und das Fehlen eines kompromisslosen Beharrens auf der Pressefreiheit ist besonders verabscheuenswürdig, wenn man sich vor Augen führt, dass man in Berlin nicht müde wird zu betonen, dass die Menschenrechte und die berühmten westlichen Werte als Leitbild der Außenpolitik gelten sollen. Nichts davon ist im Moment im Umgang mit der Türkei zu sehen, die Freiheit des Wortes bedeutet Berlin damit faktisch auch nicht viel mehr als Ankara.

Die Bundesregierung will Verwerfungen mit der Türkei um jeden Preis vermeiden. Denn wegen des Flüchtlingspaktes hat man sich der Türkei völlig ausgeliefert. Und wenn Außenpolitik nur noch der Flüchtlingsabwehr und nicht mehr den Menschenrechten dient, dann ist es ganz folgerichtig, dass die Regierung die Armenien-Resolution des Bundestages abschwächt, um die Türkei nicht zu verärgern. Mit aller Macht wird versucht, den brüchigen Flüchtlingspakt zu retten. Die jüngsten Wahlerfolge der AfD werden diesen Trend noch bestärken.

Nicht nur die Schutzsuchenden bleiben dabei auf der Strecke. Auch für inhaftierte Journalist_innen in der Türkei und die Pressefreiheit am Bosporus ist da aus Berliner Logik schlicht kein Platz mehr. Das nennt man dann wohl Realpolitik.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Halbzeit bei der UEFA Frauen-EM

UEFA-Women’s Euro 2025 heißt das Turnier nach dem Willen des Europäischen Fußballverbands. Bei den Männern wird auf die geschlechtsspezifische Eingrenzung verzichtet. Möglichweise ein Relikt aus den Zeiten, als das Kicken selbstverständlich eine maskuline Sportart war, vermeintlich ungeeignet für die „zarte Weiblichkeit“. 
mehr »

Ist das der neue Meinungspluralismus?

Es sind nur zwei Fälle. Aber sie haben es in sich, wenn sie für eine Entwicklung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stehen, die ein politisch bedenkliches Signal sendet. Eine Correctiv-Recherche beleuchtete Anfang Juli die Hintergründe, die nach vier Jahren zur Einstellung eines Klimapodcasts führten. Und eine Ende Juni veröffentlichte taz-Recherche fühlt den Umständen einer Reportage der Focus-online-Kolumnistin Julia Ruhs auf den Zahn, die der NDR ausstrahlte.
mehr »

Dokumentarfilme: Näher an der Wahrheit

Das bekannte Archiv–Storytelling in Dokumentationen befindet sich im Wandel. Und das ist auch notwendig: Weg von stereotypen Erzählmustern, hin zu ganzheitlichen Betrachtungen. Bislang unbekanntes Archivmaterial  spielt darin eine wesentliche Rolle. Beispiele dafür gab es  auf der Sunny Side of the Doc im französischen La Rochelle zu sehen, wo die internationale Doku-Branche zusammenkam.
mehr »

Türkei: Regierung schaltet TV-Sender ab

In der Türkei ist einer der populärsten regierungskritischen TV-Sender für zehn Tage abgeschaltet worden. Gegen Sözcü TV sei eine Strafe wegen wiederholten „Verstößen gegen Sendevorschriften“ verhängt worden, schrieb der Chef der Rundfunkbehörde (Rtük), Ebubekir Sahin, auf der Plattform X. Der Sender kritisiert das Vorgehen als Zensur.
mehr »