Reformen finden nur selten ungeteilten Beifall: Den einen gehen sie zu weit, den anderen nicht weit genug. Auch die von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) vorgelegte Novellierung des Jugendschutzgesetzes gilt als umstritten. Hintergrund sind juristische Details, für die sich Eltern zu Recht überhaupt nicht interessieren. Ihnen geht es in erster Linie darum, dass ihre Kinder im Internet nicht ohne Weiteres auf Inhalte stoßen, die sie verstören können.
In diese Richtung zielt auch die Reform, die am 1. April in Kraft treten soll. Der Bundestag hat das Gesetz bereits beschlossen; der Bundesrat wird am 26. März abstimmen. Aus Sicht der Länder gibt es allerdings noch Klärungsbedarf, denn die Ministerin will die Rolle der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien erheblich aufwerten. Die meisten Deutschen kennen die Bonner Einrichtung, wenn überhaupt, als jene Instanz, die dafür sorgt, dass indizierte Bücher, Zeitschriften oder Filme nur noch für Erwachsene zugänglich sind.
Schon Giffeys Vorgängerin Manuela Schwesig (SPD) hatte den Plan, die Kompetenzen der BPjM zu erweitern und sie zu einer Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz auszubauen. In dieser Funktion soll die Institution die Einhaltung des neuen gesetzlichen Rahmens überwachen. Die Länder monieren, dass es unvermeidlich zu einem Kompetenzgerangel mit der Kommission für Jugendmedienschutz kommen werde. Rundfunk und Kultur sind Ländersache, die KJM ist eine gemeinsame Einrichtung der Landesmedienanstalten. Aus dem gleichen Grund kritisieren auch die Computer- und Videospielbranche, die Filmwirtschaft sowie die privaten Rundfunkveranstalter das Gesetz: Sie fürchten eine Doppelregulierung durch Bund und Länder.
Interaktionsrisiken verringern
Die Zustimmung fast aller Eltern dürfte Giffey dagegen sicher sein. Die Ministerin will Kinder und Jugendliche im Netz vor allem vor jenen Interaktionsrisiken schützen, für die sich zumindest in der Fachwelt englische Begriffe eingebürgert haben: Cybermobbing, also gezielter Psychoterror in Form entwürdigender Fotos oder Filme, begleitet von entsprechenden Kommentaren; Cybergrooming, die Anbahnung sexualisierter Übergriffe; Hatespeech, die gezielte Verunglimpfung einzelner Personen oder ganzer Gruppen; Challenges, die Aufforderung zu riskantem Verhalten etwa in Form gefährlicher Mutproben; außerdem Kostenfallen durch Apps und Online-Spiele.
Zu diesem Zweck sollen Plattformen mit mehr als einer Million Nutzern dazu verpflichtet werden, auf ihren Angeboten entsprechende technische Voreinstellungen vorzunehmen; außerdem sollen sie Hilfs- und Beschwerdemöglichkeiten anbieten. Das Gesetz betrifft also in erster Linie große Betreiber wie Facebook, Instagram und YouTube sowie Messenger-Dienste wie WhatsApp. Weigern sie sich zu kooperieren, drohen ihnen Bußgelder in Höhe von bis zu 50 Millionen Euro.
Ein weiterer Unterschied zum bisherigen Gesetz ist die Vereinheitlichung der Alterskennzeichnungen für Filme, Serien und Spiele auf allen Ebenen. Gerade an diesem Punkt entzündet sich die Kritik der Wirtschaftsverbände. In einer gemeinsamen Stellungnahme heißt es, das Gesetz schaffe keine Klarheit, sondern führe im Gegenteil zu noch mehr Unsicherheit, weil nicht eindeutig geregelt sei, dass die Länder für inhaltsbezogene Fragen und der Bund für die Struktur zuständig seien. Giffey sieht das naturgemäß anders. Ihrer Ansicht nach sei mit dem Gesetz allen geholfen: Den Kindern biete es mehr Schutz, den Eltern mehr Orientierung und den Behörden mehr Möglichkeiten, die Regeln auch gegenüber ausländischen Anbietern durchzusetzen.
Akuter Handlungsbedarf
Ein paar Zahlen genügen, um den dringenden Handlungsbedarf zu verdeutlichen. Laut einer vom Familienministerium verbreiteten Übersicht hat fast die Hälfte der Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und achtzehn Jahren negative Erfahrungen im Internet gemacht. 800.000 Mitglieder dieser Altersgruppe wurden im Netz beleidigt oder gemobbt. 250.000 Kinder wurden von Erwachsenen mit dem Ziel sexuellen Missbrauchs kontaktiert. 70 Prozent der Mädchen und Frauen sind bei der Nutzung sozialer Medien von digitaler Gewalt betroffen. Kein Wunder, dass Giffeys Gesetz nicht nur von den Kirchen und von UNICEF, sondern auch von Ärzte-, Kinderschutz-, Familien- und Jugendverbänden befürwortet wird.
Das dürfte auch für den Rest der Bevölkerung gelten: Laut den Ergebnissen einer vom Deutschen Kinderhilfswerk veröffentlichten Umfrage möchten 88 Prozent der Befragten, dass ausnahmslos alle Anbieter von Internetseiten – also nicht nur die großen Plattformbetreiber – dazu verpflichtet werden, strenge Schutzeinstellungen für Kinder und Jugendliche einzurichten. Auch bei der einheitlichen Alterseinstufung für Filme und Spiele entspricht das neue Jugendschutzgesetz den Wünschen der meisten Befragten (90 Prozent).
In einem Punkt allerdings gehen die Erwartungen über die Reform hinaus: Die Menschen wollen nicht einfach nur eine Altersbeschränkung, sie hätten auch gern eine Begründung. Diese Forderung wird schon seit vielen Jahren an Einrichtungen wie etwa die für die Freigabe von Kinofilmen zuständige Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft herangetragen; bislang vergeblich. Ginge es nach Jugendschützern, gäbe es außerdem längst eine Art Ampel, die auf einen Blick erkennen lässt, ob Filme, Serien oder Video- und Computerspiele sexuelle oder gewalthaltige Darstellungen enthalten.
Weitere Informationen des Bundesministeriums siehe auch hier.