Zunehmende Verstöße gegen das Urheberrecht im Internet
Das Internet ist der Markt der Zukunft – und für Journalisten eigentlich eine große Chance. Allerdings steht die publizistische Selbstbestimmtheit auf dem Spiel: wegen Verstößen gegen das Urheberrecht.
Die Ursünde hat, mal wieder, mit Liebe zu tun. Wer kennt sie nicht, die Geschichte vom Verliebten, der schmachtende Verse von Goethe oder Heine als eigene ausgibt? Auch via E-Mail wird liebend gern geklaut. Dabei weiß der verknallte Textdieb, was er tut: Erwischt zu werden, wäre ihm peinlich.
Weniger Feingefühl haben jene, die sich unerlaubt mit journalistischen Werken schmücken. Fotos und Reportagen, Portraits und Rezensionen, Dokumentationen und Kommentare haben Liebhaber und Interessenten, die Websites oder Foren damit dekorieren. Nur muss man zuerst die Einwilligung des Urhebers haben und auch dessen Bedingungen akzeptieren. Alles andere ist Diebstahl geistigen Eigentums – und zeugt von wenig Respekt vor der publizistischen Zunft.
Doch die Internet-Kriminalität nimmt zu. Das spüren auch Journalisten. Etwa Joachim Göres. Der niedersächsische Reporter mit breitem Themenspektrum verschickt monatlich Abmahnbriefe. Bei gründlicher Suche, meint er, wäre das wohl noch öfter der Fall. Auch ein Autorenduo aus Köln, auf Ratgeberthemen spezialisiert, wird „immer wieder“ bestohlen: Vereine, Firmen, Parteien, Unternehmer, Selbstdarsteller und Spinner klauen Texte und Bilder, als hätten sie nie was vom Urheberrecht gehört.
Belege für kriminelle Energie
Da kann das Ahnden zum Martyrium werden. Auf juristisch korrekte Abmahnungen, die Schadensersatz und Unterlassung verlangen, reagieren manche Rechtsverletzer mit Spott oder Ignoranz. Geht die Sache vor Gericht, kommen faustdicke Lügen und Einschüchterungsversuche dazu. Schmähanrufe und Drohungen sogar gegen Zeugen sind nicht auszuschließen: Belege für kriminelle Energie.
Starautor Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung, ein examinierter Jurist und auch moralisch versierter Ankläger, ist fast immer für mehr Freiheiten der Bürger. Aber Text- und Foto-Diebe zu unterstützen, käme ihm komisch vor: „Solche Missbräuche sind ein inakzeptabler Kollateralschaden des Internets. Da geht es gelegentlich zu wie zu Zeiten des Goldrausches im Wilden Westen.“ Mitunter, sagt er, habe er das Gefühl, die Diebe gingen „davon aus, das Internet sei ein Raum verdünnten Rechts.“
Dass dem nicht so ist, wird oft erst in Gerichtsverfahren gelernt. Die sind unverzichtbar, weiß Prantl: „Da ist Aufklärungsarbeit, Nachhilfe, Prävention und Repression mit juristischen Mitteln notwendig.“ Zumal das Internet d e r Markt der Zukunft ist, was Publikationen angeht. So verzeichnete der Axel Springer Verlag fürs letzte Jahr Zuwächse vor allem im Online-Bereich, während die Print-Ausgaben auch anderer Anbieter generell stagnieren oder schrumpfen. Für Journalisten bildet das Web daher eine große Chance. Nur wird sie ihnen genommen, wenn sich rücksichtslose Website-Bastler einfach bedienen.
Denn wer bezahlt noch für etwas, das scheinbar umsonst zu haben ist? Mit der berüchtigten „Mausklick-Trias“ – Markieren, Kopieren, Veröffentlichen – wird abgezockt. Wobei jeder Internet-Dieb wissen müsste, dass solide Profi-Arbeit was wert ist. Dass Profis von ihren Werken leben, verdrängen die Diebe. Und wundern sich, wenn eine deftige Rechnung kommt.
Die Erfahrung lehrt, dass Kleinbeträge als Schadensersatz kaum abschrecken – schwuppdiwupp, steht das geklaute Werk wieder auf der Site. Mit Strafgeld bewehrte Unterlassungserklärungen – die das geklaute Objekt benennen – sind daher wichtig. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) hat hier sorgsam abgewogen. Befund: Ohne ein Strafgeld, das vom Täter ans Opfer zu zahlen ist, ist die Wiederholungsgefahr zu hoch. Indes will eine kommende Gesetzesnovelle die Unterlassung vor allem bei Kommerz-Diebstahl haben.
