dju-ler Christian Selz meldet sich aus der Township zu Wort
Wenn im dju-Bundesvorstand ein Meinungsaustausch auf der Mailingliste angesetzt ist, reicht die deutsche Landkarte für die Absender der „Blitzpost“ nicht: Seit September 2008 meldet sich auch eine Stimme aus Südafrika. Denn dorthin hat es Christian Selz verschlagen, der zusammen mit Konstantin Erb die Interessen der jungen dju-Mitglieder im Vorstand vertritt.
Seit Herbst lebt der 25-Jährige in der Walmer Township der Hafenstadt Port Elizabeth. Im schwarzen Armenviertel macht Selz die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für den Verein „Masifunde Bildungsförderung“. In seiner Freizeit reist er, taucht nach Hummern und Seeschnecken, schreibt Artikel für deutsche Medien und bloggt als „Dr. Selzam“ über seine Erlebnisse in Afrika. In der Township kickt er für die „Young Chiefs Walmer“. „Christian ist St. Pauli-Fan, auch wenn’s schlecht läuft, Angler, auch wenn kein Fisch anbeißen will – und wenn er nachts um drei geweckt wird, fällt ihm unter Garantie sofort ein Wortspiel ein“, meint Robin Avram, der mit ihm Fachjournalistik an der Hochschule Bremen studiert hat.
In der Township, einem typischen schwarzen Zwangswohnort aus der Zeit des Apartheid-Regimes, ist Selz „ganz unten“ angekommen. „Ganz unten“ ist ein Begriff, der für ihn eine besondere Bedeutung hat. Denn Günter Wallraffs Buch hat ihn sehr beeindruckt. Nach einigem Liebäugeln mit Lehrer, Architekt oder Kosmonaut hat er seine Wahl getroffen: „Ich fand den Journalismus praktischer, um die Welt in ihren Grundfesten zu erschüttern.“ Wenn er seine Gesprächspartner nach solch trocken formulierten Sätzen mit leicht schrägem Kopf und Pokerface mustert, stellt sich die Frage, für wie bare Münze das zu nehmen ist.
Wer ihn lange kennt, wie sein Kommilitone Avram, weiß, dass es zwar flapsig formuliert, aber ernst gemeint ist: „Christian ist bei allem, was er gerne tut, leidenschaftlich und beharrlich. Und weil er einen so ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hat, setzt er sich auch leidenschaftlich für Schwächere ein. Darin ähnelt er Günter Wallraff.“ Sein Vorbild hat er gleich zu Studienbeginn kopiert. Er verkleidete sich einen Tag lang als Bettler und schrieb darüber eine Selbsterfahrungs-Reportage. Den „Mann, der bei Bild Hans Esser war“, hat er bei einer Youth Media Convention auf dem Schiff von Kiel nach Oslo kennen gelernt. Sie haben sich so gut verstanden, dass sie in Oslo zum Jogging aufbrachen. Die Zeit haben sie dabei wohl etwas vergessen, denn sie schafften es erst in letzter Sekunde, wieder auf die „Kronprins Harald“ zu stürmen.
Als der Entschluss zum Journalismus feststand, sollte es ein spezifisches Studium sein. „Der Quereinstieg wäre ganz klar nur Plan B gewesen“, erinnert sich Selz. Der im Harz aufgewachsene Abiturient hatte eine klare Vorstellung: „Ich wollte möglichst in den Norden. Erste Wahl wäre wegen der Stadt und des FC St. Pauli Hamburg gewesen, aber dazu war mein 1,7er Abi zu schlecht. Also wurde es Bremen, was im Nachhinein eine weise Entscheidung war, weil das Studium qualitativ gut und interessant war, viele Kontakte und ein Auslandssemester in Kapstadt erschlossen hat und mich ganz gut in die Karrierespur geleitet hat.“
Doch Karriere ist für Selz nur die eine Seite, Gewerkschaftsarbeit die andere Seite des Journalistenlebens: „Ich bin kurz nach der ersten Vorlesung in die dju eingetreten, weil es für mich schlicht selbstverständlich ist, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Es ist doch einfach logisch, dass abhängig Geknechtete wie beispielsweise journalistisch freischaffende Studenten, wenn überhaupt, nur organisiert eine Stimme haben können.“ Klassenbewusstsein ist ihm wichtig: „Auch wenn ich nur auf Tasten hämmere, sehe ich mich da klar als Arbeiter.“ Daher die Entscheidung „für die große ver.di-Familie“. Und dann kommt wieder so ein flapsiger Satz und der Blick aus den Augenwinkeln: „Ich glaube, junge Studentinnen finden es außerdem total sexy, wenn man behaupten kann Gewerkschafter zu sein. Vielleicht sollten wir das mal kampagnentechnisch aufgreifen.“
Sein Engagement in der dju hat auch noch seriöse Gründe: Nicht nur die Honorare, sondern auch der Wildwuchs bei Praktika. Gemeinsam mit anderen, darunter Avram, dem ersten Jugendvertreter im dju-Bundesvorstand Björn Richter und dem „Erfinder“ des Praktikumknigges, Stefan Rippler, entwickelte er die Praktika-Offensive, die sich inzwischen als Bündnis von dju, DJV und Jugendpresse Deutschland etabliert hat.
Bis zum Herbst wird Selz die Pressearbeit für den auf Spenden angewiesenen Verein „Bildungsförderung Masifunde“ machen, der die Justizministerin zur Schirmherrin und das Ministerium für Zusammenarbeit sowie das South African-German Network (SAGE-Net) als Partner hat. „Masifunde“ kommt aus der Sprache der Xhosa und bedeutet „Lasst uns lernen!“ Das Projekt organisiert den Besuch begabter Kinder auf guten Schulen außerhalb des Armenviertels, kümmert sich auch um die Kinder auf der Township-Schule und will das Gemeinschaftsgefühl aller stärken.
Er würde gerne noch länger in Südafrika bleiben, denn er bewundert den Willen der Menschen zur Veränderung und die Kraft zur Vergebung nach den Verbrechen der Apartheid. Er liebt Kapstadt und seine Freundin dort. „Der Traum ist, hier irgendwann als freier Korrespondent zu überleben.“ Auf jeden Fall bis zur Fußball-Weltmeisterschaft.
Links und Spenden
www.sage-net.org/
Spenden: Masifunde Bildungsförderung e.V.
Kontonummer 160 585 6
BLZ 509 500 68
Sparkasse Bensheim