Hrant Dink ist ein Symbol für Pressefreiheit in der Türkei. Die Ermordung des armenisch-stämmigen Journalisten vor gut fünf Jahren in Istanbul beschäftigt bis heute die Gerichte und erhitzt die Gemüter. Mitte Januar hat ein Gericht einen zweiten Mann wegen des Mordes zu einer hohen Haftstrafe verurteilt; ein anderer mutmaßlicher Tathelfer wurde freigesprochen. Für besonderes Aufsehen sorgte aber die Aussage des Gerichts, hinter dem Mord habe keine Organisation und erst recht keine terroristische Vereinigung gestanden.
Doch fast niemand, der sich mit der Tat näher befasst hat, glaubt, dass der – schon vor einiger Zeit zu 22 Jahren Gefängnis verurteilte – minderjährige Schütze und der bereits mehrfach straffällig gewordene jetzt verurteilte Helfer den Mord allein planten und umsetzten. Von wem sie gesteuert wurden, soll auch nach dem Urteil im Dunkeln bleiben.
Die Theorie der Einzeltäter führte dazu, dass seit Beginn der juristischen Aufarbeitung des Falls von insgesamt 19 Angeklagten nur einer wegen Anstiftung verurteilt wurde. Damit zeigt die türkische Justiz, dass sie nicht gewillt ist, die wahren Hintergründe des nationalistischen Mordes aufzuklären. Die Anwältinnen der Dink-Angehörigen haben von Beginn an vermutet, dass die Polizei wichtiges Beweismaterial zurückhält. So seien Verbindungsprotokolle der Telekommunikationsbehörden nicht überprüft worden, obwohl die beiden Beschuldigten am Tag des Mordes und aus der Nähe des Tatorts fünf Telefonnummern angerufen hätten. Etlichen Indizien, die auf Hintermänner im rechtsradikalen Milieu sowie im Polizei- und Geheimdienstapparat hinwiesen, wurde nicht nachgegangen. Der Fall erinnert an das Schicksal der russischen Journalistin Anna Politkowskaja, deren Ermordung auch nur sehr lückenhaft und nach öffentlichem und internationalem Druck sowie unter Ausblendung der Drahtzieher untersucht wurde.
Dass der Dink-Prozess in Istanbul von Anfang an darauf ausgelegt ist, lediglich die direkten Tatbeteiligten zu überführen, staatliche Stellen aber zu decken, wird der gesellschaftlichen Bedeutung des Dink-Mordes, der im Jahr 2007 hunderttausende Demonstranten auf die Straßen Istanbuls gebracht hatte, nicht gerecht. Noch hat die türkische Justiz die Möglichkeit, in der Berufungsverhandlung vor dem Obersten Gericht zu zeigen, dass sie Gerechtigkeit für Hrant Dink schaffen kann. Zu Optimismus gibt es derzeit jedoch wenig Anlass, denn die Repressionen gegen unliebsame Journalisten in der Türkei nehmen in jüngster Zeit wieder zu. Und auch der Diensteifer weiter Teile der Justiz richtet sich eher auf die Verfolgung als auf die Verteidigung von Journalisten. Die große Zahl laufender Verfahren gegen Medienvertreter sowie die Inhaftierung von – je nach Quelle – bis zu 70 Journalisten macht deutlich, dass das türkische Rechtssystem weit davon entfernt ist, Vorkämpfer für die Pressefreiheit zu sein.