Ein guter Zeitpunkt, um über einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender à la CNN nachzudenken
Die Zuschauer sollten Gelegenheit haben, sich „das ganze Bild“ zu machen: So lautete von Anfang an das Credo des Ereignis- und Dokumentationskanals Phoenix. Der am 7. April 1997 gestartete Sender, ein gemeinsames Projekt von ARD und ZDF, war ausdrücklich nicht als Konkurrenz zu den kommerziellen Nachrichtenkanälen n-tv oder N24 gedacht. Zwanzig Jahre später wäre es an der Zeit, diese Haltung zu überdenken.
Vorbild für Phoenix war das amerikanische Parlamentsfernsehen C-Span, das der spätere WDR-Intendant Fritz in seiner Zeit als US-Korrespondent kennen und schätzen gelernt hatte. Er war der Meinung, auch Deutschland brauche einen Sender, der live aus den Parlamenten und von politischen Veranstaltungen berichtet. Seither hat sich der Programmauftrag praktisch nicht geändert: „Phoenix überträgt direkt oder zeitversetzt Ereignisse und Veranstaltungen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, ergänzt um Dokumentationen, Reportagen, Features und Gesprächssendungen.“
Abgesehen von den Live-Übertragungen bestreitet Phoenix einen Großteil seines Programms jedoch mit Wiederholungen. Auch deshalb mehren sich die Forderungen, ARD und ZDF sollten einen Nachrichtensender im Stil des amerikanischen CNN gründen. Nach Ansicht von Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen, wäre ein solches Angebot „in Zeiten des grassierenden Medienmisstrauens und einer Polarisierung von Öffentlichkeit eine doppelt gute Idee“. ARD und ZDF würden ihre Kernaufgabe „noch schärfer als Informationsauftrag definieren; das steht längst an.“ Außerdem wäre so ein Sender als „weithin sichtbare Investition in den Qualitätsjournalismus ein kluger Schachzug in der Debatte über die Legitimation des gesamten öffentlich-rechtlichen Systems.“ Ulrich Deppendorf, bis zu seiner Pensionierung vor zwei Jahren Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, fordert das schon lange. Er hält Phoenix zwar nach wie vor für eine der „besten Erfindungen“, die ARD und ZDF je gemacht hätten, wundert sich aber, dass ein derart großer und vielfältiger Fernsehmarkt wie Deutschland immer noch keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal habe: „Gerade in einer komplexen Welt wie der heutigen, in der so viel auf einen einstürzt, ist die Information nicht nur das größte Gut, sondern auch eine zentrale Zukunfts- und Überlebensfrage für den Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland.“
Auch der Stuttgarter Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger (Universität Hohenheim) findet es gerade angesichts der Verspartung des Fernsehprogramms erstaunlich, dass ARD und ZDF noch keinen Nachrichtensender gegründet haben. Schweiger ist Experte für das Thema Medienwandel und hat sich in seinem kürzlich erschienenen Buch „Der (des)informierte Bürger im Netz“ mit der Frage beschäftigt, wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern. Gerade vor diesem Hintergrund betrachtet er die mögliche Einführung eines öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanals jedoch differenziert: „Seit vielen Jahren interessieren sich bestimmte Bevölkerungsgruppen nur wenig für Politik und nutzen klassische Nachrichten-Medien kaum.“ Diese „politische Bildungsmitte“, nach Schweigers Schätzung elf Millionen Menschen, sei nicht in der Lage, komplexe Sachverhalte richtig einzuschätzen: „Ihre Informationsquellen waren früher die Bild-Zeitung und RTL aktuell; die klassischen journalistischen Qualitätsmarken sind ihnen häufig gar nicht geläufig.“ Ihre Mediennutzung gleiche „seit jeher einem ‚Unterhaltungsslalom’. Da wäre die Schaffung eines neuen ‚Informationsgettos’ keine Lösung.“ Die Verknüpfung mit Unterhaltung sorge hingegen dafür, „dass viele Zuschauer Informationssendungen anschauen, weil sie zum Beispiel nach einem Fußballspiel beim Sender bleiben. Vor diesem Hintergrund würde man eher fordern, mehr Informationsinhalte ins reguläre Programm zu bringen und nicht etwa weniger.“
Ähnlich argumentiert der Marburger Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger: „Tagesschau und heute sind für das Senderprofil von ARD und ZDF viel zu wichtig. Mit einem gemeinsamen Nachrichtenkanal würden beide ihr spezifisches Nachrichtenkompetenzprofil verwischen.“ Bei ARD und ZDF sieht man das ganz genauso. ZDF-Unternehmenssprecher Alexander Stock weist darauf hin, dass das „Zweite“ schon jetzt „Nachrichten und Hintergrundinformationen fast rund um die Uhr“ sende, „und das nicht nur bei besonderen Ereignissen.“ Kai Gniffke, Erster Chefredakteur ARD-aktuell, beantwortet die Frage nach einem deutschen CNN mit dem Hinweis, die ARD habe ein solches Angebot mit tagesschau24 längst ins Leben gerufen; schließlich sende der Informationskanal „anders als manche anderen Nachrichtenkanäle“ den gesamten Tag über Nachrichten.
