Ungesühnt

Dieser Prozess war von Anfang an eine Farce. Die Ermittler, die den Auftrag hatten, den Mord an der russischen Journalistin Anna Politkowskaja aufzuklären, haben erbärmlich gearbeitet und mehr verschleiert als Licht in die Sache gebracht. Beweismittel gingen verloren, nach anderen wurde gar nicht erst gesucht.

Schließlich wurden Menschen angeklagt, die bestenfalls Randfiguren bei dem Auftragsmord vom Oktober 2006 waren. Keiner von ihnen hat geschossen oder den Mord an der Kreml-kritischen Journalistin in Auftrag gegeben. Nun sind die vier Männer freigesprochen worden – aus Mangel an Beweisen. Ein Sieg des Rechtsstaats?
Davon kann man nach diesem Prozess nun wirklich nicht sprechen, auch wenn die Geschworenen Respekt verdienen. Erst haben sie dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeit – anders als vom Militärgericht gewünscht – nicht ausgeschlossen wurde. Dann haben sie verhindert, dass Sündenböcke verurteilt wurden und damit den Alibi-Charakter des Prozesses entlarvt. Denn der mutmaßliche Schütze konnte nach einer Indiskretion des Geheimdienstes vor seiner Ergreifung aus Russland fliehen. Der Auftraggeber des politischen Mordes konnte oder sollte erst gar nicht gefunden werden. Einigen Spuren, die in Richtung Kreml wiesen, ging die Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht engagiert nach.
Von daher kann der Prozess wahrlich kein Sieg des Rechtsstaats sein. Zudem können in zweiter Instanz die gleichen Verdächtigen – zwei Tschetschenen, ein Polizist und ein früherer Geheimdienstmitarbeiter – doch noch verurteilt werden. Das Ziel der russischen Behörden, endlich Ruhe vor den internationalen Nachfragen zu bekommen, könnte so noch erfüllt werden.
Journalistenorganisationen sind deshalb zu Recht hellhörig. Sie verlangen nach dem Freispruch von Moskau eine vollständige Aufklärung des Mordes.
Die Politik hingegen hat beim Pochen auf Menschenrechte durchaus Nachholbedarf: Man denke nur an den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der in Wladimir Putin einen „lupenreinen Demokraten“ sah. Diese lupenreine Demokratie und ihre Justiz wollen allerdings den Fall Anna Politkowskaja offensichtlich nicht aufklären. Jetzt noch die Hintermänner zu ermitteln oder gar vor Gericht zu stellen, wird unendlich schwierig. Wie sicher sich Mörder in Russland vor Strafverfolgung fühlen, wenn ihre Opfer Kreml-Kritiker sind, zeigte kürzlich eine weitere Bluttat: Der Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und die Journalistin Anastasija Baburowa wurden am 19. Januar erschossen – am helllichten Tag und mitten auf einer belebten Straße im Zentrum Moskaus.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Urheberrecht: ChatGPT-Urteil ist Anfang

Ein Präzedenzfall ist das Urteil im Rechtsstreit zwischen der Verwertungsgesellschaft Gema und dem KI-Unternehmen OpenAI vom 11. November 2025 sicherlich. Aber abgesehen von einem zu erwartenden längeren Instanzenweg stellt sich auch die Frage, wie sich die gesamte Kreativwirtschaft gegen die ungefragt Nutzung von geistigem Eigentum wehren kann.
mehr »

Italien: Protest gegen Entlassung von EU-Korrespondent

Der italienische Journalist Gabriele Nunziati, Brüsseler Korrespondent der Nachrichtenagentur Agenzia Nova, hatte der Sprecherin der Europäischen Kommission, Paula Pinho, eine Frage zur Verantwortung Israels für den Wiederaufbau des Gazastreifens gestellt. Daraufhin beendete seine Agentur das Arbeitsverhältnis mit ihm.
mehr »

Ver.di fordert Big-Tech-Regulierung

Durch die problematische Verquickung von politischer, medialer und ökonomischer Macht sind die dominierenden Online-Plattformen längst nicht mehr neutrale Mittler diverser Inhalte, sondern werden selbst zum kuratierenden Medium. Der Raum für Machtmissbrauch in Form politischer Einflussnahme oder Desinformation ist immens. Um die Resilienz unserer Demokratie vor einer autoritären Übernahme zu stärken, besteht akuter Handlungsbedarf.
mehr »

Nachrichtenkonsum fördert die Demokratie

Immer mehr Menschen konsumieren selten oder gar keine Nachrichten oder nehmen diese nur noch indirekt über soziale Medien wahr. Eine Schweizer Studie kommt nun zu dem Schluss, dass die Nachrichtennutzung direkt mit dem Wissen über aktuelle Geschehnisse zusammenhängt. Jene, die selten oder kaum journalistische Medien konsumieren, wissen deutlich weniger über politische und gesellschaftliche Themen. Das wirkt sich demokratische Prozesse aus.
mehr »