Wie weit reicht Brüssels Arm?

Die Medien nehmen in der EU eine Sonderstellung ein und unter­liegen den Gesetzen des grenzenlosen Binnenmarktes nur eingeschränkt. Sie transportieren Inhalte, Überzeugungen, regionale Eigenheiten und Geschichte. Jedoch in dem Maße wie Europa zusammenwächst, die technischen Möglichkeiten sich erweitern und zarte Anfänge einer europäischen Öffentlichkeit zu beobachten sind, wächst auch der Regelungsanspruch der EU-Kommission.

Mehrfach hat die EU-Kommission versucht, ihre Kompetenzen mit dem Argument auszuweiten, dass sie als Hüterin des Binnenmarktes auch über die Medien zu wachen habe. Schließlich sind Medien natürlich auch ein Wirtschaftsfaktor. Die Branche erwirtschaftet laut EU fünf Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Allein im Verlagswesen geben 64.000 euro­päische Unternehmen fast 750.000 Menschen Arbeit.

1992 veröffentlichte die EU ein Grün­­buch über „Pluralismus und Medienkonzentration im Binnenmarkt“, um ihren Anspruch zu untermauern. Doch die Staats- und Regierungschefs wehrten ab: Der Markt für Zeitungen, Magazine und Illustrierte sei an einen abgegrenzten Sprach- und Kulturraum gebunden und solle deshalb auch künftig Ländersache bleiben. Anders sieht es bei den elektronischen Medien aus. Im Zeitalter von Satellit und Internet machen sie nicht länger an der Landesgrenze Halt. Deshalb hat die EU 1989 die Richtlinie „Fernsehen ohne Gren­zen“ verabschiedet, die alle grenzüberschreitend wichtigen Fragen regeln soll. Sie beinhaltet unter anderem ein Tabakwerbeverbot. Es wurde später mit dem Argument, für gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt zu sorgen, auf alle Medien ausgedehnt. Die Grundsatzfrage, wie weit Brüssels Arm reicht, bleibt aber umstritten. Der Europäische Gerichtshof prüft derzeit zum zweiten Mal, ob die Kommission bei der Tabakwerbung ihre Kompetenzen überschritten hat.

Mit der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“, die am 3. Oktober 1989 in Kraft trat, endete die Enthaltsamkeit der EU-Kommission in medienrechtlichen Fragen. Schon in der Einleitung wird der Gestaltungsanspruch in diesem Bereich gleich aus mehreren Blickwinkeln begründet: Mit fairen Wettbewerbschancen im Binnenmarkt, mit der Meinungsfreiheit und mit der Absicht, europäischen Produktionen bessere Marktchancen ge­genüber der amerikanischen Konkurrenz zu verschaffen.

Die wettbewerbsrechtliche Argumentation verläuft entlang der vertraglich fest­gelegten Binnenmarktregeln. Die Fernsehtätigkeit stelle „unter normalen Umständen“ eine Dienstleistung dar. Da die Gemeinschaftsverträge den freien Verkehr aller „gegen Entgelt erbrachten“ Dienstleistungen vorsähen, „unbeschadet ihres kulturellen oder sonstigen Inhalts“, müss­ten Hindernisse zwischen den Mitgliedsstaaten abgebaut und Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden.

Das derzeit bei der Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie so heiß umstrittene „Herkunftslandprinzip“ ist in der Fernsehrichtlinie längst Fakt. Es sei „notwendig und ausreichend, dass alle Fernsehsendungen dem Recht des Mitgliedsstaates entsprechen, in dem sie ihren Ur­sprung haben“, heißt es lapidar. Wenn der Sendestaat die eigenen nationalen Gesetze und den Rechtsrahmen dieser Richtlinie beachte, sei eine weitere Prüfung der Inhalte in den Ländern, wo die Sendung empfangen werden könne, überflüssig.

Dienstleistung der besonderen Art

Gleichzeitig wird aber deutlich, dass es eben doch nicht um eine Dienst­leis­tung wie jede andere geht. Die neue Richtlinie trage dazu bei, die „Freiheit der Meinungsäußerung“ zu schützen, wie sie in Artikel 10,1 der Europäischen Menschenrechtskonvention verbrieft ist. Da einige Mitgliedsstaaten strengere Auflagen für Programmveranstalter und Kabelbetreiber vorsähen als andere, müssten einheitliche Mindestregeln geschaffen werden, um den freien Meinungsaustausch zu ermöglichen. So ist zum Beispiel in Schweden jede Werbung, die sich an Kinder richtet, verboten. Via Satellit aber kommt Thomas Gottschalk mit seinen Gummibärchen ungehindert in schwedische Kinderzimmer.