Tatsächlich hätte es vor rund 25 Jahren beinahe mal ein deutsches CNN gegeben: Anfang der Neunzigerjahre, erinnert sich Deppendorf, habe es bei ARD und ZDF Überlegungen gegeben, gemeinsam mit dem 1980 von Ted Turner gegründeten US-Nachrichtenkanal einen ganz ähnlichen Sender für Deutschland zu gründen. Die Amerikaner hätten jedoch nach mehreren Gesprächen die Geduld verloren und seien dann beim kurz zuvor gestarteten n-tv eingestiegen. Der Gedanke, einen solchen Sender in Eigenregie ins Leben zu rufen, wäre womöglich ohnehin am Veto der Politik gescheitert. Deppendorf glaubt zwar, dass sich das mittlerweile geändert haben könnte, aber in den Kreisen der Medienpolitiker denkt man derzeit eher darüber nach, das Angebot von ARD und ZDF zu verkleinern.
Phoenix selbst hätte ohnehin keine Handhabe, den Status quo zu ändern. Der Programmauftrag, betont Michael Hirz (WDR), der gemeinsam mit der vom ZDF entsandten Michaela Kolster die autonome Doppelspitze des Senders bildet, „schließt eine Ausrichtung als Nachrichtensender aus.“ Außerdem biete Phoenix dank des „Zusammenspiels von Ereignisberichterstattung, Dokumentationen, Gesprächssendungen und Online-Angeboten mehr Tiefe und Nachhaltigkeit als reine Nachrichtenkanäle.“ Deshalb, ergänzt Kolster, sehe man sich auch nicht im Wettbewerb mit den reinen Nachrichtenkanälen: „Unsere Stärken sind die umfangreiche Hintergrundinformation, das Erklären von Zusammenhängen und die Analyse, damit punkten wir bei unseren Zuschauern.“
Phoenix ist am 7. April 1997 als Ereignis- und Dokumentationskanal von ARD und ZDF gestartet. 2016 hat der Sender (Budget: 34 Mio. Euro) nach eigenen Angaben einen durchschnittlichen Marktanteil von 1,1 Prozent Marktanteil erreicht. Die höchsten Marktanteile bei Ereignissen gab es bei Übertragungen zum Brexit (5,7 bzw. 4,8 Prozent). Die zweite Debatte zwischen Hillary Clinton und Donald Trump im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahl kam auf 4,1 Prozent. Die ausführlichste Berichterstattung galt den Themen US-Präsidentschaftswahl (227 Stunden), Flüchtlingskrise (220 Stunden) und Brexit (100 Stunden). Aus dem Deutschen Bundestag berichtete Phoenix an 63 Sitzungstagen 301 Stunden, davon 281 Stunden live. Besonderes Zuschauerinteresse erzielte die Regierungserklärung von Kanzlerin Angela Merkel am 28. Juni zum Referendum in Großbritannien. tagesschau24 hatte 2016 im Schnitt einen Marktanteil von 0,2 Prozent. Das entspricht rund 1,8 Millionen Sehern am Tag. ZDFinfo hatte Jahr 2016 einen Marktanteil von 1,2 Prozent.