Dabei ist die Trennung zwischen Privat und Kommerz oft fließend: Es gibt gewerbliche „Privat“-Sites, die nebenberuflich betrieben werden. Spenden und Sponsorengelder werden via Internet eingetrieben, auch bezahlte Schleichwerbung gibt es. Mit Links statt Neuveröffentlichungen wäre zwar alles in Ordnung – aber es geht den Dieben darum, Nutzer auf ihre Sites zu locken. Journalistische Werke werden als Köder missbraucht: Über die Schlagwort- und Themensuche gelangen Surfer auf Sites, auf die sie gar nicht wollten. Sie wollen nur den Artikel lesen, das Foto sehen. Ihre Lese- und Sehzeiten bescheren den Domain-Betreibern dann erfreuliche Werte: ihre Klickquoten steigen.
Recht auf Selbstbestimmtheit
Werbebanner, Annoncen und Links zu Verkaufs-Sites werfen so Geld ab. Sie sind Beweise für gewerbliche Tätigkeit; Spendenaufrufe und Kontoangaben belegen Finanzinteressen. Dafür haftet: der Domain-Inhaber.
Und was das Recht auf Selbstbestimmtheit, das gesetzlich garantierte Persönlichkeitsrecht des Urhebers betrifft, so gilt: Eine Publikation ohne Zustimmung des Urhebers ist rechtswidrig. Dann wird Schmerzensgeld zusätzlich zur fiktiven Lizenz fällig. Letztere entspricht dem Honorarsatz für Profi-Journalisten, deren Text in der Zweitnutzung als Internet-PR verwendet wird: 32 Cent pro Zeichen sind üblich. Für Fotos gibt es Listen der Mittelstandsgemeinschaft Foto-Marketing.
Das aufzuschlagende Schmerzensgeld richtet sich dann wiederum nach der Lizenz, beträgt 50 bis 100 Prozent von ihr. Bei gravierendem Rechtsverstoß – auch mehr. Prominente lassen sich sogar oft nur Schmerzensgeld zahlen. Christian Schertz, einer der nationalen Top-Anwälte für Persönlichkeitsrecht, macht hiermit sehr gute Erfahrungen. Für den Fotografen Konrad Rufus Müller, als „Kanzlerfotograf“ bekannt, holte die Kanzlei Schertz-Bergmann richtig was raus. Eine Agentur hatte im Wahlkampf 2002 ein Plakatfoto Müllers vom damaligen Kanzler und Kandidaten Gerd Schröder elektronisch verstümmelt. 25.000 Euro Schmerzensgeld wurden Müller von der 8. Zivilkammer des Hamburger Landgerichts dafür zugesprochen. Der Fotograf: „Ich durfte mein Plädoyer selbst halten. Das konnte ja nur ich beschreiben, wie ehrenrührig ich die Entstellungen des Fotos empfand.“ Allerdings: Die Berufung läuft.
Insofern wirkt ein Urteil aus Frankfurt am Main noch intensiver: Hier erklärte das Oberlandesgericht die Revision für unzulässig, nachdem es einem Anwalt und Journalisten für erlittene Urheberrechtsverstöße via Web das Vierfache der fiktiven Lizenz zusprach. Grund: Krasse Plagiierung, Unterschlagung der Urheberschaft beziehungsweise Täuschung darüber – sowie massive Verstümmelungen des Originals. So erzielen Juristen in durchaus riskanten Selbstversuchen vor Gericht mitunter grandiose Urteile.
Auch Schertz hat so schon gepunktet: Die Pressekammer des Berliner Landgerichts untersagte es auf sein Betreiben einer Zeitschrift, öffentlich aus seinem Abmahnschreiben zu zitieren. Schertz: „Mir ging es darum, dass ich geschützt bin, wenn ich Mandanten vertrete, und dass meine Briefe nicht einfach veröffentlicht werden können.“ Anschreiben sind eben nicht für die Allgemeinheit gedacht, schon gar nicht fürs Internet.
Im Internet-Recht gilt der Fliegende Gerichtsstand. Das heißt: Der Kläger darf den Gerichtsort wählen. Tatsächlich sind scharfe Fachrichter wie der Hamburger „Medienschreck“ Andreas Buske auch in Urheberrechtssachen besonders klägerfreundlich. Wobei die Mehrheit der Richterschaft Vergleiche bevorzugt. So die Zivilkammer 15 des Landgerichts Berlin. Sie ist unter anderem mit einem jungen Urheber- und Markenrechtler bestückt, der über ein Teilgebiet des Persönlichkeitsrechts promovierte.