Die Taktik, einerseits wertebezogen mit dem Schutz der Meinungsfreiheit zu argumentieren, andererseits die fairen Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt ins Feld zu führen, griff die EU-Kommission später auch beim Tabakwerbeverbot auf. Berufen fühlte sich hier Verbraucherschutzkommissar David Byrne, ein zum Abstinenzler gewandelter ehemaliger Kettenraucher. Im ersten Anlauf begründete er den Regelungsanspruch der EU damit, dass die Kommission für die Gesundheit der Bürger mit verantwortlich sei.

Diesen Anspruch wies der Europäische Gerichtshof auf eine Klage der Bundes­republik hin im Jahr 2000 als zu weit­gehend zurück. Daraufhin ließ Byrne das Werbeverbot juristisch neu begründen, diesmal mit den Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt. Zieht Schumacher beim Formel-eins-Rennen in die Zielge­rade, während im Hintergrund ein Marlboro-Plakat zu sehen ist, darf der Ausschnitt in einigen Mitgliedsstaaten gezeigt werden, in anderen aber nicht. Deshalb müssen einheitliche Marktbedingungen geschaffen werden, behauptet die Kommission. Auch gegen diese Variante der Werbeeinschränkung hat Deutschland inzwischen geklagt.

Gleiche Spielregeln für ganz Europa

Bereits in der Fernsehrichtlinie von 1989 wird für das Fernsehen ein Tabakwerbeverbot eingeführt. Ferner dürfen keine Arzneimittel beworben werden, die in einem anderen Mitgliedsstaat rezeptpflichtig sind. Die Werbung für alkoholische Getränke unterliegt „strengen Kriterien“. Sie darf sich nicht gezielt an Minderjäh­rige richten, keine Verbindung zum Autofahren herstellen und nicht suggerieren, Alkohol fördere körperliche Leistung, „sozialen oder sexuellen Erfolg.“

Sponsoren dürfen den redaktionellen Inhalt und den Programmplatz einer Sendung nicht in einer Weise beeinflussen, die „die redaktionelle Unabhängigkeit des Fernsehveranstalters“ einschränkt. Name oder Logo des Sponsors muss eingeblendet werden, verkaufsfördernde Hinweise auf Produkte des Sponsors sind ebenso verboten wie Schleichwerbung. Werbung darf nicht mehr als ein Fünftel der Sendezeit ausmachen. Sie soll den Zusammenhang der Sendung nicht beeinträchtigen, Spielfilme dürfen nur alle 45 Minuten unterbrochen werden. Der Schutz Minderjähriger soll gewährleistet werden, insbesondere „Pornographie und grundlose Gewalttätigkeiten“ dürfen nicht gezeigt werden. Sendungen, die zum Hass aufgrund von Rasse, Geschlecht, Religion oder Nationalität aufstacheln, sind ver­boten. Missachtet ein Anbieter diese Einschränkungen, kann sein Programm unter bestimmten Bedingungen in anderen Mitgliedsstaaten gesperrt werden.

Arabische Sendungen rücken ins Blickfeld

Dass sich diese Vorschrift auch auf Anbieter aus Drittstaaten bezieht, wenn sie Übertragungskapazität eines Mitgliedslandes nutzen, bekräftigten die Vertreter der Regulierungsbehörden bei einem Treffen mit der zuständigen Kommissarin Viviane Reding im März diesen Jahres. Kurz zuvor hatte die französische Regulierungsbehörde, die für den Satellitenbetreiber von Eutelsat zuständig ist, die arabischen Sender Al Manar und Sahar1 verboten. Der libanesische Sender Al Manar hatte in seinen Programmen Hizbollah-Propaganda verbreitet.

Keinen Zugriff haben die europä­ischen Behörden allerdings auf Satelliten wie Arabsat, die außerhalb der EU betrieben werden, aber in Ländern der Union empfangen werden können. Hier setzt Viviane Reding auf Tauschgeschäfte, wie sie auch in der Flüchtlingspolitik üblich sind. Im Rahmen der Förderpolitik für die Mittelmeer-Anrainer wird finanzielle Unterstützung bei der wirtschaftlichen Entwicklung angeboten und im Gegenzug politisches Wohlverhalten eingefordert. So kaufen sich die Europäer mit ihren Euros bessere Grenzüberwachung, Rücknahmeabkommen für illegale Einwanderer und eben auch arabische Fernsehsendungen, die den Maßstäben der Europäischen Fernsehrichtlinie standhalten. Ende November, wenn der sogenannte Barcelona-Prozess der EU-Mittelmeer-Kooperation 25jährigen Geburtstag feiert, werden diese sensiblen Themen alle wieder auf der Tagesordnung stehen.

