Wortgefechte um die Krim

Informationsblockade ukrainischer Medien und „extreme Zensur“

Nach der russischen Machtübernahme hat sich die Medienlandschaft auf der Krim dramatisch gewandelt. Ukrainische Fernsehsender wurden abgeschaltet, in den Kiosken liegen fast nur noch russische Zeitungen, Journalisten werden bei der Arbeit behindert.

März 2014. In der Gegend des regionalen Parlamentsgebäudes in der Krimstadt Simferopol kontrollieren bewaffnete Männer die Papiere von Journalisten. Foto: REUTERS / David Mdzinarishvili
März 2014. In der Gegend des
regionalen Parlamentsgebäudes in
der Krimstadt Simferopol kontrollieren
bewaffnete Männer die Papiere von
Journalisten.
Foto: REUTERS / David Mdzinarishvili

Die neuen Behörden haben kritische Stimmen gezielt ausgeschaltet. Anfang März hatten sie angekündigt: „Wenn die negative Informationskampagne nicht aufhört, sind wir gezwungen, den unwahren und nicht objektiven Informationsfluss zu unterbrechen, um die Bevölkerung von den negativen Auswirkungen zu schützen.“ Diese Ankündigung wurde rigoros umgesetzt. Die Kampagne begann mit dem Lizenzentzug des Senders „Schwarzmeer-TV“ Anfang März. Er war der größte oppositionsnahe Sender der Halbinsel. „Schwarzmeer“-Chefin Ljudmila Schurawlowa erhielt nie eine offizielle Erklärung. Damals erklärte sie: „Jetzt können die Bürger nur noch einen Kanal empfangen, in dem die Informationen ausgestrahlt werden, die jenen genehm sind, die nun an der Macht sind.“
Doch es kam noch schlimmer. In den Tagen vor dem Referendum am 16. März trat eine Informationsblockade ukrainischer Medien in Kraft. Ukrainische TV- und Radio-Sender sind bis heute analog nicht mehr zu empfangen. Auch die Kabel-TV-Anbieter entfernten die meisten ukrainischen TV-Sender aus dem Programm. Ukrainisches TV und Radio kann ungestört nur noch per Internet empfangen werden – doch laut Informationen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden auch hier Seiten gefiltert und teilweise geblockt. Ukrainische Zeitungen und Zeitschriften sind größtenteils aus den Kiosken verschwunden. Stattdessen dominieren nun russische Titel – und die russische Staatszeitung Rossijskaja Gazeta wird zeitweise gratis verteilt. Die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatovic spricht von „extremer Zensur“.
Russische Sender wie Russia Today oder der Erste Kanal waren maßgeblich beteiligt an der Konstruktion eines angeblichen Bedrohungsszenarios, das eine russische Militäraktion legitimieren sollte. Die TV-Kanäle beschworen eine akute Bedrohung der Krim-Bürger durch Ultranationalisten und bewaffnete Extremisten herauf. Diese hätten in Kiew nach einem verfassungswidrigen Umsturz die Macht ergriffen, so lautete die Erzählung. Die so genannten „Banderowtsi“ – benannt nach dem ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera – würden die Krim einnehmen wollen, gegen sie müssten die Lokalbehörden und Freiwilligen-Milizen nun vorgehen. In dieser Situation schien die Machtergreifung des neuen Krim-Premiers Sergej Aksjonow und die russische Besetzung der Krim nur allzu legitim – und wurde als Akt der Selbstverteidigung dargestellt. Fakt ist, dass die angeblichen „Provokateure“ aus der Westukraine oder Kiew auf der Krim niemals auftauchten. Gefragt nach konkreten Fällen von Bedrohung russischstämmiger Bürger auf der Krim, konnte Aksjonow auf einer Pressekonferenz in Simferopol keinen Fall nennen. Stattdessen beschimpfte er den Journalisten, der die Frage gestellt hatte: „Leben Sie denn in einem Vakuum?“ Die russischen Behörden haben den Krim-Medien nun bis zum Januar 2015 Zeit für eine Neuregistrierung unter russischem Gesetz gegeben. Hierbei könnte manchen Titeln eine erneute Registrierung verweigert werden.
Auch das „Zentrum für journalistische Recherchen“ in der Krim-Hauptstadt Simferopol fürchtet um seine ungehinderte Berichterstattung. In den ersten Märztagen hatten Bewaffnete das Büro der unabhängigen Einrichtung gestürmt und dort eine Pressekonferenz abgehalten. Die Besetzer sind zwar wieder abgezogen, die Journalisten arbeiteten „ganz normal“, so Redakteurin Anna Schajdurowa. Das Zentrum, zu dessen Förderern die amerikanische USAID gehört, war jedoch in den vergangenen Wochen Attacken auf die Webseite ausgesetzt und zu den Behördensitzungen erhielten die Journalisten keinen Zutritt mehr. Nur noch russische und „loyale“ Medien wurden vorgelassen.
Mit der Zuspitzung der Lage auf der Krim ist auch das Misstrauen gegenüber Journalisten gestiegen. An den Straßensperren vom Festland zur Krim wurden Journalisten von prorussischen Milizen an der Einreise gehindert. Schajdurowas Zentrum zählte zwischen 27. Februar und 30. März mehr als 100 Zwischenfälle, darunter Arbeitsbehinderungen, tätliche Übergriffe, Zerstörung von Equipment. 13 Journalisten wurden festgenommen oder für mehrere Stunden entführt. Die OSZE-Medienbeauftragte Mijatovic verurteilt die Entwicklungen: „Jede Beschränkung bedeutet eine wirkliche Gefahr für die Medien- und Meinungsfreiheit.“
Für die Zukunft sind Medienexperten skeptisch. Im Mai tritt eine Neufassung des Paragrafen 280 des russischen Strafgesetzbuches in Kraft. Dann können Äußerungen, die die „territoriale Integrität der Russischen Föderation“ in Frage stellen, mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Wenn Medien dann die Rechtmäßigkeit der Annexion in Frage stellen, dürfte das ernste Folgen haben.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Kurdische Journalisten in Gefahr

