Der US-Wahlkampf kommt in die heiße Phase. Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt beobachtet seit mehr als einem Jahrzehnt das politische System der USA. In ihren neuen Buch beschreibt sie, wie historische Entwicklungen und Machtkämpfe die republikanische Partei geprägt und radikalisiert haben. Mit M spricht Brockschmidt über die Kommunikationsstrategien der extremen Rechten in den USA und die Wahlberichterstattung.
Wir reden augenblicklich viel über den US-Wahlkampf, aber in Ihrem Buch „Die Brandstifter“ wird deutlich: Das Problem ist nicht allein Donald Trump.
Für unseren regulären Nachrichtenzyklus ist es schwierig, die Radikalisierung der amerikanischen Rechten in der Tiefe zu durchdringen. Das ist auch ein Formatproblem, aber es ist auffällig, dass erst seit dem Sturm auf das Kapitol die Probleme jenseits von Trump durchgängiger beleuchtet werden. Das ist kein reines Problem der deutschen Medienberichterstattung, es ist auch in den USA so, dass erst jetzt zunehmend Expert*innen, Journalist*innen, Historiker*innen, Politikwissenschaftler*innen zu Wort kommen, die sich intensiv mit der Geschichte der amerikanischen Rechten und der Rolle von Bewegungen beschäftigen, die man lange als randständig angesehen hat.
Warum ist das nicht früher passiert?
Letzten Endes ist man, glaube ich, der Marketingstrategie auf den Leim gegangen, die den US-Konservatismus salonfähig machen sollte. Nach der krachenden Niederlage von Barry Goldwater als Präsidentschaftskandidat 1964 lautete der Tenor quer durch sämtliche Medien: Konservatismus, diese neue rechte Bewegung, hat keine Zukunft. Aufgrund der ideologischen Verbindungen zu extremen Figuren stand der US-Konservatismus in der politischen Schmuddelecke. William F. Buckley, der die konservative Zeitschrift „National Review“ gründete, war überzeugt: Wir müssen ändern, wie wir kommunizieren. Daher inszenierte er sich als Türsteher des salonfähigen Konservatismus und war damit erfolgreich. Lange hielt sich der Mythos, er habe die extremen Stimmen aus der Bewegung verbannt. Dabei agierte er viel häufiger als eine Art Übersetzer.
Der zweite Faktor ist eine medieninterne Dynamik. Rechte Politiker*innen und Strateg*innen verstehen sehr geschickt, den Gegenwind, den sie aufgrund extremer Positionen bekommen, als sogenannte „liberal bias“ zu framen – als irgendwie links geartete Voreingenommenheit aufseiten etablierter Medien. Das ist einer der Gründe für die Entstehung von Fox News als Sprachrohr für Republikaner und die amerikanische Rechte insgesamt. Den Vorwurf der Voreingenommenheit gab es aber schon viel früher, z.B. unter Reagan. Medien internalisieren ihn und wir beobachten eine Art vorauseilendes Selbstchecking.
Beim TV-Duell der Vizekandidat*innnen verwies J.D. Vance auf die Vereinbarung, keinen Fact Check zu betreiben. Faktenüberprüfung ist die Kernaufgabe des Journalismus. Wie gehen wir damit um?
Kaitlan Collins moderierte im Mai 2023 für CNN ein Townhall Meeting mit Trump, also One-on-One mit Fragen aus dem
Publikum. Dort versuchte sie, gegen den Schwall von Unwahrheiten von Trump anzukommen. Aber selbst mit Fact Checking, selbst mit Vorbereitung, selbst mit einem Knopf im Ohr zur Regie ist das aufgrund der Menge von Lügen eigentlich nicht machbar. Trump redete einfach weiter, während Collins noch versuchte, die vorvorletzte Lüge zu widerlegen. Das ist genau das, worauf Steve Bannons Medienstrategie „Flood the zone with shit“ abzielt, eine Beschäftigungsstrategie. Und das ist eine Taktik, die die Rechte mittlerweile allgemein übernommen hat. Das wirkt dann so, als hätte man dem nichts entgegenzusetzen. Und das ist dann der Moment, wo Journalismus an seine Grenzen kommt.