Selbstkontrolle bei der Terrorberichterstattung?

Auch europäische Journalisten will die Kommission stärker als bisher in die Pflicht nehmen. In ihrem Antiterror-Paket vom September diesen Jahres fordert sie eine freiwillige Selbstverpflichtung der Medien, bestimmte Länder oder Bevölkerungsgruppen nicht pauschal als verbrecherisch darzustellen oder ihre Menschenwürde zu beeinträchtigen. Die Medien dürften sich auch nicht zum Sprachrohr terroristischer Organisationen machen oder die Bildung von Netzwerken begünstigen. Die Europäische Journalistenföderation (EJF) sieht darin einen Versuch, die Pressefreiheit einzuschränken und Rechtsunsicherheit zu schaffen. Kein Autor und kein Verlag könne vor der Veröffentlichung prüfen, ob ein Text den Gesetzen sämtlicher Mitgliedsstaaten entspreche. Jedes Land regle Fragen wie Quellenschutz, Verbreitung von rassistischer Propaganda und Geheimnisverrat in nationaler Gesetzgebung. Daran dürfe auch künftig nicht unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung gerüttelt werden.

Wirtschaftsfaktor Fernsehen

Fernsehen ist aus der Perspektive der EU-Kommission aber nicht nur ein Instrument der Meinungsbildung und Identitätsstiftung – es ist auch ein Wirtschaftsfaktor. Schließlich ist die audiovisuelle Industrie eine der am schnellsten wachsenden Branchen Europas. Nach neuesten Schätzungen wird sie demnächst fünf Pro­zent des BIP erreichen und im Jahr 2008 351 Milliarden Euro umsetzen. Deshalb sind Instrumente, die die Marktchancen für europäische Programme weiter verbessern sollen, in die Fernsehrichtlinie eingebaut. „Die Mitgliedsstaaten tragen im Rahmen des praktisch Durchführbaren und mit angemessenen Mitteln dafür Sorge, dass die Fernsehveranstalter den Hauptteil ihrer Sendezeit … der Sendung von europäischen Werken vorbehalten.“ Sei dies nicht möglich, dürfe der Anteil europäischer Werke zumindest nicht hinter den Stand von 1988 zurückfallen.

In der Praxis hat diese protektionis­tische Vorschrift an der dominierenden Stellung US-amerikanischer Produktionen wenig geändert. Nur 20 Prozent der Filme, die in Europa zu sehen sind, stammen aus einem der Mitgliedsstaaten, weitere 10 Prozent wurden in europäischer Koproduktion hergestellt. Seit Beginn der 90er Jahre fördert die EU mit dem MEDIA-Programm gezielt europäische Film- und Fernsehproduktionen. Für die nächste Förderperiode von 2007 bis 2013 hat das EU-Parlament 1,055 Milliarden Euro eingeplant. Das Geld soll vor allem in grenzüberschreitende Koproduktionen fließen und kleinen und mittleren Unternehmen zugute kommen. Allerdings hat der Rat in dieser Frage das letzte Wort. Seine Finanzverhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. In Zeiten leerer Kassen ist damit zu rechnen, dass bei der Kul­turförderung der Rotstift angesetzt wird.

Nicht nur die Programmmacher, auch die Betreiber von Fernsehkanälen verzeichneten seit der Liberalisierung des Fernsehmarktes in den 80er Jahren (in Ost­europa seit den 90er Jahren) stetig steigende Gewinne. Seit 2000 allerdings sind die Umsätze rückläufig. Außerdem drängen neue Anbieter wie Spartenprogramme, Pay-TV und Teleshopping in den Markt. Unverändert gut ist die Lage für die Satellitenbetreiber, die im Jahr 2000 in Europa eine Rekord- Umsatzsteigerung von 44 Prozent verzeichnen konnten.

