Willy-Brandt-Preis für türkische Gewerkschaft

TGS-Generalsekretär Mustafa Kuleli und TGS-Präsident Gökhan Durmus zu Gast bei der dju in ver.di in Berlin (v.l.n.r.)
Foto: Martha Richards

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di gratuliert der türkischen Journalistengewerkschaft Türkiye Gazeteciler Sendikasi (TGS) zu ihrer Auszeichnung mit dem Willy-Brandt-Sonderpreis für besonderen politischen Mut. Die dju hat der TGS anlässlich eines Treffens im Vorfeld der Preisverleihung am 23. Januar ihre Solidarität zugesichert. „Die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei erlebt gerade eine ihrer dunkelsten Zeiten“, schätzt TGS-Präsident Gökhan Durmus gegenüber „M“ die aktuelle Lage der Journalist_innen in der Türkei ein.

Peter Freitag, stellvertretender dju-Bundesvorsitzender
Foto: Martha Richards

„TGS hat dem politischen Druck standgehalten, sich über fortwährende, auch persönliche Bedrohungen hinweggesetzt und trotz der sich zunehmend zuspitzenden Lage in der Türkei nicht aufgehört, Zensur, Angriffe auf Medien und Journalist_innen sowie Verhaftungen öffentlich zu kritisieren“, würdigte der stellvertretende dju-Bundesvorsitzende Peter Freitag die Arbeit der Journalistengewerkschaft in einer Pressemitteilung. Freitag erinnerte an die türkischen Journalistinnen und Journalisten, die sich derzeit in Haft

Cornelia Haß, dju-Bundesgeschäftsführerin
Foto: Martha Richards

befinden oder außer Landes fliehen mussten. „Die Situation von Pressefreiheit und Meinungsfreiheit in der Türkei nimmt eine immer erschreckendere Entwicklung“, warnte er. „Das darf uns nicht kalt lassen.“ Es sei wichtig, die Lage der Medien und Journalist_innen in der Türkei im Bewusstsein der internationalen Öffentlichkeit zu halten. Dies müsse auch Aufgabe der europäischen Journalistengewerkschaften sein.

Bei dem persönlichen Gespräch zwischen dem Präsidenten und dem Generalsekretär der türkischen Journalistengewerkschaft, Gökhan Durmus und Mustafa Kuleli, sowie Peter Freitag und der dju-Bundesgeschäftsführerin Cornelia Haß ging es auch darum, Verabredungen für eine engere künftige Zusammenarbeit zu treffen. Die türkischen Gewerkschafter betonten nochmals, wie wichtig es ihnen sei, dass in Deutschland über die Mediensituation in der Türkei berichtet werde. Es gebe den Kolleg_innen Kraft. Die dju werde türkische Journalist_innen unterstützen, die ihr Land verlassen mussten und jetzt hier ohne eigene Infrastruktur Probleme haben, ihre Arbeit fortzusetzen, versicherte Peter Freitag. Gleichfalls können dju-ler vor Ort türkischen Kolleg_innen zur Seite stehen, wenn sie sich um ihren Aufenthaltsstatus bemühen.


Demokratie faktisch abgeschafft

Von Gökhan Durmuş, Vorsitzender der Türkischen Journalistengewerkschaft TGS

Die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei erlebt gerade eine ihrer dunkelsten Zeiten. Nachdem die AKP-Regierung an die Macht gelangt war, veränderte sich die Medienlandschaft rasant. Auch vor der AKP hat es in der Türkei regierungsnahe und oppositionelle Medien gegeben. Aber die Trennlinie zwischen diesen beiden Gruppen war nie so deutlich und präsent, wie es heute der Fall ist.

Die AKP hat über Jahre hinweg die Medieninstitutionen und -unternehmen, die in der Opposition standen oder nicht auf AKP-Linie waren, einem ausgewogenen erschütternden Zwangssystem unterworfen. Im Jahre 2010 erreichte die Zahl der Verhaftungen von Journalist_innen (für damalige Verhältnisse) Rekordzahlen. Ihnen wurde unterstellt Putsch-Pläne des sogenannten Ergenekon-Bundes unterstützt zu haben. Nach langwierigen Kämpfen wurde ein großer Teil der verhafteten Journalisten wieder freigelassen. Auch die Verhandlungsgespräche zur Lösung der Kurdenproblematik in der Türkei und die mit diesen Verhandlungen einhergehende und eingeleitete „neue Phase“ trugen dazu bei, dass der Druck auf kurdische und oppositionelle Journalist_innen abnahm. Nachdem aber die Verhandlungen scheiterten, wurden viele kurdische Medienbeschäftigte sehr schnell wieder in Polizeigewahrsam genommen. Im Zuge der Medienberichte über die AKP-Korruptionsaffäre im Dezember 2013 erweiterte die AKP-Regierung ihre Operationen auf die Gülen-Bewegung und ihr nahestehende Medien und Einrichtungen. Namhafte Journalist_innen wurden verhaftet, Medieninstitutionen von der Regierung beschlagnahmt. Auf der anderen Seite wurden Journalist_innen entlassen, die vorher die AKP-Regierung unterstützten und die Linie der AKP-Regierung verteidigten.

