USA und EU behindern „Fair Use“ in Südafrika

Präsident Cyril Ramaphosa – hier nach seiner Registrierung als ANC-Parlamentsmitglied nach den Wahlen im Mai 2019 vor der Presse – macht verfassungsrechtliche Bedenken zur Urheberrechtsnovelle geltend. Foto: Reuters/ Sumaya Hisham

Um den Zugang zu Bildung und Informationen gerechter zu gestalten, wollte sich Südafrika ein neues Urheberrecht geben. Nach jahrelangen Konsultationen verabschiedete das Parlament in Kapstadt die Gesetzesnovelle schließlich im März 2019. „Ein exzellentes Gesetz“, urteilten zivilgesellschaftliche Organisationen. Allein: In Kraft ist die Novelle noch immer nicht – was maßgeblich daran liegt, dass die USA und die EU Südafrika Daumenschrauben angelegt haben.

Das derzeit gültige Urheberrecht in Südafrika stammt aus dem Jahr 1978. In Pretoria herrschte damals das Apartheid-Regime, Wahlrecht gab es nur für Weiße und auch der Zugang zu Bildung war für schwarze Menschen stark eingeschränkt. Wie viele andere Gesetze auch, blieb das Urheberrecht auch nach dem Übergang zur Demokratie in seiner bestehenden Form in Kraft. Erst 2006 begann Südafrikas Regierung, die seit den ersten freien Wahlen 1994 von der ehemaligen Befreiungsbewegung African National Congress (ANC) gestellt wird, an einer Reform zu arbeiten. Sieben Jahre später veröffentlichte das Handels- und Industrieministerium dann den Entwurf einer Richtlinie zum geistigen Eigentum, in der es den Nutzen strikter, international geltender Urheberrechtsabkommen in Frage stellte. Die „unvermeidlichen Auswirkungen stärkerer Schutz- und Durchsetzungsmaßnahmen nach dem TRIPS-Abkommen“, so heißt es in dem Papier, „führen zu verringertem Zugang zu wissensbezogenen Produkten in Entwicklungsländern, weshalb arme Menschen schädigenden Konsequenzen ausgesetzt sind“.

Mehr Teilhabe sichern

Als Mitgliedsstaat der Welthandelsorganisation ist Südafrika zwar an das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) gebunden, kann aber seinen nationalen Spielraum für Reformen nutzen. Das Ministerium setzte bei der Ausarbeitung des neuen Gesetzesentwurfs vor allem auf „Fair Use“-Klauseln nach US-amerikanischem Vorbild. Anders als das bisherige Recht, das seinen Ursprung in Regelungen der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien hat, setzt „Fair Use“ bei Ausnahmen vom Urheberrechtsschutz nicht auf exakt definierte Fälle, sondern auf eine flexible Handhabung. Erreicht werden sollte dadurch ein universeller Zugang zu Lehrmitteln und Studienangeboten sowie eine stärkere Teilhabe für blinde Menschen. Die Gesetzesnovelle gebe „Hoffnung auf eine fairere, gerechtere und gleichberechtigtere Zukunft für alle Südafrikaner“, erklärte eine Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen, Akademiker und Sozialaktivisten Anfang Oktober dieses Jahres in einem Brief an das Parlament und mehrere Ministerien.

In dem Schreiben drängen die Befürworter der Urheberrechtsreform auf deren schnellstmögliche Umsetzung, um bestehende Benachteiligungen aufzuheben. Doch danach sieht momentan wenig aus. Nachdem er die Gesetzesnovelle zunächst über ein Jahr lang hatte verstauben lassen, verweigerte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa schließlich seine Unterschrift und verwies sie im Juni ans Parlament zurück. Offiziell berief der Staats- und Regierungschef sich auf „verfassungsrechtliche Bedenken“. Seine Begründung – vordergründig ging es darum, inwiefern die Provinzen, Südafrikas Äquivalent zu Bundesländern, von den Änderungen betroffen wären – wirkte jedoch konstruiert. Dabei ist die eigentliche Ursache des Rückziehers längst ein offenes Geheimnis: Ausgerechnet die Regierung der USA, deren Gesetzgebung den Südafrikanern als Vorbild diente, will die Urheberrechtsreform in dem Schwellenland verhindern.

