20 000 Filmrollen gerettet

Nationale Initiative für das Filmerbe und ausreichende Finanzierung notwendig

Kinofilme stehen für 120 Jahre deutscher Film- und Zeitgeschichte. Dieses Erbe würdigt die Politik bisher wenig. Das betrifft nicht nur die Bestände des Bundesarchivs Filmarchiv und der Kinematheken. Der Nachlass eines 2008 pleitegegangenen Kopierwerks veranlasste die AG Dokumentarfilm zu einer Rettungsaktion und zum Nachdenken über den Umgang mit dem Filmerbe überhaupt.

Fachgerechte Archivierung sieht anders aus – tausende Filmdosen lagerten in den Kreuzberger Kellern der „Höfe am Osthafen“ Foto: Jürgen Heinrich
Fachgerechte Archivierung sieht anders aus – tausende Filmdosen lagerten in den Kreuzberger Kellern der „Höfe am Osthafen“
Foto: Jürgen Heinrich

Als man noch ausschließlich auf Film drehte, wurden die wertvollen Originalnegative, Schnittreste und Rückläufer-Kinokopien im Kopierwerk eingelagert. So fanden sich, als die Berliner Film und Video Kopier GmbH 2008 insolvent wurde, dort 25.000 Filmrollen. Von Klassikern wie der „Feuerzangenbowle“ über den Berlinale-Hit von 2008 „Yella“ bis zu Pornos. Dokumentaristen und Filmhochschulen waren Kunden des billigsten Kopierwerks im Lande. Angesichts des in 25 Jahren aufgehäuften Filmlagers verlangten Hauseigentümer und Verwaltung 750 Euro pro Film für die Herausgabe.
„Die Branche operiert am Limit. Für einen Dokumentarfilmproduzenten ist das viel Geld“, kommentiert Thorolf Lipp von der Berliner AG Dok. Gemeinsam mit dem Medienboard Berlin Brandenburg, der Filmförderungsanstalt (FFA) und anderen konnte 2008 eine Erfassung des Bestandes und die Herausgabe für nur noch 2,50 Euro pro Rolle erreicht werden. Dann kehrte Stille ein. Tausende Filmdosen lagerten seither in ungeeigneten Kellern der Kreuzberger „Höfe am Osthafen“.

In kompetente Hände. Anfang 2014 nahm der Filmverband den Faden nochmals auf. Die Hausverwaltung wollte offenbar weder die weitere Lagerhaltung noch die Vernichtung finanzieren – womit man sich obendrein Klagen der Rechteinhaber eingehandelt hätte. Zur Überraschung von Thorolf Lipp und des AG DOk-Anwalts Andreas Schardt gab das Bundesarchiv Filmarchiv, das die Bewahrung des deutschen Kinoerbes und die Bereitstellung für Aufführungen und Forschungen betreut, im Juni 2014 die noch etwa 20.000 Rollen kurzfristig in kompetente Hände. Im Filmlager in Berlin Wilhelmshagen kann durch die AG DOK „nun Ordnung in die Wundertüte gebracht werden“, ermuntert Archivleiter Karl Griep.
„Wir fangen jetzt an, zu inventarisieren. Unser vordringliches Ziel ist natürlich, das Material den rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben“, so Thorolf Lipp. „Wenn wir die 500 Quadratmeter mieten müssten, die uns das Filmarchiv zur Verfügung stellt – das hätten wir nicht stemmen können“, so Lipp. Eineinhalb Jahre werden rund 20 Freiwillige der Berliner AG Dok auch einen schnellen Blick auf den Zustand des Materials riskieren, das zum Teil in angerosteten Dosen oder unverpackt ist.
Im Grunde geht es aber um den Erhalt des Filmerbes insgesamt. „Das kann die AG Dok nicht alleine, das kann auch das Bundesarchiv nicht allein. Wir haben in unserer Verantwortung etwa 1,1 Mio. Rollen – etwa 150.000 Filmtitel. Wir werden auch zukünftig analoge Materialien übernehmen. Die große Aufgabe ist, dieses Erbe nutzbar zu halten“, beschreibt Karl Griep die digitale Herausforderung. Erste Digitalerfahrungen machte das Archiv bereits 1994/95 mit der Restaurierung des „Wintergartenprogramms“ der Brüder Skladanowsky zum 100. Kinojubiläum. Inzwischen bringt man Perlen der Kinogeschichte digital ins Kino. „Mit dem Budget, das uns derzeit zur Verfügung steht, ist diese Aufgabe aber nicht zu stemmen“, schränkt Griep Erwartungen ein.
Die AG Dok sieht politischen Handlungsbedarf. „Als Filmverband können wir jetzt gegenüber der Politik den Finger in die Wunde legen. Das Filmerbe ist Teil des kulturellen Gedächtnisses und nicht nur eine wirtschaftliche Privatveranstaltung“, meint Lipp. Er fragt: „Was bedeutet der Zivilgesellschaft/Politik dieses Erbe? Wie viel seid ihr bereit, dafür an Ressourcen frei zu machen?“ Antworten dürfe man, gerade was den Zelluloidfilm anbelangt, nicht auf die lange Bank schieben. Die Diskussion müsse endlich in Gang kommen.

Zu wenig Geld für Digitalisierung. Das 2012 von der Filmförderungsanstalt FFA aufgelegte Programm „Digitalisierung von Content“ hilft nur begrenzt. Maximal 15.000 Euro plus mindestens 20 Prozent Eigenanteil des Rechteinhabers reichen laut Experten nicht für Kopien in der geforderten digitalen Kino-Qualität und eine entsprechende Datensicherung. Immerhin brachte die FFA seither 125 Projekte, von Gerhard Lamprechts „Emil und die Detektive“ (1931) bis Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ (1982), auf den digitalen Weg.
Die dafür vergebenen 1,6 Mio. Fördereuro reichen nicht hin und nicht her. „Um den drohenden Untergang unserer Bestände abzuwenden, werden bis zum Ende dieses Jahrzehnts Investitionen von etwa 500 Millionen Euro benötigt.“ Das stellt die Online-Petition „Unser Filmerbe ist in Gefahr“ fest. Die Initiatoren Klaus Kreimeier, Jeanpaul Goergen und Helmut Herbst und 5.300 Unterzeichner verweisen auf Frankreich, wo ein Sechsjahres-Programm zur Digitalisierung mit 400 Mio. Euro ausgestattet wurde. Sie fordern eine ausreichende Finanzierung der Film-Digitalisierung und des Bundesarchivs sowie eine nationale Initiative für das Filmerbe. Damit auch künftige Generationen ihren Spaß am boxenden Känguru aus dem Wintergarten haben können – und dem vielen Spannenden, Lustigen und Informativen, das sich seit der Kino-Frühzeit auf Film, Band, Festplatte und Speicherchips angesammelt hat.

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