Sehgewohnheiten im europäischen Vergleich

Nach einer aktuellen Studie im Auftrag der EU-Kommission hatten im Jahr 2002 die öffentlich-rechtlichen Programm­anbieter einen Marktanteil von 42,5 Prozent, die Privaten 32,5 Prozent. Den Rest teilten sich Einkaufskanäle, Spartenprogramme und Pay-TV. In fast allen Mitgliedsstaaten, alten wie neuen, bleibt der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Informations- und Nachrichtenquelle Nummer eins. Allerdings sind die Sehgewohnheiten von Land zu Land sehr verschieden. Während ein Ungar täglich im Schnitt 274 Minuten vor dem Fernseher verbringt, wird in Frankreich nur 213 Minuten täglich ferngesehen. Ein deutlicher Riss verläuft in Deutschland entlang des ehemaligen Eisernen Vorhangs: Ostdeutsche verbringen nach einer Erhebung aus dem Jahr 2004 täglich 249 Minuten vor dem Fernseher, Westdeutsche im Schnitt eine halbe Stunde weniger.

Der Konzentrationsprozess ist im europäischen Fernsehsektor weit fortgeschritten. Einige große Programmanbieter teilen den privaten Markt unter sich auf. Das sicherlich extremste Beispiel ist Italien, wo alle drei nationalen privaten Programme dem Mailänder Unternehmer und Regierungschef Silvio Berlusconi gehören. Auch das französische TF1, RTL in Deutschland und ITV in Großbritannien gehören zu den Großen der Branche. In Osteuropa hat der amerikanische Konzern CME mit neun Fernsehstationen in sechs Ländern eine starke Stellung ausgebaut. Die deutsche Bertelsmann-Tochter RTL hat in Ungarn und Kroatien investiert und plant weitere Standorte. Die schwedische MTG betreibt Sender in den baltischen Staaten, Rupert Murdochs News Corporation besitzt die größte bulgarische Fernsehstation und einen Sender in Ungarn.

Die wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen sind in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich. Während einige Länder ausländische Beteiligungen beschränken, ist es in anderen verboten, Rundfunksender und Printmedien gleichzeitig zu besitzen. Die Besitzverhältnisse in der Branche sind allerdings undurchsichtig, da der Firmensitz oft in ein Land außerhalb der EU verlegt wird. Seit der Kartellrechtsreform von 2004 hat die EU-Kommission deutlich weniger Einfluss auf die wettbewerbsrechtliche Seite. Seither müssen Zusam­menschlüsse unterhalb einer Schwelle von 250 Millionen Euro Umsatz nicht mehr in Brüssel angemeldet werden. Sie fallen in die Zuständigkeit der nationalen Kartellbehörden. Deshalb wird auch der geplante Zusammenschluss von Springer mit ProsiebenSat1 nicht in Brüssel sondern in Berlin verhandelt.

Wettbewerbsrecht und öffentlich-rechtliche Vorzugsstellung

Mit Argusaugen wacht die Kommission dagegen darüber, dass der öffentlich-rechtliche Sektor seine Sonderstellung nicht nutzt, um die private Konkurrenz auszubooten. Die Kommission muss verlangen, dass der staatliche Programmauftrag und der wirtschaftliche Wunsch nach Gewinnmaximierung in einem Medienbetrieb säuberlich getrennt werden. Andernfalls würden sich die privaten ­Anbieter vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg faire Wettbewerbs­bedingungen erstreiten. Das Recht der Nationalstaaten, bestimmte Programme etwa durch Rundfunkgebühren zu finanzieren, wird im EU-Recht grundsätzlich garantiert. Im 1997 in Kraft getretenen EU-Vertrag von Ams­terdam stellten die Mitgliedsstaaten ausdrücklich fest, dass jedes Land für sich entscheidet, wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk finanziert werden soll. Entsprechend sind auch die Werbeauflagen von Land zu Land unterschiedlich. Während ARD und ZDF nur werktags bis 20 Uhr Werbung ausstrahlen dürfen, ist sie zum Beispiel bei der britischen BBC ganz verboten.

Die Kommission achtet aber darauf, dass die Rundfunkgebühren ausschließlich dafür verwendet werden, den gesetzlich festgeschriebenen Sendeauftrag zu erfüllen. Internetdienste dürfen demnach nur programmbegleitend angeboten werden. Ausgelagerte Produktionsfirmen dürfen privaten Wettbewerbern nur aufgrund eigener Einnahmen Konkurrenz machen. Quersubventionen privater Markttätigkeit durch Rundfunkgebühren sind untersagt. Strittig sind zur Zeit unter anderem Sportrechte, die Nutzung neuer technischer Plattformen weit über das Internet hinaus (einschließlich des Mobilfunks). Auf Antrag privater Fernsehanbieter und einiger Verlage hat die Kommission bereits in mehreren Ländern geprüft, ob Internetseiten öffentlich-rechtlicher Sendeanstalten gegen Beihilferecht verstoßen. Bislang wurden die Dienste in keinem Fall beanstandet, in Deutschland und Österreich läuft das Prüfverfahren aber noch.