Rechteverwerter machen Druck

Das Vorgehen der Weltmacht war dabei so feinsinnig und elegant, wie man es von der Trump-Administration erwarten durfte: Dass der präferentielle Zugang für südafrikanische Waren in den US-amerikanischen Markt erneut auf den Prüfstand gestellt werden würde, verkündete der dem Präsidialbüro unterstellte Handelsbeauftragte der Vereinigten Staaten Ende 2019. Dem war eine entsprechende Petition der einflussreichen International Intellectual Property Alliance, des Interessenverbandes der großen Rechteverwerter der Unterhaltungsbranche, vorausgegangen. Betroffen sind davon südafrikanische Exporte im Wert von ungefähr 2 Milliarden US-Dollar, was den umgehend vorgeladenen südafrikanischen Diplomaten womöglich bereits bewusst war. Mit demselben „Argument“ hatten die USA nämlich bereits 2015 – damals residierte im Weißen Haus noch ein international geschätzter Friedensnobelpreisträger – den Zugang für ihre hochsubventionierten Geflügelprodukte auf den südafrikanischen Markt erzwungen und damit den weitgehenden Zusammenbruch der dortigen Hühnermastbranche verursacht. Mit den von der Welthandelsorganisation definierten Spielregeln hat dieses Vorgehen zwar wenig gemein, dafür aber umso mehr mit dem Recht des Stärkeren, dessen Wirkung nun einmal mehr deutlich wird. Die EU-Kommission, ebenfalls angestiftet von den Rechteinhabern, agierte zwar etwas diplomatisch-dezenter, doch in der Sache ähnlich, und setzte Südafrikas Regierung mit mehreren Schreiben ebenfalls unter Druck.

Formal hat Südafrikas Parlament nun drei Möglichkeiten: Es kann das Gesetz gänzlich zurückziehen und durch einen neuen Entwurf ersetzen, es kann den Gesetzestext – möglicherweise nach weiteren öffentlichen Beteiligungsverfahren – überarbeiten oder es kann die Lex dem Präsidenten in unveränderter Form erneut vorlegen. Ramaphosa hätte in letzterem Fall die Möglichkeit, das Verfassungsgericht anzurufen, um die Vereinbarkeit der Gesetzesnovelle mit der Konstitution prüfen zu lassen. Der Ausgang ist offen, der Zugang zu Bildung bleibt dagegen bis zur Verabschiedung einer Neuregelung vielen verschlossen

 

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Gemeinsame Standards für Medienfreiheit

In Brüssel wird der European Media Freedom Act (EMFA) bereits als "Beginn einer neuen Ära" zelebriert. Ziel der Verordnung ist es, die Unabhängigkeit und Vielfalt journalistischer Medien in der EU in vielfacher Hinsicht zu stärken. Doch wie er von den Mitgliedsstaaten  - vor allem dort, wo etwa die Pressefreiheit gefährdet ist wie Ungarn und der Slowakei - umgesetzt wird, zeigt sich erst im kommenden Sommer.
mehr »

Lokaljournalismus: Die Wüste droht

Noch sei es nicht so weit, aber von einer "Steppe" könne man durchaus schon sprechen, sagt Christian Wellbrock von der Hamburg Media School. Wellbrock ist Leiter von "Wüstenradar", einer Studie, die zum ersten Mal die bundesweite Verbreitung und zahlenmäßige Entwicklung von Lokalzeitungen in den letzten 30 Jahren unter die Lupe genommen hat. Sie erhebt, wie stark der Rückgang lokaler Medien inzwischen tatsächlich ist und warnt: In etlichen Regionen droht tatsächlich die Verbreitung von "Nachrichtenwüsten".
mehr »

Eine Stimme für afghanische Mädchen

Die iranische Filmemacherin Sarvnaz Alambeigi begleitet in ihrem Dokumentarfilm „Maydegol“ über viele Jahre eine junge Muay-Thai-Boxerin aus Afghanistan, die im Iran unter schwierigen Umständen für ein selbstbestimmtes Leben kämpft. Im Interview erzählt Alambeigi, welche Rolle das Kopftuch für den Film spielt, was sie von der jungen Generation gelernt hat und warum der Film endet, bevor Maydegol endlich gelingt, was sie sich wünscht.
mehr »

Nicaraguas bedrohte Medien

Die Diktatur des nicaraguanischen Präsidentenpaars Daniel Ortega und Rocio Murillo hat in den letzten Jahren immer mehr Journalist*innen ins Exil getrieben. Unter erschwerten Bedingungen berichten Menschen wie Lucía Pineda vom Nachrichtenkanal "100% Noticias" oder Wendy Quintero nun aus dem Ausland. Für diese Arbeit nehmen sie stellvertretend für viele andere am 26. November 2024 den Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung entgegen.
mehr »