Unter Spionageverdacht

Deutsche Filmemacher vom nigerianischen Geheimdienst festgenommen

Eine gut vorbereitete Recherchereise führte die Filmemacher Florian Opitz und Andy Lehmann in die Hände des nigerianischen Geheimdienstes. Sechs Wochen wurden sie in Nigeria festgehalten und der Spionage beschuldigt. Mit Unterstützung ihrer Produktionsfirma 2pilots, von ver.di, des WDR und des Auswärtigen Amtes gelang es schließlich die beiden freizubekommen und nach Hause zu holen.

Der 34jährige Kölner Regisseur und Autor Florian Opitz und der 33jährige Berliner Kameramann Andy Lehmann wollten Ölinteressen im Nigerdelta dokumentieren. „Nigeria ist der sechstgrößte Erdölexporteur, die Bevölkerung zählt zu den ärmsten der Welt. Es herrscht große Unkenntnis über die Region.“ Da die Ränke militanter Gruppen und krimineller Banden schwer durchschaubar und Entführungen an der Tagesordnung sind, wollten Opitz und Lehmann erst prüfen, ob ihr Projekt machbar ist. Ein Prinzip der Dokumentarfilmer: „Wir kommentieren nicht, wir lassen ausschließlich Protagonisten und Bilder vor Ort sprechen.“ Sie fanden mit der kleinen Produktionsfirma 2pilots einen interessierten Partner, führten Vorabsprachen mit dem WDR, ARTE und dem Bayerischen Rundfunk. Mit einer Vorbereitungsförderung der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen stand einer Recherchereise nach Nigeria nichts mehr im Wege. Die Heinrich-Böll-Stiftung lud offiziell dazu ein. „Wir wollten vor Ort Kontakte knüpfen mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die dort tätig sind, mit Institutionen und Journalisten, die dort arbeiten. Außerdem wollten wir unser Equipment testen, Fotos machen und möglicherweise schon Material für einen Filmtrailer mitbringen“, beschreibt Florian Opitz den Zweck der Reise, die am 8. September begann und zwei Wochen dauern sollte.
Alles lief planmäßig, bis zum 20. September. „Wir werden verfolgt“, bemerkte der Fahrer des Wagens, der sie von einer Interviewtour mit sogenannten „Youthleadern“ aus einer Landgemeinde in die Stadt Warri zurückbrachte. Wenige Minuten vor der Ankunft im Gebäude der Organisation AAPW, bei der die Filmemacher Gastrecht erhielten und logistische Hilfe in Anspruch nahmen, wurden sie gestoppt und mit dem Chauffeur und einem Mitarbeiter der NGO in ein nahegelegenes Geheimdienstbüro gebracht. Was anfänglich wie ein schnell aufklärbares Missverständnis oder der Versuch aussah, Schmiergeld zu erpressen, entwickelte sich zum mehrwöchigen Albtraum. Die Geheimdienstler behielten die Videokassette und die Fotokarte von Andy Lehmann ein. Doch der Vorwurf, die Journalisten hätten eine verrostete alte Pipeline neben einer Straße oder ein Firmenschild vor einer Raffinerie fotografiert, rückte bald in den Hintergrund. „Es ging nie um Bilder oder irgendetwas Recherchiertes. Wir hatten immer mehr das Gefühl, man zielte weniger auf uns als auf die AAPW. Die Organisation ist seit 20 Jahren dort tätig und vermittelt offiziell in den Konflikten.“ Die deutschen Journalisten, ließ sich vermuten, galten lediglich als Faustpfand. Doch sie saßen in der Falle.

Hilfreiches Zusammenspiel

Fast sechs Wochen wurden Florian Opitz und Andy Lehmann festgehalten, und in das regionale Hauptquartier des nationalen Geheimdienstes SSS gebracht, immer wieder verhört und hingehalten. Nachdem sie anfänglich noch die Notnummer der Deutschen Botschaft kontaktieren konnten, wurde ihnen später alle Habe genommen, sogar die Uhren. Erst am 2. Oktober, als nigerianische Zeitungen bereits verkündeten, dass die beiden Deutschen ausreisen dürften, wurde ihnen abends eine Anklageschrift mit sieben Punkten vorgelegt. Zwei betrafen die NGO, fünf, die gravierendsten, sie selbst: illegale Einreise, Visabetrug, Bedrohung der nationalen Sicherheit, Spionage und konspirative Zusammenarbeit mit NGOs. Die zu erwartende Höchststrafe: 14 Jahre Haft. Die Dokumentaristen waren wider Willen selbst zu Protagonisten eines Schattenspiels geworden. „Not guilty“ erklärten sie nach zweistündigem Stehen in einer Anklagebank bei einer Anhörung dem Gericht.
Diplomatische Kanäle arbeiteten. Das Auswärtige Amt wurde eingeschaltet. Mit einer Verbalnote verbürgte sich die Botschaft für die beiden Deutschen, die dann das „Guest House“ des Geheimdienstes verlassen und im Botschaftsgebäude Quartier nehmen, das Land aber nicht verlassen durften. Eine hochrangige deutsche Wirtschaftsdelegation, die im Oktober nach Nigeria reiste, wurde bis zum Präsidenten vorstellig. Verwandte zu Hause koordinierten Hilfe. Das war auch nötig, als ein einheimischer Anwalt eingeschaltet wurde. Das vereinbarte, nicht unübliche Pauschalhonorar: 60.000 Euro. Die Produktionsfirma 2pilots machte sich für ihre freien Mitarbeiter stark und fragte auch bei der Gewerkschaft an. Ein spezieller Beschluss des Bundesvorstandes sicherte den beiden ver.di-Mitgliedern eine Sonderunterstützung von 20.000 Euro zu. „Das lief sehr unbürokratisch und ist natürlich weit mehr, als sonst in Rechtsschutzfällen üblich“, freut sich Inez Kühn, die Leiterin des Bundesfachbereichs Medien, Kunst und Industrie. Über den ver.di-Senderverband wurde zudem der WDR ins Boot geholt, der – obwohl vertraglich nicht verpflichtet – 10.000 Euro für die Anwaltskosten beisteuert.
Das Zusammenspiel aller diplomatischen, juristischen und politischen Mittel erreichte schließlich, dass Opitz und Lehmann am 30. Oktober ausreisen konnten. Bis dahin waren weder das Gerichtsverfahren niedergelegt noch das behauptete sensible Beweismaterial gegen die beiden Filmemacher und die NGO zur Einsicht freigegeben. „Wir werden wohl nicht so schnell wieder nach Nigeria reisen“, erklären beide, erleichtert über das glimpfliche Ende einer Recherchereise.

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