Zurück in die Zukunft mit öffentlich-rechtlichen Onlineangeboten
Der Streit um die Frage, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Internet anbieten darf, wird immer absurder. Um Frieden mit den Verlagen zu schließen, wollen sich die Anstalten selbst beschränken und weitestgehend auf Textinhalte im Netz verzichten. Angesichts des Generationenabrisses sägen sie damit an dem Ast, auf dem sie sitzen.
Befragt man Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren, welche Medien sie am häufigsten nutzen, sind die Ergebnisse eindeutig: An erster Stelle steht das Handy, es folgt das Internet, dann erst das Fernsehen. Auch die Zeit, die Jugendliche mit Medien verbringen, lässt keinen Zweifel: 12- bis 19-Jährige investieren täglich 20 Minuten mehr in das Internet (134 Minuten) als ins Fernsehen (113 Minuten). Das alles zeigen die Zahlen der JIM-Studie 2011. Zwei längst nicht mehr neue Medien haben sich damit bei der nachkommenden Generation, den „Digital Natives“, an die vordersten Plätze gekämpft. Eine Umkehr dieser Entwicklung ist schlichtweg nicht vorstellbar. Im Gegenteil: Die Bedeutung von Handys und Internet, vor allem ihrer Symbiose: dem Smartphone, wird weiter zunehmen und den heute noch überschaubaren Abstand zum Fernsehen ausbauen.
Vor diesem Hintergrund bedeuten die Internetangebote der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vor allem eines: ihre Zukunfts- und damit Überlebensgarantie. Denn auch wenn Hörfunk und Fernsehen als wichtige Säulen und gerade das Fernsehen als Massenmedium unersetzlich bleiben, so ist für die nachkommende Generation das Internet das Medium Nummer eins. Deshalb ist es einigermaßen erstaunlich, wenn nicht sogar befremdlich, was derzeit zwischen den Spitzen der öffentlich-rechtlichen Anstalten und der Tageszeitungsverlage verhandelt wird. Hintergrund ist die Klage einiger Verlage vor dem Landgericht Köln hinsichtlich der „Tagesschau“-App. Diese sei „presseähnlich“ und damit nicht vom öffentlich-rechtlichen Auftrag gedeckt.
In Gesprächen mit den Verlegern versuchen einige Intendantinnen und Intendanten nun, Frieden an dieser Dauerfront herbeizuführen. Wenn allerdings stimmt, was darüber in der Presse kolportiert wird, dann handelt es sich nicht um einen Waffenstillstand, sondern um eine öffentlich-rechtliche Kapitulation. Die Sendeanstalten seien nämlich dazu bereit, auf Textinhalte in ihren Onlineangeboten weitestgehend zu verzichten und sich auf Audio- und Videoinhalte zu konzentrieren. Diesem Vorhaben aber wohnen zwei Fehler inne: Zum einen ist das Internet per se ein trimediales Medium, das sich aus Text, Video und Audio zusammensetzt. Die Userinnen und User navigieren natürlich auch über Texte. Der Verzicht darauf ist deshalb unverständlich. Zum anderen akzeptieren die Anstalten damit, dass die Verlage alles, was im Internet Text ist, als elektronische Presse bezeichnen und damit für sich allein in Anspruch nehmen.
Anstelle zweifelhafter Kompromisse müssten die Öffentlich-Rechtlichen viel offensiver für ihre Onlineangebote eintreten. Denn sie brauchen diese, um den längst eingetretenen Generationenabriss aufzuhalten (besser noch: umzukehren). Nur wenn ihnen dies gelingt, werden sie auch in Zukunft noch eine Legitimation besitzen. Öffentlich-rechtliche Angebote sind nämlich kein Selbstzweck, sondern erfüllen einen gesellschaftlichen – und staatsvertraglich festgeschriebenen – Auftrag. Dieser besteht darin, die gesamte Bevölkerung medial zu versorgen, vor allem aber auch: zu erreichen. Erreichen sie nur noch Teile der Gesellschaft, haben sie auch einen Teil ihres Auftrags verfehlt. Deshalb müssen sie ins Netz. Mediennutzer erwarten heute zu Recht, die von ihren Gebührengeldern finanzierten Inhalte internetgerecht aufbereitet vorzufinden.
Die Nutzung neuer Verbreitungswege für öffentlich-rechtliche Inhalte ist deshalb Kern der Bestands- und Entwicklungsgarantie, die das Bundesverfassungsgericht den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zugesprochen hat. Das Internet ist zweifelsohne ein neuer relevanter Verbreitungsweg. Mit der Verabschiedung des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrages haben dies die Länder auch anerkannt und den öffentlich-rechtlichen Anstalten explizit aufgetragen, Onlineangebote (im Staatsvertragsdeutsch: Telemedien) bereitzustellen.
Im gleichen Atemzug aber haben sie diese Onlineangebote ungerechtfertigt beschränkt. Denn das, was die Öffentlich-Rechtlichen im Netz machen, darf zum einen nicht „presseähnlich“ sein und muss zum anderen einen „Sendungsbezug“ aufweisen. Darüber hinaus dürfen Telemedien nur sieben Tage (bei Sport: 24 Stunden) angeboten werden. Alles, was länger im Netz sein soll, muss den so genannten Drei-Stufen-Test passieren, bei dem die Rundfunkgremien prüfen, ob das Angebot dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entspricht. Internetangebote wie „tagesschau.de“ haben diesen Test bestanden und sind somit gesetzlich einwandfrei legitimiert. Dass die Tageszeitungsverleger dagegen klagen, verwundert nicht, macht es aber noch lange nicht rechtens. Denn bei der App handelt es sich keinesfalls um ein neues Angebot, das geprüft werden muss, sondern um nichts weiter als die Umsetzung der „tagesschau.de“-Inhalte für mobile Plattformen wie Smartphones oder Tablets.
Wenn die Öffentlich-Rechtlichen das nicht mehr dürfen und sich auch noch in ihrem Markenkern – der Informationsvermittlung – freiwillig beschneiden, müssen sie sich nicht wundern, wenn die Akzeptanz öffentlich-rechtlicher Inhalte immer stärker leidet. Gerade das Internet bietet die Möglichkeit, den Gebührenzahlern einen spürbaren Mehrwert zu liefern. Das sollten sich die Intendantinnen und Intendanten wieder bewusst machen.