Nahezu täglich seit dem fehlgeschlagenen Putsch in der Türkei erreichen uns besorgniserregende Meldungen vom Umgang mit den Medien. So ließ der Minister für Jugend und Sport, Akif Cagatay Kilic, nach einem Interview des Journalisten Michel Friedman für die Deutsche Welle das komplette Filmmaterial konfiszieren und verhinderte die Ausstrahlung. Der Journalistin Dilek Dündar, Ehefrau des verurteilten früheren Chefredakteurs von Cumhuriyet, Can Dündar, wurde die Ausreise verweigert und der Pass entzogen. Die kurdische Zeitung Özgür Gündem wurde gerichtlich verboten, sie ist angeblich ein Sprachrohr der verbotenen PKK. Die Reaktion aus Europa auf all das ist Schweigen.
Dabei gehen Präsident Recep Tayyip Erdogan und die türkischen Behörden seit dem Putschversuch Mitte Juli konsequent gegen Andersdenkende vor. Zehntausende Festnahmen dokumentieren das genauso wie die Schließung von mehr als 45 Radio- und Fernsehstationen und diverser Zeitungs- und Buchverlage. Gegen etwa 90 Journalisten wurde Haftbefehl erlassen, einige Kolleginnen und Kollegen sind bereits im Gefängnis. Das Nothilfe-Referat von Reporter ohne Grenzen hat so viel zu tun wie schon lange nicht mehr, Amnesty International veröffentlicht eine „Urgent Action” nach der anderen. Gleichzeitig fordern die türkischen Machthaber Verständnis dafür, dass man gegen die Putschisten und ihre Hintermänner vorgehe. Doch selbst wenn man dieser Argumentation folgt, zeigt die aktuelle Repressionswelle, dass eben nicht nur gegen die islamische Sekte von Fethullah Gülen vorgegangen wird, die Ankara für den Umsturzversuch verantwortlich macht. Die linken und kurdischen Medien stehen nicht im Verdacht, mit Gülen zu sympathisieren – im Gegenteil, doch trifft es sie ebenfalls mit voller Härte.
Die Bundesregierung reagiert auf die Entwicklung nicht einmal halbherzig. Sie hebt die Bedeutung der Pressefreiheit ganz allgemein hervor, betont die Notwendigkeit der Demokratie. Die kaum vernehmbare Kritik und das Fehlen eines kompromisslosen Beharrens auf der Pressefreiheit ist besonders verabscheuenswürdig, wenn man sich vor Augen führt, dass man in Berlin nicht müde wird zu betonen, dass die Menschenrechte und die berühmten westlichen Werte als Leitbild der Außenpolitik gelten sollen. Nichts davon ist im Moment im Umgang mit der Türkei zu sehen, die Freiheit des Wortes bedeutet Berlin damit faktisch auch nicht viel mehr als Ankara.
Die Bundesregierung will Verwerfungen mit der Türkei um jeden Preis vermeiden. Denn wegen des Flüchtlingspaktes hat man sich der Türkei völlig ausgeliefert. Und wenn Außenpolitik nur noch der Flüchtlingsabwehr und nicht mehr den Menschenrechten dient, dann ist es ganz folgerichtig, dass die Regierung die Armenien-Resolution des Bundestages abschwächt, um die Türkei nicht zu verärgern. Mit aller Macht wird versucht, den brüchigen Flüchtlingspakt zu retten. Die jüngsten Wahlerfolge der AfD werden diesen Trend noch bestärken.
Nicht nur die Schutzsuchenden bleiben dabei auf der Strecke. Auch für inhaftierte Journalist_innen in der Türkei und die Pressefreiheit am Bosporus ist da aus Berliner Logik schlicht kein Platz mehr. Das nennt man dann wohl Realpolitik.