Niedersachsen: Amateure stehen für Authentizität und publizistische lokale Ergänzung
„Es ist 18 Uhr. Sie hören ‚Lokal-Global‘, das Nachrichten-Magazin von Radio Flora.“ Mit diesen Worten begrüßt die ehrenamtliche Sprecherin Manuela Haller die Hörer des Lokalradios in Hannover. Seit mittlerweile sieben Jahren strahlen in Niedersachsen 14 so genannte „Bürgersender“ Fernseh- oder Radioprogramme aus.
Große Teile des Programms werden nicht von professionellen Journalisten produziert, sondern von engagierten Medien-Amateuren. Neben einem Dutzend fest angestellter Mitarbeiter engagieren sich bei dem hannoverschen Lokalsender über 300 Ehrenamtliche als Moderatoren, Techniker oder Beitragsproduzenten.
Zwar müssen die Hörer von Radio Flora so manches ausgewachsene „Sendeloch“ in Kauf nehmen, dafür sind die Stimmen der Moderatoren authentischer als in vielen professionellen Radiosendern. Musikspecials, wie „Stay Punk“ oder die „Reggae Show“ haben sich inzwischen einen festen Kreis von Stammhörern erobert. Der Wortanteil in den Bürgerradios ist relativ hoch, es werden auch Themen aufgegriffen, die andere Medien links liegen lassen, so kommen beispielsweise Arbeitslosenprojekte zu Wort. Eine „publizistische Ergänzung“ der lokalen Medienlandschaft fordert auch das Niedersächsische Mediengesetz von den Bürgersendern, außerdem die so genannte „Zugangsoffenheit“ für interessierte Laien, die eine eigene Sendung ausstrahlen wollen. Die dritte wichtige Funktion der Bürgermedien ist die Vermittlung von Medienkompetenz.
Eine Stunde: via ver.di
Seit 1997 sind die Bürgerradios und das Bürgerfernsehen im Nordwesten der Republik auf Sendung. Im Jahr 2001 erreichten sie eine durchschnittliche Hörerreichweite von 20 Prozent, Spitzenreiter mit 32 Prozent ist Radio Aktiv in Hameln-Pyrmont. Dabei haben die einzelnen Sender teilweise völlig unterschiedliche Organisationsstrukturen: Bei Radio Flora ermöglicht ein basisdemokratisches Modell mit einem „Radioplenum“ allen Mitarbeitern die Mitbestimmung. Bei Radio Zusa in Uelzen-Lüneburg werden die meisten Entscheidungen von hauptamtlichen Mitarbeitern getroffen. Die Sender bieten auch ein Sprachrohr für Minderheiten und gesellschaftliche Interessengruppen. Allein in Hannover sind 14 muttersprachliche Redaktionen auf Sendung, sei es auf polnisch, persisch oder auch georgisch. Bei Radio Zusa gestalten Gewerkschaftler alle 14 Tage das Magazin „Klartext – Forum für Arbeit“. Und einmal im Monat heißt es dort für eine Stunde „viva ver.di“, jeweils mit einem Schwerpunktthema und aktuellen Kommentaren.
Lizenzen für sieben Jahre
Fünf Jahre Probezeit als Modellprojekte bestanden fast alle Lokalsender erfolgreich. Eine von der Niedersächsischen Landesmedienanstalt (NLM) in Auftrag gegebene Begleitstudie empfahl die Fortführung der Projekte. Im März 2002 vergab die NLM die Sendelizenzen für weitere sieben Jahre. Allerdings mit einer wichtigen Veränderung: Unterschied man vorher zwischen „Nichtkommerziellen Lokal-Radios“ und „Offenen Kanälen“, verlangt das novellierte Mediengesetz jetzt deren rechtliche Gleichsetzung als „Bürgermedien“. Die Lokalradios mussten sich für Interessenten außerhalb der eigenen Strukturen öffnen und so genannte „Offene Sendeplätze“ einrichten, die in frühere „Offene Kanäle“ im Gegenzug redaktionelle Strukturen einführen.
Die Bürgersender erhalten zusammen zwei Prozent vom Aufkommen der Rundfunkgebühren in Niedersachsen. Mindestens zehn Prozent ihrer Einnahmen müssen sie selbst aufbringen, durch Mitgliedsbeiträge, Spenden, Veranstaltungen oder gesetzlich begrenzte Beteiligungen von Verlagen und Kommunen. Werbung und Sponsoring im Programm ist verboten. Damit verfügen die Sender über die beste Finanzierung vergleichbarer Medien in allen Bundesländern. Dennoch sind die Etats im Vergleich mit öffentlich-rechtlichen oder kommerziellen Medien geradezu zwergenhaft. So verfügt Radio Flora über einen Jahresetat von rund 380.000 Euro, ein knappes Drittel davon wird selbst erwirtschaftet.
Kathrin Riggert hat Radio Zusa und Radio Flora mit ins Leben gerufen und aufgebaut, jetzt leitet sie die Nachrichten-Redaktion bei Radio Flora. Sie verweist auf den „Widerspruch zwischen den hohen Ansprüchen der NLM an das Programm und den immer knapper werdenden Finanzen“. Dennoch sieht sie den einstigen Anspruch aus der Gründerzeit erfüllt. Es sei tatsächlich gelungen, die lokale Medienlandschaft zu ergänzen. Vor allem in den Ressorts „Umwelt“ und „Soziales“ würden den Hörern auch Hintergründe und einordnende Berichte geboten.
Radio Tonkuhle ist der 15.
Auch die seit einem Jahr amtierende schwarz-gelbe Landesregierung steht zu den Bürgersendern. Der medienpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Friedhelm Pörtner betont: „Die Bürgermedien spielen eine entscheidende Rolle in Fragen der Medienkritik, der Medienkompetenz und der publizistischen lokalen Ergänzung.“ Wie zur Bestätigung dieser Aussage geht in Hildesheim im Frühsommer mit Radio Tonkuhle der 15. niedersächsische Bürgersender „on air“.