Als vor 40 Jahren eine kleine Medienrevolution begann
Als in der Nähe der elsässischen Gemeinde Heiteren im Juni 1977 Atomkraftgegner im Dreiländereck zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz einen Piratensender in Betrieb nahmen, leitete das eine kleine Medienrevolution auch in Deutschland ein. Bald gab es etliche freie, selbstorganisierte und nichtkommerzielle Radios, die noch bis heute in einigen Städten zu hören sind.
Es war eine zwölfminütige Radiosendung, die am 4. Juni 1977 im Elsass Geschichte schrieb. Erstmals ging auf einem besetzen Gelände in der Nähe des Atomkraftwerks Fessenheim am Oberrhein „Radio Verte Fessenheim“ auf Sendung, das später in Radio Dreyeckland (RDL) umbenannt wurde. Wöchentlich informierten die Besetzer auf Französisch, Deutsch und Alemannisch beidseits der deutsch-französischen Grenze von ihrem und anderen Kämpfen und zeigten ökologische Alternativen auf. Die Antenne war symbolträchtig am besetzten Strommast der französischen Elektrizitätsgesellschaft EDF montiert. Grenzübergreifend sollte hier verhindert werden, dass Strom aus dem umkämpften Kraftwerk nach Paris geliefert wird.
Diese Schlacht ging verloren. Es zeigte sich aber, dass man nun über ein „praktisches Mittel“ verfügte, um eigene Informationen in einer von öffentlich-rechtlichen Sendern beherrschten Rundfunklandschaft zu verbreiten. Unterstellt wurde, dass vieles „in den bürgerlichen Medien verschwiegen und verfälscht wurde.“ Man habe es mit einem „monopolistischen System zu tun, in dem die Ätherwellen voll unter Kontrolle des Staates waren“, so der Freiburger RDL-Geschäftsführer Michael Menzel, Aktivist der ersten Stunde. In Freiburg wurde die Presselandschaft zudem von nur einer Zeitung beherrscht. Deshalb habe man selbst zu Mikrophon, Sender und Antenne gegriffen, „um sich Gehör zu verschaffen“.
In der Folge wurden immer öfter Sender bei Fabrikbesetzungen im Elsass, im Freiburger Häuserkampf und im erfolgreichen Kampf gegen das geplante Atomkraftwerk im badischen Whyl eingesetzt. RDL verfügte bald über feste Redaktionen in Mulhouse, Freiburg, Basel, Colmar, Straßburg und Hagenau. Radio Freies Wendland sendete 1980 von vor Ort bis zur Räumung des besetzten Geländes, auf dem ein Atomendlager entstehen sollte. Noch heute wird der Sender bei Castortransporten aktiv. Die durch Polizeieinsätze stark beschädigte erste Sendeanlage kann im Deutschen Technikmuseum in Berlin bestaunt werden.
Aus diesen Kämpfen hat sich derweil das entwickelt, was auch als „dritte Säule“ im Rundfunk bezeichnet wird. Vielen sind die Hintergründe vermutlich nicht bekannt, die heute am „nichtkommerziellen Rundfunk“ mitwirken, wo es neben freien Radios auch Hochschulradios gibt, dazu offene Kanäle und Bürgerfunk. Sie alle haben, wie schon die Aktivist_innen am Oberrhein, das Ziel, allen einen direkten Medienzugang zu bieten. Die Radios sind meist selbstorganisiert und werden durch ehrenamtliche Arbeit betrieben.
Dass die basisdemokratischen und selbstverwalteten Freiburger zu Vorkämpfer_innen wurden, hat nicht nur mit ihrer Hartnäckigkeit zu tun. Die Grenzlage begünstigte stark, dass die Piraten nicht wie andere wieder in der Versenkung verschwanden. Ein Grund dafür war der französische Sozialist François Mitterand, denn auch er war einst Pirat und hatte im Wahlkampf 1981 in Paris einen Piratensender betrieben. Er ließ die Strafverfolgung einstellen und das geltende Mediengesetz ändern.
So konnte Radio Dreyeckland nach seinem Wahlsieg im Elsass verschiedene Studios aufbauen. Aus dem „Exil“ sendete die Freiburger Redaktion zwei Sendungen pro Woche aus Colmar über die Grenze. Hörerbeteiligung wurde per Telefon realisiert. Schnell wurde aber klar, dass man dem Anspruch auf eine umfassende alternative Berichterstattung – unter Einbindung der Hörer_innen – so nicht gerecht werden konnte. Da gleichzeitig mit dem Start des Privaten Rundfunks am 1. Januar 1984 die Liberalisierung des Hörfunks in Deutschland begann, wurden auch bei RDL Legalisierungsschritte gegangen. Ein Freundeskreis wurde zur Finanzierung über Mitgliedsbeiträge und Spenden gegründet und die Sendezeit ausgeweitet.