Die Debatte um Product Placement

Nach Auffassung der EU-Kommission ist kommerzielles Fernsehen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, der europaweit einheitliche Rahmenbedingungen braucht. Kürzlich sorgte Medienkommissarin Reding vor deutschen Zeitungsverlegern mit der Forderung für Aufsehen, sogenanntes Product Placement müsse aus der gesetzlichen Grauzone befreit werden.

Viviane Reding will auch in diesem Bereich einheitliche Verhältnisse in Europa herstellen. Schleichwerbung ist nach der derzeit geltenden Fernsehrichtlinie verboten. Das solle auch so bleiben. Schleichwerbung liegt vor, wenn ein Produkt absichtlich, mit dem Ziel der Werbung, das heißt auch bezahlt, und in irreführender Weise in einer Sendung platziert wird. Aber Reding will in der neuen Richt­linie „Audiovisuelle Inhalte ohne Grenzen“, die die Fernsehrichtlinie ersetzen soll und derzeit in der Kommission vorbereitet wird, auch klare Regeln zum Product Placement verankern. Sie hätte am liebsten eine Lösung nach österreichischem Vorbild. Dort ist Product Placement in Dokumentationen, Nachrichten und Reportagen verboten. In Serien und Filmen, also im fiktionalen Bereich, ist es erlaubt, wenn ein klarer Hinweis für den Zuschauer eingeblendet wird: „Die folgende Sendung enthält Produkte der Firmen A,B und C“. (siehe Seiten 18 / 19) Die sogenannten „Advertorials“, eine Mischform aus Werbung und redaktionellem Beitrag im Printbereich sind seit Mai diesen Jahres in der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken eindeutig erfasst und bleiben somit auch in Zukunft verboten.

Eine Task-Force für die Presse

Der Streit, wo die Kompetenz der Nationalstaaten im Medienbereich endet und wo die Zuständigkeit der EU-Kommission beginnt, geht mit der Novelle der Fernsehrichtlinie in die nächste Runde. Gleichzeitig streckt Brüssel seine Fühler erneut Richtung Pressewesen aus. Viviane Reding hat eine Task-Force für Presse eingerichtet, die sämtliche europäischen Gesetzesvorhaben daraufhin untersuchen soll, ob sie Einfluss auf die Pressefreiheit haben könnten. Ende September legte sie bei einem Treffen mit Verlegern ihre Pläne dar. Am 6. Dezember ist ein Gipfeltreffen mit Herausgebern geplant, bei dem die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Meinungsfreiheit und öffentlich-rechtliche Politik sowie gesellschaftliche Verantwortung der Medien diskutiert werden sollen. Dann will die Kommission auch Ergebnisse einer Umfrage vorstellen, die abfragt, wie die Branche ihre Wettbewerbsfähigkeit angesichts der Herausforderungen des digitalen Zeitalters einschätzt.

In Brüssel wird auch über eine Novelle des Urheberrechts nachgedacht. Nach derzeitiger Rechtslage können Autoren nur Rechte abtreten, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses existieren. Für Werke, die vor 1990 entstanden sind, ist die Internet-Nutzung nicht geregelt, Nachverhandlungen wären enorm aufwändig. Viviane Reding spricht in diesem Zusammenhang vom „Schwarzen Loch des 20. Jahrhunderts.“ Um digitale Bibliotheken zu ermöglichen, ist eine Verwertungsgesellschaft ähnlich der VG-Wort denkbar, die Lizenzgebühren einsammeln und an die Autoren weiterreichen könnte.

Die Grenze zwischen rein nationalen Medienmärkten und Inhalten, die in ganz Europa genutzt werden, wird fließend bleiben. Doch der Trend ist klar: Vom Fernsehen ohne Grenzen weitet sich das Spektrum zur weltweit gleichzeitig verfügbaren Online-Information. Der Regelungsanspruch der Brüsseler Büro­kratie wächst mit. Da Medien keine Ware wie jede andere sind, werden die Nationalstaaten ihre Hoheitsrechte hartnäckig verteidigen. Der Europäische Gerichtshof wird auch in Zukunft das Thema nicht zu den Akten legen können.

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