J.D. Vance hatte zuletzt nicht nur diesen vielfach zitierten Moment beim TV Duell – „Margaret, wir haben uns doch darauf geeinigt, dass es keinen Fact Check geben wird“. Mitte September fragte ihn Dana Bash in einem CNN-Interview, ob er zugeben würde, gelogen zu haben, dass haitianische Migrant*innen Hund und Katzen schlachten und essen würden. Daraufhin antwortete Vance, er müsse nun mal Geschichten erfinden, damit die amerikanischen Medien über ein reales Problem sprechen würden. Das offenbart ein zutiefst völkisches Verständnis von Wahrheit und davon, wie man mit Medien umgeht. Nämlich, dass es die inhärente Wahrheit gäbe, dass das amerikanische Volk von Migrant*innen bedroht sei. Und um diese inhärente Wahrheit zu kommunizieren, müsse Vance eben lügen. Ob es ungeschickt ist das laut zu sagen, oder ob er sich keine Mühe mehr gibt, seine Strategie zu verbergen, weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber es ist schon bemerkenswert.
Sie beschäftigen sich jetzt schon lang mit diesem Thema. Wie können Kolleg*innen die nötige Tiefe für die Berichterstattung aufbringen?
Die US-Korrespondent*innen haben wahnsinnig viel zu tun. Sie müssen alles abdecken, von Personal Interest Geschichten bis zu den Besonderheiten bestimmter Regularien im Senat. Das verlangt von den einzelnen Personen, was sie eigentlich gar nicht leisten können. Deswegen widerstrebt es mir, einzelne Kolleg*innen zu kritisieren, weil es ein strukturelles Problem ist. Wie so oft in Redaktionen gilt, man ist unterbesetzt, es gibt Zeitdruck, es gibt Druck bestimmte Mengen an Texten zu produzieren, möglichst schnell auf das aktuelle Geschehen zu reagieren, und gleichzeitig eine Breite von Themen abzudecken, die man menschlich, rein von der Kapazität her, gar nicht tiefschürfend durchdringen kann.
Sie warnten schon früh, dass Roe vs. Wade – also die bundesweite Regelung für Abtreibungen – fallen könnte. Nun ist es so gekommen.
Das Kippen von Roe war lange Nummer 1 der christlichen-nationalistischen Wunschliste. Und die Supreme Court Richter*innen Brett Kavanaugh, Amy Coney Barrett, Neil Gorsuch wurden von der Federalist Society vorgeschlagen, die gegründet wurde, um einen Talentpool an ideologisch gefestigten, reaktionären Jurist*innen aufzubauen. Trump bekam 2016 das Vertrauen von Abtreibungsgegner*innen, weil er ihnen eine Kandidat*innenliste der Federalist Society vorlegte. Das war also keine Überraschung. Auf dem damaligen Twitter wurde ich als „hysterisch“ bezeichnet, weil ich das Recht auf Abtreibung in Gefahr sah. Etwa zwei Jahre bevor das Dobbs-Urteil Roe aufhob, warf mir ein Kollege vor, es sei „trumpistisch“ zu behaupten, dass der Supreme Court von einer rechtsextremen Mehrheit gekapert worden sei. Da hat man einfach lange nicht hingeguckt. Man wollte einfach nicht wahrhaben, was unmöglich schien. Und zugegeben, vieles klingt erstmal absurd.
Im Frühjahr schlug ich der taz einen Text vor und einen kurzen Moment dachte ich: Wenn ich meine Email lesen würde ohne mich mit US-Politik auszukennen, würde ich stutzen. Aber das liegt daran, dass die Realität so absurd ist: Republikaner*innen, beziehungsweise ihre Verbündeten, wollen kein neues Gesetz für ein landesweites Abtreibungsverbot verabschieden, sondern stattdessen ein seit mehr als 50 Jahren nicht mehr angewandtes Gesetz aktivieren, das aus dem 19. Jahrhundert stammt und eigentlich ein Anti-Obszönitätsgesetz ist. Im Juli hörte ich dann auf der Konferenz der National Conservatives live, dass sie mit diesem „Comstock Act“ nicht nur den Versand von Abtreibungspillen verbieten wollen, sondern dazu den von medizinischen Geräten, die man für Abtreibungen braucht. Das klingt absurd, heißt aber leider nicht, dass es nicht real ist. Und weil es so abstrus und extrem klingt, haben viele Redaktion lange mit Unglauben reagiert. Ich war also sehr froh, dass ich diesen Text für die taz schreiben konnte.