„Wiener Zeitung“: Aus oder doch Rettung?

Das heutige Redaktionsgebäude im Media Quarter Marx in Wien. Foto: Gugerell/wikimemia.org

Es geht um mehr, als nur das neuerliche Ableben eines Printmediums. Mit dem Ende der „Wiener Zeitung“ würde der österreichische Qualitätsjournalismus eine wichtige Plattform verlieren. Die derzeit diskutierten Optionen einer Umwandlung in eine Wochen- oder eine reine Online-Zeitung sieht nicht nur die Redaktion skeptisch. Ein offener Brief zahlreicher Prominenter aus Politik, Kultur und Wirtschaft Österreichs soll helfen, das Blatt zu retten.

Österreich ist ein Printland. Das hört man nicht selten von Verlagen und Medienpolitikern des Landes. Das stimmt allerdings nur auf den ersten Blick. Das Land mit seinen knapp 9 Mio. Einwohnern verfügt nur noch über 14 Tageszeitungen, die etwas kleinere Schweiz hat noch mehr als 40 Titel. „Das heißt, Österreich hat zu wenig guten Journalismus, nicht zu viel, jeder Titel weniger ist ein unwiederbringlicher Verlust“, so Josef Trappel, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Salzburg.

Ein solcher Verlust wäre etwa die „Wiener Zeitung“ (WZ). Mit einer Druckauflage von nicht einmal 20.000 Exemplaren ist sie zwar die kleinste der vier nationalen Tageszeitungen des Landes. Doch sie ist besonders, in gleich vielerlei Hinsicht.

Erstausgabe als „Wiennerisches Diarium“ von 1703 Foto: wikimedia.org

Sie ist nicht nur die älteste noch erscheinende Tageszeitung (seit 1703) der Welt, sie ragt im Dschungel von Boulevardzeitungen als eine der wenigen nationalen Qualitätszeitungen Österreichs heraus. Und, ein seltenes Konstrukt, sie ist Eigentum der Republik Österreich.

 EU-Richtlinie kippt Veröffentlichungspflicht

Das Blatt wird durch Inserate finanziert, zu denen österreichische Unternehmen mit der Auflage zur Veröffentlichung von Firmendaten verpflichtet sind („Amtsblatt der Wiener Zeitung“). Eine zur Umsetzung anstehende EU-Richtlinie wird diese Pflicht aufheben, sodass die „Wiener Zeitung“ diese zentrale Einnahmequelle verliert. Laut einem Übereinkommen zwischen den Regierungsparteien ÖVP und Grünen sollen diese Anzeigen nun digitalisiert werden. „Das ist längst überfällig“, sagt dazu WZ-Chefredakteur Walter Hämmerle gegenüber M. Das Problem: „Dabei sollen auch die Gebühren wegfallen – und damit die Finanzierunggrundlage der Redaktion in ihrer bestehenden Form als hochstehende Qualitätstageszeitung.“

Da es sich allerdings bei der „Wiener“ nicht um eine gewöhnliche Zeitung handelt, schlagen die Wellen über das nebenbei beschlossene Ende derzeit hoch. „Die ‚Wiener Zeitung‘ ist die älteste noch erscheinende Tageszeitung der Welt. So gesehen, spiegelt die Geschichte der WZ die Geschichte des Landes wider“, so Hämmerle. Allein zwischen 1939 und 1945 war die Zeitung eingestellt, da jede Erinnerung an ein selbständiges Österreich getilgt werden sollte.

„Unverzichtbar“ – Aufruf an die Regierung

Die hohe Qualität des Blattes ist nicht allein Eigenwerbung, sie wird derzeit auch von zahlreichen Persönlichkeiten des Landes bestätigt. Aufrufe von nicht wenigen Politikern, Wirtschaftsgrößen, Intellektuellen und Schauspielern zum Erhalt der Zeitung zeigten, dass man weit über die quantitative Größe eine wichtige qualitative Rolle spiele, so der Chefredakteur. (www.unverzichtbarseit1703.org)

Vor allem die österreichische Wissenschaft will retten, was zu retten ist. Kommunikationswissenschaftler Trappel nennt etwa die hohe redaktionelle Qualität vor allem in den Ressorts Inland, Ausland und Feuilleton. Die Wochenendbeilage Extra sei legendär und zahlreiche Schriftsteller nutzten die Zeitung als Schaufenster. Die Zeitung habe viele Abonnenten aus der „Bildungsschicht“ und unter denen, die in Österreich Entscheidungen treffen.

Ausgabe vom April 2021 – für einen Euro am Kiosk. Foto: Danilo Höpfner

So werden aktuell gleich mehrere Rettungsmodelle diskutiert, auch die Möglichkeit einer Privatisierung. „Aus Sicht der Redaktion ist jede Lösung einer de facto oder praktischen Einstellung vorzuziehen“, so Hämmerle. Tatsächlich haben sich wohl auch bereits etliche potenzielle Interessenten gemeldet. Ob darunter auch seriöse Bewerber seien, werde sich aber erst zeigen.