Nach Angaben der in Istanbul ansässigen Media and Law Studies Association (MLSA) standen zwischen dem 4. und 7. März mindestens 21 Journalisten vor türkischen Gerichten. Diese Zahl mag für deutsche Leser*innen schockierend sein, in der Türkei sind diese Ausmaße juristischer Verfolgung von Journalist*innen leider alltäglich. Unter dem Ein-Mann-Regime von Präsident Recep Tayyip Erdoğan sieht es mit der Meinungs- und Pressefreiheit im Land immer düsterer aus. Auch die jüngsten Daten der Journalistenvereinigung Dicle Fırat (DFG) zeigen deutlich, dass der Druck auf Journalisten wächst.
mehr »

Beschwerde gegen BND-Gesetz

Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) reichen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Beschwerde gegen das Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-Gesetz) ein. Damit reagieren die Organisationen auf ungenügende Reformen des Gesetzes, das den Schutz von Medienschaffenden nicht ausreichend berücksichtigt. RSF und GFF erwarten sich von der Entscheidung ein Grundsatzurteil, das nicht nur Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland haben wird, sondern auch Strahlkraft in die anderen Mitgliedstaaten des Europarates.
mehr »

Social Media: Mehr Moderation gewünscht

Wer trägt die Verantwortung, um etwas gegen zunehmenden Hass in den sozialen Medien zu unternehmen? Die Plattformen? Die Politik? Die Nutzer*innen? Alle drei Gruppen jeweils zu einem Drittel. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Studie der Technischen Universität München (TUM) und der University of Oxford. Sie zeigt auch: der Großteil der Menschen in den zehn untersuchten Ländern wünscht sich mehr Moderation bei Inhalten.
mehr »

Ecuador: Medien ohne Schutz

Mehr Schutz für Berichterstatter*innen, fordert Ecuadors Medienstiftung Fundamedios. Doch in der Regierung von Daniel Noboa, Sohn des Bananenmilliardärs Álvaro Noboa, stößt die Initiative auf Ablehnung. Dafür sei kein Geld da, lautet das Argument. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass Daniel Noboa eher auf TikTok, Instagram und andere soziale Netzwerke setzt und wenig von den traditionellen Medien hält. Erschwerend hinzu kommt, dass Kartelle, aber auch lokale Kaziken versuchen, Journalist*innen zu instrumentalisieren.
mehr »