An vorderster Front für die Future Children

Eine der "Frontfrauen": Pepper in Hongkong. Foto: Camino Filmverleih

Der Dokumentarfilm „Dear Future Children“ begleitet drei junge Frauen, die in ihren Heimatländern Chile, Uganda und Hongkong für eine bessere Zukunft kämpfen. Ihr Einsatz ist zum Teil lebensgefährlich, wie der Streifen mit beeindruckenden und manchmal verstörenden Bildern zeigt. Und auch die Filmemacher selbst waren Angriffen ausgesetzt. Kameramann Friedemann Leis brichtete darüber jetzt bei einem vom DGB organisierten Screening.

„Frontline“ ist ein Begriff, der immer wieder fällt in diesem Film. An vorderster Front stehen die jungen Frauen Rayen aus Santiago de Chile und Pepper aus Hongkong bei den Demonstrationen gegen die Machthaber in ihren Ländern. „Dear Future Children“ begleitet sie auf die Straßen ihrer Städte und lässt sie dabei ausführlich über ihr engagement für Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu Wort kommen. Immer wieder werden die Zuschauer*innen dabei mit Szenen brutaler Polizeigewalt konfrontiert.

Hilda spricht in Kopenhagen für ihr Heimatland. Foto: Camino Filmverleih

Auch die Studentin Hilda aus Kampala kämpft für eine bessere Zukunft. Als Gründerin von Fridays for Future setzt sie sich in ihrem Heimatland Uganda für Klimaschutz ein. Im Film spricht die Aktivistin unermüdlich über die Folgen des Klimawandels und verknüpft ihre Warnungen mit ihrer eigenen Geschichte: Wegen Wassermangels musste die Familie aus ihrem Heimatdorf fliehen, als Hilda elf Jahre alt war.

„Dear Future Children“ zeigt junge Frauen, die auch in teilweise lebensbedrohlichen Situationen für die Zukunft ihrer Stadt und ihres Landes kämpfen. Wie gefährlich dieses Engagement werden kann, das erlebte in Ansätzen auch das Filmteam selbst, wie Kameramann Friedemann Leis in dieser Woche in Berlin bei einem Filmscreening des DGB berichtete.

Leis erzählt über die Entstehung des Films. Foto: Sarah Schaefer

„Wir haben in China bzw. bei extremistischen chinesischen Gruppierungen einen wunden Punkt getroffen“, sagte Leis im Gespräch mit Marion Knappe, Referatsleiterin Medien- und Kulturpolitik beim DGB-Bundesvorstand. Nachdem bekannt geworden war, dass das Team auch in Hongkong drehen will, seien diese Gruppierungen massiv gegen das Projekt vorgegangen, es habe Hackerangriffe und Morddrohungen gegen Regisseur Franz Böhm gegeben.

Unterstützung gab es dabei von Studenten der Harvard University, die ein Sicherheitskonzept für den Schutz der Protagonistinnen und des Filmteams entwickelt haben. Dazu gehörte auch, den Datenverkehr zu verschlüsseln. Und nicht nur das: Mit einem Fake Server habe man die Hacker austricksen und manche von ihnen zurückverfolgen können. Auf diese Weise sei es möglich gewesen, Personen zu identifizieren und bei Behörden zu melden. „Das wird keinen direkten juristischen Effekt auf Personen in China haben, aber die Leute merken zum ersten Mal: Hoppla, wir können hier nicht fröhlich Morddrohungen schicken, sondern das hat Grenzen“, sagte Leis. Die Hackerangriffe seien danach deutlich zurück gegangen.

Auf die Dreharbeiten habe sich das Team ausführlich vorbereitet, sagt Leis. Man habe ein enges Vertrauensverhältnis aufgebaut – mit den Protagonistinnen des Films, aber auch mit den anderen Menschen vor Ort. Besonders deutlich sei das geworden bei der Familie von Abel Acuña, der zu den Menschen gehört, die bei den Demonstrationen in Santiago ums Leben kamen.

Protagonistin Rayen aus Chile Foto: Camino Filmverleih

Die Kamera ist nah dabei, wenn seine Eltern und Protagonistin Rayen darüber sprechen, dass ihr Sohn noch hätte gerettet werden können, wenn die Polizei den Krankenwagen durchgelassen hätte. „Das brauchte ganz viel Fingerspitzengefühl und es bricht mir immer noch das Herz, an diese Zeit zu denken“, sagte Leis.

Worauf man sich nicht habe vorbereiten können: dabei zu sein, wenn etwa in Hongkong Menschen brutal zusammengeschlagen werden oder gar sterben – und die Ohnmacht zu erleben, nicht eingreifen zu können, sagte Leis. Diese Erfahrung nehme er als Ansporn, so vielen Menschen wie möglich den Film zu zeigen.

„Dear Future Children“ hat mehrere Preise gewonnen, darunter den Publikumspreis Dokumentarfilm beim Filmfestival Max Ophüls Preis und den DGB-Filmpreis. Doch vor dem Start der Dreharbeiten hatte das Team zunächst Schwierigkeiten, Unterstützung zu bekommen. „Wir sind zu sämtlichen Förderungen und sämtlichen Sendern hingegangen“, sagte Leis. Doch weil der Film keinen direkten Bezug zu Deutschland habe und auch nicht auf Deutsch sei, habe sich das Interesse in der deutschen Filmförderung in Grenzen gehalten. Ein wesentlicher Teil des Budgets kam von einer Kickstarter-Kampagne – etwa 400 Menschen hätten den Film unterstützt, sagt Leis. In der Postproduktion und im Verleih bekam der Film schließlich Unterstützung von der MFG Filmförderung Baden-Württemberg.

Wie sich denn jeder Einzelne dafür einsetzen könne, die Situation zu verbessern, war schließlich die Frage eines jungen Mannes aus dem Publikum. Das Interesse gerade an Klimathemen sei bei vielen Menschen so gering, dass es zum Verzweifeln sei, meinte er. Aufgeben sei jedenfalls nicht der richtige Weg, sagte Kameramann Leis. Ein wichtiger Schritt sei es, das Gespräch zu suchen – mit den Menschen um einen herum und mit Politiker*innen. Eine Gelegenheit dafür biete auch das Kino: Man könne einfach mal Kinobetreiber*innen ansprechen und sie bitten, einen Film, zu zeigen, den man im Programm vermisst. Vielleicht keine schlechte Idee für „Dear Future Children“, der als Independent-Projekt naturgemäß keinen leichten Stand hat.

„Dear Future Children“ läuft seit dem 14. Oktober in den deutschen Kinos.

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