Wenig Platz Online und auf Wochenmarkt

Auch die Umwandlung in eine Wochenzeitung ist zumindest seitens des derzeitigen Eigentümers eine Überlegung wert, die Redaktion selbst sieht diese Option eher kritisch. Der Markt für Wochenzeitungen sei hart umkämpft und biete nur wenig Platz für eine Nische, außer mit ganz engem inhaltlichem Fokus. Neue Formate hätten hier stets verloren, heißt es. An dieser „Verdrängungsschlacht“, wie es Kommunikationswissenschaftler Trappel nennt, hätte sich auch schon der deutsche Bertelsmann Verlag die Zähne ausgebissen und sich „ganz frustriert aus Österreich zurückgezogen“.

Noch skeptischer bleibt die Redaktion bei der medial vorgetragenen Option einer reinen Online-Zeitung. „Obwohl wir auch digital auf allen Kanälen ordentlich unterwegs sind, erachte ich einen abrupten Umstieg auf digital-only als Entscheidung eines vorweggenommenen langsamen Dahinsiechens“, so Hämmerle. Gestützt wird auch diese Einschätzung von der Medienwissenschaft Österreichs. Reine Online-Zeitungen hätten es in Österreich noch nie weit gebracht, so Trappel im M-Interview. So wurde etwa die Boulevardzeitung „Täglich Alles“ auf online-only umgestellt und nach wenigen Monaten dann ganz eingestellt.

Eine Milliarde für die Medien, doch kaum für die kleinen

Der österreichische Medienmarkt ist insgesamt von enormen Verzerrungen geprägt. Die öffentliche Hand bietet jährlich rund eine Milliarde Euro für Medien auf, rund 650 Mio. für den ORF aus der Rundfunkgebühr, rund 230 Mio. aus öffentlichen Inseraten und weiteren Förderungen. „Von dieser Milliarde Euro erhält die ‚Wiener Zeitung‘ bisher keinen Euro“, sagt der Chefredakteur. Überhaupt ist das „Printland“ Österreich derart stark von Boulevardmedien durchsetzt, dass gerade kleinere Titel kaum eine Chance haben. In Wien galt stets die Haltung, je höher die Auflage, umso mehr staatliche Unterstützung. Je kleiner die Auflage, umso weniger. Davon profitierte stets der Boulevard.

Auch aus anderen Gründen ist der Weg hin in eine reinen Online-Welt schwierig. Der Ausblick der Redaktion verhalten: „Der Markenname gekoppelt mit dem Brand „älteste Tageszeitung der Welt“ samt dem Image als Qualitätstageszeitung ist für potenzielle Investoren interessant. Schade nur, dass unser Eigentümer dies bis dato noch anders sieht.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fußball-EM: Eine Halbzeitbilanz

Spätestens seit dem Gruppensieg der deutschen Nationalelf wechselte die Stimmung im Lande von Skepsis zu Optimismus. Ausgedrückt in Zahlen: Vor dem Start des Turniers trauten gerade mal sieben Prozent der Mannschaft den Titelgewinn zu, nach drei Partien stieg dieser Wert auf 36 Prozent. Entsprechend wuchs auch das Interesse an den TV-Übertragungen.
mehr »

N-Ost: Alles ist europäisch

Vor fast 20 Jahren wurde N-Ost als Korrespondentennetzwerk für Berichterstattung und Expertise über Osteuropa gegründet. Mittlerweile versteht sich N-Ost als Medien-NGO, die sich für die europaweite Zusammenarbeit zwischen Journalist*innen einsetzt. Zum Netzwerk, das seinen Sitz in Berlin hat, gehören nach eigenen Angaben mehr als 500 Journalist*innen und Medien aus ganz Europa. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildet die Berichterstattung aus der Ukraine.
mehr »

Das Internet als Nachrichtenquelle

„Das Internet stellt erstmals die wichtigste Nachrichtenquelle der erwachsenen Online-Bevölkerung in Deutschland dar“. So der aktuelle Reuters Institute Digital News Report 2024.  Er liefert interessante Befunde für die journalistische Arbeit – etwa zu Nachrichtenvermeidung, Medienvertrauen und Erwartungen an Nachrichtengestaltung in Zeiten zunehmender Internetnutzung.
mehr »

Fußball-EM: Zu Gast bei Freunden?

Vier Wochen vor EM-Start überraschte der Deutsche Fussballbund (DFB) mit einer originellen Kaderpräsentation. Anstelle einer drögen Pressekonferenz setzte man auf eine teils witzige Salami-Taktik: Mal durfte ein TV-Sender einen Namen verkünden, dann wieder druckte eine Bäckerei den Namen Chris Führich auf ihre Tüten. Das Bespielen sozialer Netzwerke wie X oder Instagram dagegen funktionierte nicht optimal – da hat der Verband noch Nachholbedarf.
mehr »