Die SWR-Jugendwelle wird als medienpädagogisches Projekt gelobt, aber nicht geliebt.
Der 18jährige Steffen Wurzel hat ein heißes Frühjahr hinter sich: Wo andere Abiturienten sich nur mit englischen Vokabeln, Mendelscher Vererbungslehre und Integralrechnen herumplagen durften, mußte Steffen auch an Sendepläne und Programmbeiträge denken. Wurzel ist Pilot bei dem digitalen SWR-Jugendradio Das Ding und damit Teil eines der innovativsten Medienprojekte der Republik.
Hier ist alles ein bißchen anders: Moderatoren heißen Piloten, kommen zumeist ohne Nachnamen aus und sind durchschnittlich 18 Jahre alt. Die einzigen Graubärte des Teams sind Projektleiter Marcus Schuler mit 28 Jahren und Medienberater Helge Haas mit stolzen 38 Jahren. Aushängeschilder des Programms sind die Ding-Piloten, die zumeist selbst noch Schüler sind und ihren Medienjob als Nebenverdienst betreiben. Gerade über ihren Learning-by-Doing-Ansatz geben sie dem Programm eine Unverbrauchtheit und Jugendnähe, die sich kommerzielle Programme nicht leisten können. Damit das Programm nicht zum unhörbaren Dilettantenstadel verkommt, stehen sogenannte Coaches den jungen Radiomachern mit Tips, Kniffen und journalistischem Know-how zur Seite.
Radio im Fernsehfrühprogramm
Noch kann Das Ding allerdings seine Hörer per Handschlag begrüßen, denn als DAB-Programm sind die potentiellen Hörer rar gesät. Deshalb erlebt Das Ding seine Primetime zwischen 6.00 und 7.30 Uhr morgens, als buntes Multimediapaket im Frühprogramm des Südwestfernsehens. 40.000 bis 50.000 Zuschauer versammeln sich dann bundesweit vor den Bildschirmen, schätzt Medienberater Helge Haas: „Besonders in Köln und in Ostdeutschland gibt es ein paar treue Seelen, die jeden Morgen den Tag mit unserem Programm beginnen.“ Statt passivem Konsum ist Mitmachen angesagt: Per Fax, E-Mail oder Telefon können die Hörer Botschaften auf den Bildschirm schicken und Musikwünsche loswerden.
Mit der Verschmelzung von Radio, Internet und Fernsehen soll das Multimediaprojekt der SWR3-Popunit Jugendliche zwischen 11 und 20 Jahren nicht nur zum Zuhören, sondern auch zur kreativen Auseinandersetzung mit den Medien bringen. Die Zielsetzung wird konsequent umgesetzt: Jugendliche machen das Programm, sind Texter, Reporter, Webdesigner und Musikexperten. Kein Thema ist dabei ausgenommen. Statt sonorer Nachrichtenstimmen über den Kosovo-Konflikt, recherchieren die Ding-Piloten selbst und erklären das Thema so, daß auch die jungen Zuhörer verstehen, worum es geht. Im Internet können die Nutzer unter www.dasding.de weitere Hintergrundinfos lesen oder über Weblinks das Thema vertiefen.
Diesen medienpädagogischen Ansatz trägt die Redaktion mit Workshops in die Schulen. Drei- bis viermal im Monat erarbeiten die Radiomacher mit Schülern in Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz Themen für Radiobeiträge und produzieren sie vor Ort. Die Themen hängen dabei von den Interessen der Teilnehmer ab, berichtet Haas: „Das kann zum Beispiel der Führerschein sein, aber auch die Frage, warum Mädchen und Jungen eine unterschiedliche Sprachkultur entwickeln.“
Kooperation mit dem SR: Unser Ding
Weitere ARD-Anstalten nehmen sich ein Vorbild an dem Konzept. Im Februar unterzeichneten die Intendanten vom Saarländischen Rundfunk und SWR Fritz Raff und Peter Voß in Stuttgart einen Kooperationsvertrag über die Veranstaltung eines Jugendradios im Saarland. Als Gemeinschaftsprojekt mit dem SWR-Ableger Das Ding startete am 1. März Unser Ding im Saarland. Dabei liefert das SWR-Programm zwischen 8.00 und 13.00 Uhr und 17.00 und 6.00 Uhr auch für den saarländischen Ableger die Inhalte. Auch der Bayerische Rundfunk will sich bei seinen Plänen für eine Jugendwelle an Das Ding orientieren.
