Augstein und die historische Wahrheit

Mit Zuckerbrot und Peitsche gegen Redaktionsmitbestimmung

Rudolf Augstein war der „Word Press Freedom Hero“. Den Titel verlieh ihm im Mai 2000 das International Press Institut in Boston. Er war der „Journalist des Jahrhunderts“ – das erkannten bald darauf hundert namhafte Journalisten.

Frank Schirrmacher lieferte – warum ist sein Geheimnis – dem von antisemitischen Stereotypen heimgesuchten Augstein zuletzt noch den Börnepreis der Frankfurter Jüdischen Gemeinde und erklärte, er habe diesem Land seine „innere Freiheit“ wiedergegeben. Die innere Freiheit der „Spiegel“-Redaktion allerdings erwies sich als beschränkt. Der Redakteursbewegung, die Mitbestimmung verlangte, stellte er sich mit Zuckerbrot und Peitsche entgegen. Er beteiligte alle am Gewinn des Verlags und versicherte: „Eine Nacht der langen Messer findet nicht statt“. Und machte es am Tage. Im Sommer 1971 rollten die Köpfe der drei Anführer Hermann Gremliza, Alexander von Hoffmann und Bodo Zeuner. Anfang 1972 musste Dieter Brumm gehen, weil er für den Betriebsrat kandidierte. Und ich, weil meine Kolumnen zu „wirtschaftsfeindlich“ waren.

Geschenkt. Er hat auf seine Weise Recht behalten. Um den „Spiegel“ so zu erhalten, wie er inzwischen geworden ist: das unentbehrliche Zentralmedium für die werbetreibende Wirtschaft, musste Augstein handeln und uns vor die Tür setzen. Kindisch, wer ihm das übel nimmt.

„Die historische Wahrheit, das war etwas“, sprach der Bundespräsident beim Staatsakt in der Kirche, „wofür er sich sein Leben lang interessierte.“ Nicht allerdings die über das eigene Blatt, die eigene Vergangenheit in den fünfziger Jahren. Wie der ihm gut bekannte Gestapo-Chef Rudolf Diels seinen Terror damals in einer langen „Spiegel“-Serie („Eine Nacht der langen Messer findet nicht statt“) schön schrieb, das wollte er nicht mehr wissen.

Erfahrene Mitarbeiter des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes zogen in die „Spiegel“-Redaktion ein und bestimmten die Redaktionspolitik der fünfziger Jahre. Deren Wahrheit über den Reichstagsbrand ließ sie sich von der Partei der Brandstifter oktroyieren.

Dennoch, im Kampf gegen Strauß erwuchs Rudolf Augstein zum Demokraten. Er hat den „Spiegel“ groß gemacht. Stefan Aust, der den „Spiegel“ erfolgreich focussiert, warf, kaum war der Herausgeber tot, dessen Schuhe weg, damit sie kein(e) andere(r) anziehen könne. Bleibt für den „Spiegel“ zu hoffen, dass Augstein-Tochter Franziska, die schon den Staatsakt für den Vater durcheinander brachte, sich doch den Schuh anzieht.


Buchtipp

Otto Köhler war von 1966 bis 1972 Medienkolumnist des „Spiegel“. Er veröffentlichte im Juni seine Biographie „Rudolf Augstein – ein Leben für Deutschland“ (Droemer Verlag, München, 416 S., 24,90 Euro). Lesungen können unter Tel: 040 / 796 52 90 vereinbart werden.

Bodo Zeuner veröffentlichte über Augsteins Eingriff in die Redaktion 1972 das Buch „Veto gegen Augstein“.

 

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