Von Schweden lernen, heißt Offenheit lernen

Europäisches Gericht gibt schwedischen Journalisten Recht

Der schwedische Journalistenverband konnte im Kampf um europäische Transparenz einen Erfolg verbuchen. Wenn die EU aus Gründen der „öffentlichen Sicherheit“ bestimmte Dokumente nicht herausgeben wolle, dann müsse sie dies wenigstens ordentlich begründen, so das Europäische Gericht erster Instanz (EuG) in Luxemburg in einer Entscheidung von Ende Juni (Az: T 174/95).

Geklagt hatte der schwedische Journalistenverband, nachdem er die EU-Transparenz einem trickreichen Test unterzogen hatte. Zwei Journalisten gaben vor, einen Artikel über die europäische Polizeibehörde Europol schreiben zu wollen. Als Grundlage für die Recherche forderten sie sowohl bei schwedischen Behörden als auch beim EU-Ministerrat exakt zwanzig Dokumente an. Von ihren Heimatbehörden bekamen sie immerhin Zugang zu 18 Schriftstücken, wenn auch teilweise geschwärzt. Auf EU-Ebene war das Verhältnis genau andersherum, freigegeben wurden nur zwei Dokumente, achtzehn weitere blieben vertraulich. Auf den Protest der Schweden gab die EU zwar noch bei zwei Dokumenten nach, doch das Mißverhältnis blieb.

Das EuG erklärte nun, die Verweigerungshaltung des Rates für „nichtig“, denn der Rat hatte auch nicht ansatzweise begründet, worin die Gefahr für die öffentliche Sicherheit überhaupt bestehe. Gegen das Urteil ist Berufung zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) möglich. Probleme mit der Transparenz zeigte allerdings auch das Europäische Gericht erster Instanz. Es bürdete dem schwedischen Journalistenverband ein Drittel der Gerichtskosten auf, weil er es gewagt hatte, die Akten des Gerichtsverfahrens im Internet zu dokumentieren und dabei zu Protestbriefen an den Rat aufforderte. Nach Ansicht des EuG sei das ein „Verfahrensmißbrauch“. Während in Schweden die Öffentlichkeit von Staatsdokumenten Verfassungsrang hat, scheint die Transparenz der EU immer noch eine eher prekäre Sache zu sein.

Lange Zeit war völlig unklar, nach welchen Kriterien Studien, Entwürfe von Rechtsakten oder Protokolle von EU-Ratssitzungen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. 1993 verabschiedeten dann sowohl der Ministerrat als auch die Kommission einen Verhaltenskodex, der grundsätzliche Transparenz der Dokumente vorsieht. Eingeschränkt wird der Anspruch jedoch durch zahlreiche Ausnahmebestimmungen (z.B. Schutz der öffentlichen Sicherheit, Schutz von Geschäftsgeheimnissen). Wie weit diese Ausnahmen tatsächlich reichen, wird Schritt für Schritt von den europäischen Gerichten in Luxemburg geklärt.

So erstritt Ende 1995 der Europa-Korrespondent des britischen Guardian, John Carvel, in einem Pilotverfahren Zugang zu Ratsprotokollen über das Thema Kinderarbeit. Der Rat hatte Carvels Anfragen zu schematisch abgelehnt, befand der EuGH. Im Sommer 1997 kam es zu einem ähnlichen Verfahren gegen die Kommission. Dem Worldwide Found for Nature (WWF) wurden Informationen über die EU-Co-Finanzierung einer Baumaßnahme in einem irischen Nationalpark verweigert. Auch hier kritisierte der EuGH die mangelhafte Begründung der Aktenverweigerung.

Besonders gering ist die Transparenz im Bereich des Europäischen Asyl-, Ausländer- und Polizeirechts. Um Licht ins Dunkel zu bringen wurde im letzten September das European Monitoring & Documentation Centre (SEMDOC) gegründet. Der Organisator Tony Bunyan ist Herausgeber des englischen Info-Dienstes „Statewatch“ (Kontakt Tel. 0044/1818021882; Internet http://www.poptel.org.uk/ statewatch) und streitet schon seit Jahren mit den EU-Gremien um jedes einzelne Dokument aus diesem sensiblen Bereich.

Die erste Transparenz-Klage aus Deutschland hatte im letzten Sommer der Freiburger Journalist Achim Berge, Redakteur des Magazins „Forum Recht“, eingelegt. Von der Kommission hatte er zahlreiche Dokumente über die Genehmigungspraxis bei gentechnisch verändertem Saatgut erbeten. Auf die Anfrage von Berge reagierte die Kommission zuerst überhaupt nicht. Erst als der Journalist, unterstützt von der Bürgerrechtsorganisation „Humanistische Union“, in Luxemburg Untätigkeitsklage erhob, reagierte die EU-Behörde. Prompt erhielt Berge alles was er haben wollte – und nahm daraufhin die Klage zurück. „Aufgrund des Verhaltens der Kommission ist es gerechtfertigt, daß diese die gesamten Kosten des Verfahrens trägt“, entschied abschließend das europäische Gericht erster Instanz. Dieses Verfahren zeigt: Bei bloßer Untätigkeit der Kommission ist eine Klage also ohne Kostenrisiko. Etwas Dickköpfigkeit gehört allerdings schon dazu, denn für die ursprünglich geplante Recherche kommen die Dokumente dann in der Regel zu spät.

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