„Wenn wir ein reguläres Programm wollen, an dem die Leute teilnehmen, müssen wir das dort machen, wo sie wohnen, leben und arbeiten“, erklärt RDL-Geschäftsführer Menzel die damaligen Überlegungen. Als die CDU-Landesregierung in Baden-Württemberg im „Radiofrühling“ 1985 kommerzielle Privatradios lizenzierte, stellte auch RDL einen Antrag, da man sich dazu besonders legitimiert sah. Doch der wurde, wie später ein zweiter, abgewiesen. Unter dem Motto: „Werd´ zum Äthertäter“ wurde daraufhin per „Frequenzbesetzung“ aus der Grether Fabrik in Freiburg gesendet. Nach fünf Tagen wurde der „Radiofrühling“ gewaltsam durch einen massiven Polizeieinsatz unterbrochen, jedoch der Sender nicht gefunden. Und da man den „Äther nicht räumen kann“, wie der Slogan lautete, wurde danach weiter gesendet. Live-Sendungen wurden von vielen Unterstützern geschützt. Und aus dem Frühling wurde ein Sommer und dann ein Herbst, in dem die Sendezeit sogar auf sechs Stunden täglich ausgeweitet wurde, obwohl Aktivist_innen observiert, festgenommen und zum Teil auch wegen „Beihilfe zum illegalen Senden“ angeklagt wurden.
Nach mehr als zehn Jahren im „Untergrund“ erhielt RDL 1988 durch die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) auch eine Lizenz in Deutschland. Jedoch durfte RDL nur wenige Stunden senden und wurde zudem auf zwei Frequenzen verteilt, die mit anderen geteilt werden mussten. Verbunden waren damit hohe Post-Gebühren, die man in Freiburg aber bald erfolgreich abwehren konnte. Erst am 23. Juli 1988 sendet RDL erstmals legal – weiter aus der Grether Fabrik. Als in der Folge der Mitbewerber seinen Frequenzantrag zurückzog, erhielt RDL die geforderte Vollfrequenz und ist seither auf 102,3 MHz zu hören.
„Radio Dreyeckland war das Vorbild, nach dem man auch in Nürnberg ein freies Radio aufbauen wollte“, erklärt Michael Liebler. Er saß bis zum vergangenen Jahr im Vorstand von Radio Z und blickt zurück auf die 1980er Jahre, als sich 1984 die Radioinitiative „R.A.D.I.O. e. V.“ gegründet hatte. Hier flossen auch Erfahrungen des „Querfunk“ ein, ein Piratensender aus Erlangen. Gerichtlich erstritten sich die Nürnberger zunächst eine Probe-Sendegenehmigung und dann eine Lizenz, die man sich bis heute mit einem kommerziellen Sender teilen müsse. Seit Dezember 1987 ist Z in der Region um Nürnberg, Fürth, und Erlangen auf Sendung und feiert nun seinen 30. Geburtstag auf der 95,8 MHz.
Stets gab es auch andere Widersprüche und Unterschiede unter den mehr als 30 Radios, die im Bundesverband Freier Radios (BFR) zusammengeschlossen sind. Sie sind über ein Internetportal vernetzt, über das Beiträge, Sendungen und Interviews ausgetauscht werden, um begrenzte Ressourcen besser zu nutzen. War RDL strikt werbefrei, finanzierte Z eine Zeit lang einen kleinen Teil seiner Ausgaben und „in geringem Maße redaktionelle Arbeit“ darüber. Das kann der Sender heute nicht mehr leisten, was Liebler als „Manko“ bezeichnet und deshalb anregt, die Vernetzung zu verstärken. Beide Modelle haben sich angenähert. Nun ist auch Z werbefrei. Dafür werde in Freiburg redaktionelle Arbeit nicht mehr ausschließlich ehrenamtlich geleistet, um auch ein Morgen- und ein Mittagsmagazin senden zu können, so der RDL-Geschäftsführer. „Um heute ein auch nur geringes Einkommen zu erzielen, muss deutlich mehr Zeit aufgewendet werden als früher“, beschreibt Menzel veränderte Rahmenbedingungen. Heute gebe es zudem immer weniger Freiheiten im Studium, „was es erschwert, Studenten ins Programm zu involvieren“.
Konfliktfrei ist das Verhältnis mit den Behörden nach wie vor nicht. Streit gab es zuletzt um Gebühren für Z in Bayern und um die Finanzierung von Radio Dreyecksland, dessen Förderung aus den Rundfunkgebühren für zu gering erachtet wird. Insgesamt sehen Menzel und Liebler die Radios trotz Internet-Konkurrenz bei guter Gesundheit. „Dass neue Medien hinzukamen, hat nie dazu geführt, das alte abgeschaltet wurden“, meint Menzel. Die lokale Nähe zu den Hörer_innen, deren Teilnahme am Projekt und die Intervention in politische Vorgänge seien weiter ein zukunftsträchtiges Modell, ist man überzeugt. Radio Dreyeckland feierte kürzlich nun den 40. Geburtstag. Es wird das Atomkraftwerk Fessenheim überleben, dessen Abschaltung längst auf der Tagesordnung steht.