Zwischen allen Fronten

Kolumbien: Journalistische Arbeitsverhältnisse wie in einer Soft-Drink-Fabrik

„Schusssichere Westen sind selbst für Reporter, die in den Konfliktzonen arbeiten, kein Standard“, erklärt Eduardo Marquez. „Der persönliche Schutz der Journalisten spielt kaum eine Rolle bei den großen Sendern und Verlagshäusern in Kolumbien“, kritisiert der 45jährige, der früher für das kolumbianische Nachrichtenmagazin Cromos, aber auch für die spanische Tageszeitung „El Pais“ gearbeitet hat.

Mittlerweile unterrichtet er Berufskollegen im Auftrag von „Medios para la Paz“ („Medien für den Frieden“), wie sie sich schützen können. Dabei geht es weniger darum, den Kollegen das Anlegen der Weste zu erklären, sondern sie auf ihre journalistische Sorgfaltspflicht aufmerksam zu machen und ihre Arbeitsbedingungen zu hinterfragen. Die sind in Kolumbien im Laufe der letzten Jahre immer schlechter geworden. Von der Universität weg werden die Nachwuchskräfte ins kalte Wasser geworfen. Einstiegslöhne von unter 700 US-Dollar sind die Regel und der Produktionsdruck ist extrem hoch, erzählt Jaime Barrientos sich an seinen Einstieg beim liberalen „El Espectador“ vor einigen Jahren erinnernd. Damals war die Tageszeitung noch weitgehend eigenständig.

Niedergang von „El Tiempo“

Dann wurde das Renommierblatt 1997 von der Konzerngruppe Santo Domingo übernommen. Anfangs wurde noch über den Aufbau von Regionalredaktionen diskutiert, um ähnlich wie der große Konkurrent „El Tiempo“ landesweit präsent zu sein. Neue Druckmaschinen sollten installiert und die Redaktion erweitert werden. Doch 1999 wurden bereits die ersten Kündigungsschreiben in der Redaktion ausgeteilt – vom Ausbau der Zeitung war keine Rede mehr. Heute fristet die ehemals renommierte Tageszeitung ein Nischendasein und erscheint nur noch am Wochenende. Längst haben die fähigsten Journalisten das Blatt verlassen, unter ihnen auch Barrientos, der mittlerweile beim Radio arbeitet und Ausschau nach einem Job als Pressereferent bei einer Nichtregierungsorganisation hält.

Seit Jahresbeginn kamen elf Journalisten ums Leben

Viele Kollegen sind wie Barrientos auf der Suche nach einer Nische, um der schlechtbezahlten redaktionellen Tretmühle zu entkommen. Verantwortlich dafür macht Eduardo M‡rquez den Konzentrationsprozess im Mediensektor. „Die Arbeitsverhältnisse gleichen denen in einer Fabrik, denn die großen Konzerne, die den Fernseh- und Radiomarkt weitgehend unter sich aufgeteilt haben, kommen nicht aus dem Mediensektor.“ Hinter CARACOL, nach RCN der zweitgrößte private Fernseh- und Radioanbieter, steht eine Konzerngruppe, deren wichtigstes Standbein die Bierproduktion ist. Hinter RCN hingegen ein Soft-Drink-Imperium. „Beide Konzerne haben die Arbeitsverhältnisse in ihrer Stammbranche auf den Journalisten übertragen und das ist schädlich für eine fundierte Berichterstattung“, analysiert Marquez. „Dem Reporter wird die Zeit für fundierte Recherche und für Weiterbildung nicht mehr zugebilligt, er verkommt zum Übermittler von Botschaften.“ Botschafter will M‡rquez nicht sein und deshalb gibt er lieber Seminare für Kollegen und den Nachwuchs an der Universität. So hofft er gemeinsam mit den Kollegen von „Medien für den Frieden“, einen Reflexionsprozess in der Branche anzuschieben. „Wir müssen uns darüber klar werden, welche Funktion die Medien in unserer fragmentierten Gesellschaft haben, beziehungsweise haben sollten“, fordert Gloria Moreno de Castro, Direktorin von „Medios para la Paz“. Druck wird von allen Seiten auf die Journalisten ausgeübt, von den Herausgebern, Chefredakteuren, aber eben auch von den bewaffneten Akteuren, in dem vom Bürgerkrieg geprägten Land.

Und immer wieder geraten Journalisten zwischen die Fronten. Erst im April starben zwei Journalisten des Senders RCN durch Schüsse der Armee oder Polizei, als sie die Entführung von zwölf Abgeordneten aus der Stadt Cali durch die FARC-Guerilla untersuchten. Und im Juli wurden zwei Journalisten schwer verletzt, als eine Bombe in einem Café in Medell’n detonierte. Die beiden Radioreporter hatten sich dort zu einem informellen Austausch mit Politikern getroffen. Elf Journalisten sind dem Internationalen Presse-Institut (IPI) zufolge seit Jahresbeginn in Kolumbien gewaltsam ums Leben gekommen – genauso viele wie im gesamten letzten Jahr.

Keine differenzierten Berichte

Längst sind die Journalisten zu militärischen Zielen der sich bekriegenden Paramilitärs und der Guerilla geworden. „Wer leidlich positiv über die einen schreibt, gerät in den Fokus der Anderen“, sagt Marquez. Listen von „befreundeten und feindlichen“ Journalisten führen alle am Bürgerkrieg beteiligten Organisationen, und differenzierte Berichterstattung ist nicht erwünscht. Die ist allerdings für „Medios para la Paz“ die Lebensversicherung der Journalisten. Die Organisation bietet Seminare an, in denen den Kollegen Grundwissen über die Ursachen des Konflikts vermitteln. „Viele Journalisten haben keine Ahnung von der Landfrage, die eine der Ursachen des Konflikts ist. Wie soll so eine hintergründige Berichterstattung entstehen“, fragt Seminarleiter M‡rquez. Ein verbindlicher Verhaltenskodex, eine gemeinsame Ausgangsbasis von Verlagen, Sendern und Journalisten, strebt er an, damit besser und informativer über den Konflikt berichtet wird. „Es kann nicht sein, dass sich Journalisten von Paramilitärs, Guerilla und Armee einladen lassen, damit die Auftraggeber Transportkosten sparen“, schimpft er. „Eine unabhängige Berichterstattung ist so nicht möglich und darunter leidet die Glaubwürdigkeit unserer Medien.“ Doch vor allem in privaten Sendeanstalten ist die Botschaft von „Medien für den Frieden“ noch nicht angekommen. Lediglich schusssichere Westen haben einzelne Redakteure bekommen.

 

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