Verhaftungs- und Entlassungswelle nach Putschversuch

Gökhan Durmus, Präsident der türkischen Journalistengewerkschaft Türkiye Gazeteciler Sendikasi (TGS)
Foto: Martha Richards

Die größte Veränderung gab es aber nach dem gescheiterten Staatsstreich vom 15. Juli 2016. Zunächst wurde es durch eine Verhaftungs- und Entlassungswelle so dargestellt, als ob die Putschisten bestraft würden. Damit wurde die gesamte Gesellschaft zum Schweigen gebracht und in die Passivität gedrängt. Die Operationen, die sich in den Anfängen gegen vermeintliche Gülen-Anhänger gerichtet hatten, wurden dann nach und nach auf alle oppositionellen Medieninstitutionen ausgeweitet. 170 Medienunternehmen wurden nach dem Putschversuch des Militärs geschlossen. Obwohl für diese Schließungen keinerlei gesetzliche Grundlagen vorhanden waren, verloren 3000 Journalisten von heute auf morgen ihre Arbeit. Ein Jahr nach dem Scheitern der Verhandlungen um die Lösung des Kurdenkonfliktes nahmen nun auch wieder die Verhaftungen von kurdischen Journalist_innen zu. Der Rechtsweg zu ordentlichen Gerichten, der den Kurden bereits seit einem Jahr unmöglich war, wurde jetzt durch die von der AKP-Regierung erlassenen Notverordnungen dem gesamten türkischen Volk verweigert. Die Türkei wurde zu einem Land degradiert, in der nur noch Willkür herrscht.

Die AKP-Regierung, die der Gülen-Bewegung jahrelang die Möglichkeit eingeräumt hatte, sich im Staatsapparat personell zu etablieren, hat nach dem Putschversuch zehntausende Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes entlassen. Dutzende Richter und Staatsanwälte wurden suspendiert, Rechtsanwälte verhaftet. Das Grundrecht auf Strafverteidigung wurde praktisch und faktisch abgeschafft. Bürger_innen blieben monatelang inhaftiert ohne einen rechtlichen Beistand erhalten zu haben. Somit nimmt man ihnen die Möglichkeit, die eigene Unschuld zu beweisen.

Die AKP-Regierung hat den gescheiterten Putschversuch als Anlass genommen, um den Notstand auszurufen. Dadurch hat sie faktisch alle demokratischen Rechte abgeschafft. Die Gouverneursämter wurden ermächtigt und erhielten alle Zuständigkeiten. Dadurch durften alle Aktionen und Aktivitäten verboten werden, die politisch nicht genehm waren. So wurden vor allem alle gegnerischen Proteste verboten. Das Parlament wurde außer Kraft gesetzt und Erdogan fing an, das Land auf der Grundlage der Notverordnungen zu regieren, die angeblich der Terrorabwehr dienen sollten. Erstmalig in der Geschichte der Türkei wurden 12 gewählte Abgeordnete der HDP inhaftiert. In kurdischen Städten wurden durch Wahlen ernannte Bürgermeister festgenommen. Etwa 3000 Politiker_innen der HDP wurden ins Gefängnis gesteckt. Journalist_innen und Schriftsteller_innen wurden für ihre Artikel und Veröffentlichungen entlassen und verhaftet. Die zuvor auch schon mit Problemen behaftete Demokratie wurde somit faktisch abgeschafft.

Gegen den Staatsstreich und gegen die Ein-Mann-Diktatur

Die Gewerkschaft ist sowohl gegen den Staatsstreich als auch gegen die Ein-Mann-Diktatur! Dass ein Staatsstreich einer Gruppe von Offizieren innerhalb der türkischen Armee gescheitert ist, ist für das türkische Volk höchst erfreulich. Wir sind Journalist_innen in einem Land, in welchem sich in der Vergangenheit viele Staatsstreiche ereigneten und wo das Volk schlimmsten Zwängen und Unterdrückungen ausgesetzt war, mit bis heute unaufgeklärten Morden. Wir sind sogar auch dann gegen einen Staatsstreich, wenn Dutzende unserer Kolleg_innen zu Unrecht in den Gefängnissen gefangen gehalten werden und gegen sie wegen ihrer Berichterstattung Gerichtsverhandlungen stattfinden.

Dennoch ist die Türkische Journalistengewerkschaft auch gegen das Ein-Mann-Präsidial-System in der Türkei. Die Türkei braucht keine Diktatur, sondern benötigt die Demokratie. Die Türkische Journalistengewerkschaft als die größte organisierte Institution der Journalist_innen im Land setzt sich für die Belange aller Journalist_innen und Medien ein. Darüber hinaus setzt sie sich für das unterdrückte und ausgebeutete Volk ein und macht sich für die Beendigung dieser düsteren Zeiten stark. Diese düstere Zeit können wir aber nur durch die Solidarität und den internationalen Kampf beenden. Wir können diese düstere Zeit nur dann überwinden, wenn wir sowohl in der Türkei, als auch in Europa von allen Seiten Solidarität erfahren. Die Türkei muss schleunigst demokratisiert, alle inhaftierten Journalisten müssen unverzüglich freigelassen, alle laufenden Prozesse sofort fallengelassen und die verbotenen Medieneinrichtungen wieder zugelassen werden.

Übersetzung: Özgür Metin Demirel

 

 

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