Wer will, kann über alles schreiben

Shahzad Raza über die relative Pressefreiheit in Pakistan

Pakistan ist geprägt von einer langen Militärherrschaft. Die Rechte von Frauen werden missachtet, Folter und politische Haft sind üblich. Da mag es überraschen, dass die Journalisten im Land relativ frei arbeiten können. Offene Repressionen sind selten, Kritik an der Regierung wird von den Behörden geduldet. Ein Gespräch mit Shahzad Raza von der in Islamabad erscheinenden Tageszeitung „Daily Times“.

«M»: Was würden Sie sagen: Gibt es in Pakistan Pressefreiheit?

Shahzad Raza: In Pakistan gab es historisch gesehen nie eine wirklich freie Presse. Seit der Unabhängigkeit 1947 haben die zivilen und militärischen Machthaber immer versucht, die Medien zu kontrollieren und zwar mit allen Mitteln. Es gibt zahllose Beispiele von schrecklichen Übergriffen gegen Journalisten. Manche haben dabei sogar ihr Leben verloren. Viele Kollegen haben Pakistan deshalb verlassen. Beispiele gibt es sogar aus der jüngsten Zeit: Unter dem Druck des amtierenden Präsidenten Musharraf ist der ehemalige Herausgeber der englischsprachigen Zeitung „The News“ Shaheen Sehbai, im März 2002 in die USA übergesiedelt. Er gibt jetzt dort die online-Zeitung „South Asia Tribune“ heraus.

«M»: Trotzdem werden in den pakistanischen Medien kontroverse Diskussionen geführt. Journalisten betonen, dass gesellschaftliche Verantwortung ein wichtiger Teil ihres Selbstverständnisses ist.

Shahzad Raza: Journalisten haben in den Zeiten der Militärherrschaft – und das waren über 30 Jahre – eine ganz wichtige Rolle gespielt. Es ist nicht einfach gegen eine Militärdiktatur zu schreiben, aber viele haben sich nicht gebeugt, sondern die demokratischen Kräfte unterstützt.

«M»: Können heute unabhängige Journalisten über alles schreiben oder gibt es Tabuthemen?

Shahzad Raza: Wer will, kann über alles schreiben. Man kann auch ganz offen über die Rolle des Militärs im heutigen Pakistan berichten und das Thema auch kritisch kommentieren. Aber es gibt sensible Themen, bei denen man weiterhin vorsichtig sein muss etwa die Landesverteidigung oder die Rolle der Geheimdienste.

«M»: Und wie ist das mit der ,Anti-Terror- Koalition‘ und der Rolle Pakistans beim Kampf gegen den Terror?

Shahzad Raza: Es gibt gerade hierzu in den Medien offene und sehr kritische Diskussionen.

«M»: Müssen Journalisten mit Repressionen rechnen, wenn sie die Regierung kritisieren?

Shahzad Raza: Nein, eigentlich nicht. Die Palette der Medien reicht vom liberalen und modernen Qualitätsblatt bis hin zum konservativ-islamistischen Sprachrohr. Viele Zeitungen kritisieren den Regierungskurs, andere stehen den Machthabern nahe.

«M»: Werden die Medien denn staatlich kontrolliert?

Shahzad Raza: Die Zeitungen nicht. Der Staat besitzt aber mit APP eine eigene Nachrichtenagentur. Und die Fernseh- und Radiosender sind staatlicher Kontrolle unterworfen. Natürlich verbreiten sie die Meinung der Regierung und berichten einseitig über Andersdenkende. Aber inzwischen hat die Regierung auch private Kanäle zugelassen. Und diese nehmen kein Blatt vor den Mund. Da gibt es oft gut recherchierte Geschichten. Es werden Skandale aufgedeckt oder bissige Satiren gesendet.

«M»: Woher beziehen die Menschen mehrheitlich ihre Informationen?

Shahzad Raza: 80 Prozent der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben. Die wichtigste Informationsquelle sind deshalb Radio und Fernsehen. Eine Minderheit liest auch Zeitung, aber das sind dafür sehr regelmäßige und besonders interessierte Leser. Insgesamt ist die Lage wie in vielen Ländern der Dritten Welt: In den Städten gibt es Medien- und Meinungsvielfalt sowie Zugang zum Internet, auf dem Land verfügen die Menschen über viel weniger Informationen.

«M»: Im Zusammenhang mit dem Kaschmir-Konflikt kursiert gelegentlich das Schlagwort vom ,Friedensjournalismus‘. Was ist darunter konkret zu verstehen?

Shahzad Raza: Die Berichterstattung über den Kaschmir-Konflikt ist oft selektiv. Fundamentalistische Politiker und ihnen nahestehende Medien heizen durch Einseitigkeit die Stimmung auf. Wir sollten uns aber bewusst auf die Fakten konzentrieren und versuchen, einer Eskalation entgegen zu wirken. Ein Beispiel: Es wäre nicht richtig, Morde zu verschweigen, aber oft ist es dabei nicht relevant, ob ein Toter Hindu oder Moslem war. Wenn man die Religionszugehörigkeit nicht erwähnt, kann man vielleicht aggressive Stimmungen und Rachehandlungen verhindern.

Das Gespräch führte: Harald Gesterkamp

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

US-Wahlkampf: Absurd, aber sehr real

Der US-Wahlkampf kommt in die heiße Phase. Journalistin und Historikerin Annika Brockschmidt beobachtet seit mehr als einem Jahrzehnt das politische System der USA. In ihren neuen Buch beschreibt sie, wie historische Entwicklungen und Machtkämpfe die republikanische Partei geprägt und radikalisiert haben. Mit M spricht Brockschmidt über die Kommunikationsstrategien der extremen Rechten in den USA und die Wahlberichterstattung.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Nachrichten gegen Desinformation

Über 800 Medien wie Reuters, die Washington Post, Zeit Online und AFP unterstützten den diesjährigen World News Day, der zeitgleich mit dem UN-Tag für den universellen Zugang zu Information, am 28. September gefeiert wird.  „Journalismus ist das Sicherheitsnetz unserer Gesellschaft, sagte David Walmsley, Gründer des Weltnachrichtentages und Chefredakteur der kanadischen Zeitung Globe and Mail. Dieses Sicherheitsnetz hat Risse und hängt fast überall in der Welt am seidenen Faden - und mit ihm alle freien Gesellschaften.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »