Schutz vor zu viel Stress im Job

collage Stress Regenschirm

Foto: 123rf

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.

Der Medienwissenschaftler, Soziologe und Journalist Stephan Weichert hält dem entgegen: „Es muss bei allem, was geschieht, auch darum gehen, mental stark zu bleiben und Schutzmechanismen zu erarbeiten.“ Weichert führt zusammen mit Alexander von Streit die Geschäfte von VOCER, einem Institut, das sich vorgenommen hat, journalistisch und digital Arbeitenden und ebensolchen Unternehmen den Ansatz der „digitalen Resilienz“ nahe zu bringen. Zugleich will VOCER qualitativen Journalismus als Fundament von Demokratie zu stärken.

Das VOCER Institut für Digitale Resilienz

begleitet Unternehmen und Organisationen durch den digitalen Medienwandel. Unterstützt von wissenschaftlichen Studien und Trendforschung bieten sie Weiterbildung und Beratung an, um Journalist*innen resilienter zu machen.

Beratung, Seminare, Begleitung

Ob in Form individueller oder kollektiver Beratung, als Seminar oder langfristige Begleitung: Der Bedarf nach einem Abbau von multiplen Belastungen und nachhaltigen Lösungen, die auch den aktuellen Braindrain im Feld stoppen, sei gigantisch, sagt Weichert vor dem Hintergrund der Erfahrungen bei VOCER. Und er ist vor allem seit dem Beginn der Corona-Pandemie enorm gestiegen. Zum einen sei eine spezielle Ermüdung und Erschöpfung im Zusammenhang mit der Vielzahl digitaler Formate, die den Arbeitsbereich vor dem Monitor strukturieren, bemerkbar. „Viele wollen nicht mehr in Zoom-Konferenzen sitzen, die Zeit vor dem Bildschirm dehnt sich so immer weiter aus. In unseren Beratungen und Seminaren hat sich manifestiert: Wir müssen wieder stärker ins Gespräch gehen und auch wieder mehr in die physische Begegnung“, erklärt Weichert.

Zur digital fatigue, der „digitalen Müdigkeit“ kommt erschwerend hinzu, dass der steigende ökonomische Druck durch höhere Kosten und sinkende Nutzer*innen-Zahlen in vielen Medienhäusern an die Belegschaft durchgegeben wird. Und wo bei regelmäßigen Massenentlassungen auch gewerkschaftlicher Widerstand an seine Grenzen gerate, werde andererseits gemeinnütziger Journalismus in Haushaltsprogrammen oder in der Förderungslandschaft nicht annähernd so berücksichtigt, wie er es als demokratieerhaltendes Element bräuchte, kritisiert der Medienwissenschaftler.

Wider die Nachrichtenmüdigkeit

„Wir kämpfen für den Berufsstand, gerade jetzt in demokratiegefährdeten Zeiten und wir erleben viel Dankbarkeit für unsere Angebote, also ist auch klar, hier müsste viel mehr passieren, gerade in der Aus- und Weiterbildung.“ Die besonders ernste Krisen- und Nachrichtenlage mache auch mehr seriöse journalistische Aufbereitung und Auseinandersetzung nötig, sagt Weichert – „Feel-Good-Journalismus“ sei hingegen keine Lösung. Was inzwischen als Konstruktiver Journalismus gelabelt werde, so Weichert in einem Gespräch mit den Podcaster*innen Henriette Heidbrink und Lars Rademacher, stelle sich häufig als unterkomplex dar. Zwar würden Lösungen ins Zentrum gestellt, die Menschen sich auch wünschten, zugleich neige man in dem Rahmen schnell dazu, Menschen zu bevormunden. Dazu komme News-Burnout und die Tendenz zur Nachrichten-Vermeidung, soziale Medien als alleinige Quelle von vermeintlichen Informationen.

Psychische Dauerbelastung

Die Frage laute vielmehr, wie es gelingen kann, dass sich Journalist*innen nicht in schwierigen Themen verfangen oder sich zu stark damit identifizieren, so dass sie angreifbarer sind für damit verbundene Angriffe, ob verbal, physisch, vor allem aber im Netz: „Die wahnsinnig schlechte Resonanz und Verunglimpfung von Journalisten in den sozialen Netzwerken und in Kommentaren, zusammen mit der ohnehin schon bestehenden Belastung, in dieser Gleichzeitigkeit liegt der Grund für die mentale Angegriffenheit“, meint Weichert. Das heißt auch, die psychische Dauerbelastung rührt nicht vorrangig aus den aufzubereitenden Inhalten – denn die sind nunmal der journalistische Gegenstand.

Hier sei ein stärkerer Aufbau von Solidarität in den Redaktionen, eine Stärkung von Teams hilfreich – über Netzwerke und das direkte Gespräch, so der Ansatz von VOCER. „Die Leute brauchen Halt, sonst fühlen sie sich schnell verloren und orientierungslos, es beginnt das Kopfkino, es wird psychisch immer schlechter und das wirkt sich am Ende auch auf die Berichterstattung und die Inhalte aus – ein Teufelskreis“, erklärt Weichert. Er findet, dass bei dem Thema gerade Gewerkschaften eine stärkere Rolle spielen sollten. „Gewerkschaften stehen etwas entfernt vom politischen und auch vom redaktionellen und medialen Geschehen und könnten diese Themen noch stärker sichtbar machen, sich stärker dafür engagieren. Das passiert in meinen Augen derzeit zu wenig.“


Mehr zum Thema lesen Sie in unserem Themenheft Mental Health im Journalismus.

 

 

 

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