Nutzungen sind entscheidend.
Rolf Danckwerts, der Richter, sagt offen, wieso er Vergleiche anstrebt: „Wir versuchen, die Sachen schnell zu beerdigen. Für ein Urteil ist alles sehr aufwändig. Wir müssen dann mit Zeugenvernehmungen und Sachverständigengutachten arbeiten.“ Bei 600 bis über 1.000 Sachen, die die spezialisierte Kammer pro Jahr bearbeitet, ist das nicht immer möglich. Wirklich fatal ist es mit Amtsrichtern, wenn die sich weder im Internet- noch im Medienrecht auskennen. Ärgerlich, wenn ein Gericht glaubt, Nutzung sei Nutzung und Honorar gleich Honorar. Faktisch richten sich Honorare nicht nur nach der Qualität einer Arbeit, sondern auch nach ihren Nutzungen. PR mit zielgerichteter Reichweite, etwa via Web, hat nun mal Spitzenpreise.
So fiel der Motorrad-Fachjournalist Winfried Scheibe fast in Ohnmacht, als er seine Grundlage für ein Buch auf einer fremden Website vorfand. Der Schadensersatz für die Masse von Text und Fotos belief sich in erster Berechnung auf 36.000 Euro – die der Betreiber der Domain nicht zahlen mag. Julia Grißmer, Scheibes Frankfurter Anwältin, suchte zu verhandeln – und muss Klagantrag stellen: „Leider sind solche Fälle nicht ungewöhnlich.“
Dabei machte Scheibe, von Promis wie Peter Struck „Winni“ genannt, auch andere Erfahrungen. Ein Ehepaar, das einen Artikel für die Homepage klaute, überwies nach Erhalt der Rechnung sofort die verlangten 1.500 Euro. Das Pärchen entschuldigte sich – und zahlte genug Lehrgeld, um die Rechte von Autoren künftig zu achten. Dennoch: Vielen gelten Journalisten als Freiwild.
Verlage wie Gruner + Jahr und der Axel Springer Verlag ahnden daher Urheberrechtsverstöße und schützen feste wie freie Mitarbeiter vor Raubbau durch Dritte.
Allerdings stellt Springer nur noch ausgewählte Texte ins Netz – und beschneidet damit den Bekanntheitsgrad der anderen. Bei Rechtsverletzungen haben aber auch Festangestellte Anspruch auf Entschädigung. Sie müssen nach den gängigen Verträgen 60 Prozent an ihren Verlag abführen. Vorbildlich betreut der Stern seine Freien: Er gewährt im Einzelfall sogar Prozessstandschaft, prozessiert also, ohne selbst einen Cent zu bekommen.
Und es gibt schwarze Schafe in der Verlagsbranche. So meint der ressortleitende Redakteur einer renommierten Tageszeitung, Autoren sollten kein Geld von Rechtsverletzern verlangen, wenn diese ihm und seinem Blatt lobbyistisch nahe stehen. Statt Rückendeckung zu geben, lässt er Beklaute im Stich. Da ist es kaum Zufall, dass gerade dieser Redakteur sich externe Pressereisen bis Südafrika spendieren lässt. Zudem kommt vor, dass der Verlag alle Verhandlungen, das Recht der Freien betreffend, selbst führen will. Und den Freiberuflern lediglich Bruchteile dessen verschafft, was ihnen zusteht. Mutige, die ihr Recht auf Selbstbestimmtheit verteidigen, werden von derart korrupten Firmen rausgeworfen – ein gesetzeswidriger Missstand.
Urheberrechtsspezialist und Anwalt Stefan Haupt würde da kein Pardon kennen. Er macht sich die Gegner seiner Mandanten gern mit einstweiligen Verfügungen „verhandlungsreif“. Schließlich wird, da ist er mit Heribert Prantl einig, das Persönlichkeitsrecht von Journalisten künftig mehr Gewicht erhalten.
Infotipps
Fachliteratur gibt es im Orell Füssli Verlag von Stefan Haupt (Hrsg.): „Urheberrecht für Medienschaffende in Deutschland, Österreich und der Schweiz“
Betroffene können sich auch an die Arbeitsgemeinschaft der Autorin wenden:
gissonnenburg@yahoo.de