Alles digital! Vergütungen real?

Rechteregelung für Online-Bibliotheken in entscheidender Phase

Seit dem Aufschrei vor zwei Jahren ist es ruhig geworden um das Google Book Settlement. Dabei gibt es immer noch kein Ergebnis. Die Digitalisierung der Bibliotheksbestände geht aber munter weiter – auch in Europa. Hier ist die Rechteregelung jetzt in der entscheidenden Phase. Dabei geht es nicht zuletzt um die Urheberrechte und Vergütungen der Autorinnen und Autoren.

Nach jahrelangen Diskussionen, Verhandlungen und Kubikmetern an Papieren, begleitet vom europaweiten Lobbying „interessierter Kreise“, hat die EU-Kommission am 24. Mai 2011 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Nutzung verwaister Werke vorgelegt. Bei diesen Orphan Works geht es beispielsweise um Bücher oder Zeitschriftenartikel, die urheberrechtlich geschützt, deren Autoren aber unbekannt sind oder sich nicht auffinden lassen.

Ohne Urheberangaben verwaist

Die EU will das „kulturelle Erbe Europas“ digitalisieren, um Millionen Bücher und andere Publikationen, Fotografien, Tonaufnahmen, Filme und Kunstwerke über die Multimedia-Online-Bibliothek Europeana im Verbund mit 1.500 Kulturinstitutionen der 27 Mitgliedsstaaten per Internet nutzbar zu machen. Ende 2010 waren unter www.europeana.eu aber erst 1,2 Millionen Bücher aufrufbar, davon fünf Prozent aus deutschen Bibliotheken. Zum Vergleich: In den USA und anderen Ländern hat Google bisher 15 Millionen Bücher digitalisiert.
Das hat viel mit finanziellen Mitteln, aber auch mit verwaisten Werken zu tun. Schätzte man anfangs bis zu 20 Prozent der urheberrechtlich geschützten Bestände in Europas Nationalbibliotheken als „verwaist“ ein, meldete die British Library gerade 43 Prozent. Der Deutsche Bibliotheksverband schätzt, dass „ein sehr großer Teil der Titel in deutschen Bibliotheken ‚verwaist’ ist. Das Problem ist also enorm.“
Und damit der Druck auf eine rechtliche Regelung. Dafür liefert der Richtlinienentwurf der EU-Kommission die Grundlage, allerdings mit einigen Kinken aus Sicht der Urheberverbände. Zu oft geht es dort um Rechteinhaber, wo es um die Rechte der Urheber gehen sollte und der „sorgfältigen Suche“ nach ihnen, bevor ein Werk als verwaist eingestuft werden darf. Bei der Suche selbst fehlen solche Quellen, die über Aufenthaltsorte nicht auffindbarer Urheber Auskunft geben könnten (Autoren- und Journalistenverbände etwa werden nur für Zeitungen und Publikumszeitschriften genannt). Größter Kritikpunkt ist allerdings, dass eine Vergütung für die Digitalisierung und Online-Veröffentlichung nationalen Regelungen überlassen bleiben soll.
Verwaist bedeutet aber nicht, dass es keine lebenden Urheber gibt, sondern nur, dass sie nicht im Werk genannt oder nicht mehr auffindbar sind. Die Europäische Journalisten-Föderation fordert deshalb, dass in die EU-Richtlinie eine Verpflichtung zur Urheberangabe bei Veröffentlichungen aufgenommen werden muss, damit künftig nicht wieder Millionen Werke verwaisen. Fehlende Autoren- und Fotografennamen sind nicht nur in deutschen Tageszeitungen eine verbreitete Unsitte.

„Freier Zugang“ ohne Vergütung?

Die Deutsche Literaturkonferenz hat unter Beteiligung aller maßgeblichen Verbände und Organisationen – auch der Bibliotheken – im Oktober 2009 einen Vorschlag vorgelegt, wie die Digitalisierung verwaister Werken rechtlich ermöglicht werden sollte. Kernelemente sind die sorgfältige Suche nach einem gemeinsam entwickelten Suchplan, eine Freistellungserklärung der VG Wort gegenüber den Bibliotheken und die Zahlung einer angemessenen Vergütung. Eigentlich sollte dies im Rahmen des „Dritten Korbs“ der Urheberrechtsreform mit erledigt werden, doch der Gesetzentwurf aus dem Bundesjustizministerium ist überfällig. Dafür hat die SPD auf dieser Grundlage einen Gesetzesantrag in den Bundestag eingebracht.
Es gibt aber durchaus andere Vorstellungen, wie eine Bundestagsanhörung am 16. September deutlich machte. Nicht nur in den Anträgen der Grünen und Linken geht es primär um den „freien Zugang“ durch eine neue „Schrankenregelung“, sprich ohne Verwertungsgesellschaften und in der Regel ohne Vergütung. Die Verwalter öffentlicher Kassen dürfte dies freuen, Googles Collaboratory ist begeistert.
Welche Regelungen für verwaiste und vergriffene Werke in Deutschland und in der EU zum Tragen kommen und was dabei von den Urheberrechten und Vergütungen der Autoren bleibt, entscheidet sich in den nächsten Monaten.

Einigung über vergriffene Werke

Für die Digitalisierung nicht mehr lieferbarer Werke (Out of Commerce Works) haben sich die europäischen Verbände der Autoren, Rechteinhaber und Bibliotheken auf ein gemeinsames Memorandum geeinigt, das am 20. September von ihnen und EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier unterzeichnet wurde. Es regelt die Grundprinzipien für die öffentliche Zugänglichmachung und kollektive Lizenzierung vergriffener Werke, inklusive des Rechts zum Opt-out aus solchen Lizenzvereinbarungen.
Zurück zum Google Settlement. Nach zweimaligem Scheitern hat das Gericht den Parteien am 15. September eine letzte Einigungsfrist bis zum 12. Dezember 2011 gesetzt. Parallel haben die Schriftstellerverbände Australiens, Quebecs, Großbritanniens und der USA Klage gegen mehrere US-Universitäten wegen der Scans von Millionen Büchern eingereicht. Selbst wenn es noch zur Einigung über das Settlement kommt, werden Bücher und andere Schriften aus Ländern wie Deutschland nicht davon erfasst sein. Sie wurden aber in großer Anzahl von Google digitalisiert. Was mit ihnen geschieht, ist bisher völlig unklar.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Komplett-Verweigerung der Rundfunkpolitik

Nachdem die Ministerpräsident*innen am heutigen Donnerstag zur Rundfunkpolitik beraten haben, zeichnet sich ein düsteres Bild für die öffentlich-rechtlichen Medien, ihre Angebote und die dort Beschäftigten ab. Beschlossen haben die Ministerpräsident*innen eine Auftrags- und Strukturreform und einen ab 2027 geltenden neuer Mechanismus zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags. Nicht verabschiedet wurde jedoch der fällige Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
mehr »

KI: Menschen wollen Regeln

Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland sorgen sich einer Umfrage zufolge um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn Künstliche Intelligenz (KI) im Spiel ist. 90 Prozent der Befragten fordern dazu klare Regeln und Kennzeichnungen. Dies ergab eine am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Studie der Medienanstalten. Für die repräsentative Erhebung "Transparenz-Check. Wahrnehmung von KI-Journalismus" wurden online 3.013 Internetnutzer*innen befragt.
mehr »