Doch von dem Ruhm seiner Jugendwelle hat der SWR im eigenen Sendegebiet bisher gar nichts. Bei nur 800 DAB-Empfängern in Baden-Württemberg sendet das Multimediaprojekt bisher unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Zwar ist das Das Ding auch weltweit über das Internet mit Soundkarte als Live-real-Audio-Stream zu hören, doch die hohen Übertragungskosten machen diese Empfangsart bestenfalls für amerikanische Collegestudenten akzeptabel. Ohnehin wird hier die Zahl der Hörer durch die angemieteten Übertragungskapazitäten auf maximal 100 Internet-Surfer gleichzeitig begrenzt. Die dritte Verbreitungsart über Astra Digitalradio (1C, 7,74 Megahertz) verhilft nach Haas’ Erfahrung Das Ding zu einer gewissen Hörerschaft in den neuen Bundesländern: „Wir haben festgestellt, daß in Ostdeutschland vergleichsweise viele Jugendliche ein ADR-Radio haben.“
Auf der Suche nach den jungen Hörern
Bei der fehlenden Verbreitung von Das Ding stehen für den SWR auch Marktanteile auf dem Spiel. Denn ausgerechnet bei den jungen Hörergruppen schwächeln die Radioprogramme der jungfusionierten Rundfunkanstalt gewaltig. Wie Hörfunkdirektor Bernhard Hermann dem SWR-Hörfunkausschuß am 5. März berichten mußte, liegt der Sender bei den 14- bis 19jährigen weit hinter den privaten Anbietern zurück: In Baden-Württemberg hören 52,1 Prozent und in Rheinland-Pfalz sogar 79,6 Prozent der Jugendlichen ausschließlich private Sender.
Schon allein aus diesem Grund sprach sich der SWR-Rundfunkrat einstimmig für eine junge SWR-Welle aus. Bei der Umsetzung scheiterte SWR-Intendat Peter Voß allerdings an den privaten Sendern und der baden-württembergischen Landesregierung, die die Bestimmungen des Staatsvertrages nutzt, um das Ansinnnen zu blockieren. Denn laut SWR-Staatsvertrag braucht eine fünfte SWR-Welle ausdrücklich die Zustimmung beider Landtage. Doch dazu ist die Stuttgarter Koalition nicht bereit, da Teufels Landesregierung eine private Jugendwelle in Baden-Württemberg etablieren möchte. Ein Projekt, das nicht durch eine werbefreie öffentlich-rechtliche Konkurrenz gefährdet werden soll.
Gereiztes Politik-Geplänkel
Entsprechend gereizt ist mittlerweile der Tonfall der Debatte. Voß warf Ministerpräsident Teufel vor, die baden-württembergische Medienpolitik „in ein ungutes Licht“ zu rücken. Umgekehrt donnerte der Präsident des Verbandes privater Rundfunk und Telekommunikation Jürgen Doetz zurück: „Die Erklärung von Herrn Voß ist ein bißlang beispielloses Exempel der Selbstherrlichkeit des außer Kontrolle geratenen Anstaltwesens des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.“ Ein Kompromißvorschlag, Das Ding als Multimedia-Zusatzangebot oder gemeinsam mit den privaten Radiosendern als UKW-Programm zu starten, scheiterte bisher.
Doch zeigen sich erste Erfolge der SWR-Lobbyarbeit. So strichen die Gesetzgeber die vom SWR scharf kritisierte Passage in der Begründung zur Novellierung des baden-württembergischen Landesmediengesetzes, wonach ein Jugendradio nicht zur öffentlich-rechtlichen Grundversorgung gezählt wird. Wahrscheinlich ist jetzt, daß der SWR die Sendererlaubnis in einigen Ballungsräumen des SWR-Sendegebiets für sein Jugendprogramm erhält, dafür aber den kommerziellen Anbietern ein halbes Jahr Vorsprung für ihre eigene Jugendwelle geben muß. Damit würden dann auch bei den 14- bis 19jährigen ein privates- und ein öffentlich-rechtliches Programm um die Hörergunst streiten. Eine Konstellation, mit der der SWR-Intendant gut leben kann. Die Chancen für ein harmonisches Beisammensein mit den den privaten Sendern hatte Voß ohnehin nicht hoch veranschlagt: „Ein kommerzielles Programm mit dem medienpädagogischen Ansatz von Das Ding zu verbinden, wäre sehr schwierig geworden.“