Der Wahlkampf: Was macht Sinn? Was kommt an? Wissenschaftler der Uni Hohenheim beobachten das Zusammenspiel von Parteien, Kandidaten und Wählern. Frank Brettschneider beleuchtet für M bis zum Wahltag am 24. September fünf Themen. Heute: die Bedeutung von Spitzenkandidaten und Themen.
Der Schulz-Hype zu Beginn des Jahres – und dann der Absturz des SPD-Spitzenkandidaten. Die Konzentration der CDU auf Angela Merkel. Zumindest bei CDU und SPD stehen die Spitzenkandidaten im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit. Und auch die FDP setzt ganz auf ihren Vorsitzenden Christian Lindner. Grüne, Linke und die AfD treten hingegen jeweils mit einem Spitzen-Duo an.
Die Personalisierung von Wahlkämpfen hat es schon immer gegeben. Der Grund ist einfach: Kandidaten verleihen dem Programm ihrer Partei Gesicht und Stimme. Erfolgreich sind Parteien aber nur dann, wenn der Kandidat bzw. die Kandidatin zu den Themen der Partei passt. Willy Brandt und die Ostpolitik, Helmut Kohl und die Wiedervereinigung. Mit diesen Themen haben die Kandidaten ihr Profil geschärft. Solche grundsätzlichen und polarisierenden Themen werden immer seltener. Die Agenda 2010 und die Flüchtlingspolitik waren die vorerst letzten Themen dieser Art. An der Agenda 2010 ist Schröder gewachsen – und die SPD fast gescheitert. Und mit der Flüchtlingspolitik aus dem Jahr 2015 hat Angela Merkel an Profil gewonnen – aber auch einige traditionelle CDU-Wähler an die AfD verloren.
Champions-League gegen Kreisklasse
Nach wie vor orientieren sich viele Wählerinnen und Wähler in Deutschland an ihrer langfristigen Parteibindung. Der Anteil dieser Stammwähler wird aber immer kleiner. Der Anteil der Wechselwähler wächst. Sie bewerten Kandidaten anhand mehrerer Dimensionen: Themenkompetenz, Integrität, Leadership-Qualitäten und unpolitische Merkmale. Die Wahlanalysen für die letzten 50 Jahre zeigen: Am wichtigsten sind – alles in allem – die wahrgenommene Themenkompetenz und die Integrität. Am unwichtigsten sind die unpolitischen Merkmale. Über sie reden die Menschen zwar gerne am Grillabend, am Stammtisch oder im Gespräch mit Nachbarn – in der Wahlkabine spielen sie aber keine Rolle.
Welche Themen im Mittelpunkt der Wahlentscheidung stehen, hängt stark von der Medienberichterstattung ab. Jene Themen, über die unmittelbar vor der Wahl häufig berichtet wird, werden dann auch von vielen Wählerinnen und Wählern als wichtig und relevant eingestuft. Die Wähler ziehen dann die vermeintliche Kompetenz der Kandidaten und Parteien bei genau diesen Themen heran. Anders formuliert: Den Grünen nützt es, wenn unmittelbar vor der Wahl häufig über Umweltthemen berichtet wird. Das ist derzeit kaum der Fall und für die Grünen ein großes Problem. Der SPD nützt es, wenn häufig über soziale Gerechtigkeit berichtet wird. Der CDU nützt es, wenn häufig über Sicherheit, Wohlstand und Stabilität berichtet wird. Der AfD nützt es, wenn viel über Zuwanderung berichtet wird.
Kandidaten alleine bringen wenig. Das Platzen der Schulz-Blase zeigt das deutlich. Nach dem anfänglichen Hype hat Martin Schulz einiges falsch gemacht. Er hat die positive Aufmerksamkeit nicht rechtzeitig genutzt, um auch eigene Themen zu transportieren. Vor allem aber hat er sich selbst von einem angesehenen EU-Politiker zum „Bürgermeister aus Würselen“ gewandelt. Offenbar war seine Angst groß, vor dem EU-Hintergrund bei den Wählern nicht punkten zu können. Daher hat er seine Herkunft aus der Kommunalpolitik wieder und wieder betont. Damit wurde das Duell zu einem Gegensatz zwischen guter Kreisklasse (Schulz) und Champions-League (Merkel), denn Merkel hob immer wieder ihre Gespräche mit Regierungschefs anderer Länder hervor.
Stabilität oder Befindlichkeiten
Angela Merkel punktet vor allem damit, dass sie als Garantin für Stabilität und Verlässlichkeit gilt. Da geht es weniger um ein konkretes Thema, sondern um die Art und das Ergebnis des Regierens. In international turbulenten Zeiten kommt diese Stabilität bei vielen Wählern gut an. Der präsidentielle Stil Angela Merkels betont ihre Funktion als Sachwalterin deutscher Interessen in der Welt. Die positive Beurteilung der Wirtschaftslage in Deutschland liefert zudem anderen Parteien kaum einen Ansatzpunkt, ihre Ablösung zu fordern.
Die Spitzen-Duos bei den Grünen, der Links-Partei und bei der AfD sind im Wesentlichen ein Zugeständnis an innerparteiliche Flügel oder Befindlichkeiten. Das gilt vor allem für die Links-Partei und für die AfD. Und die Grünen tun sich auf der Bundesebene traditionell schwer mit herausragenden Spitzenpolitikern. So schlug dem äußerst erfolgreichen Joschka Fischer immer auch innerparteiliche Skepsis entgegen. Die Grünen versuchen, diese Skepsis durch ein Team aufzufangen. Cem Özdemir gelingt es gut, die Grünen zu repräsentieren. Dass die Grünen auf Bundesebene nicht mehr mit ihrem Schwergewicht Winfried Kretschmann unterwegs sind, ist hingegen ein Fehler.
Prof. Dr. Frank Brettschneider ist Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim.
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