Denn wir wissen, was sie tun

Nachgefragt beim Verfassungsschutz – der mauert

Karikatur: Kostas Koufogiorgos
Karikatur: Kostas Koufogiorgos

Wie viele Journalisten und Journalistinnen werden vom Verfassungsschutz beobachtet? Erteilen die Dienste ihnen Auskunft über die gesammelten Daten? Netzwerk Recherche (nr) wollte es genauer wissen und stellte im Juli das Instrument „Frag den Dienst” ins Netz – für jede/n anonym nutzbar. Der Bitte um Rückmeldung folgten bis Ende November „etwa 20 Kollegen”, sagt der Journalist Albrecht Ude, der das nr-Projekt ehrenamtlich betreut. Auch ich habe nachgefragt, ob Daten über mich gespeichert werden.

Die Verstrickung der Geheimdienste in die NSU-Morde und die NSA-Affäre zeigt, dass diese stärker kontrolliert werden müssen. Seit dem Fall Andrea Röpke fühle ich mich als Journalistin nicht mehr sicher, denn die Kollegin, die über Rechtsextremismus recherchiert, geriet durch eine falsche Anzeige ins Visier der Geheimdienste. Die Spitzelattacke gefährde ihre Arbeit als Journalistin, wenn sie ihren Informanten nicht mehr Anonymität zusichern könne, erklärte Röpke auf einer nr-Konferenz zu „Recherche am rechten Rand”.

10. August 2014: Ich will Klarheit. Mein Brief an das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) in Köln liegt ausgedruckt vor mir. Dank des nr-Online-Generators musste ich das fertig ausformulierte Anschreiben für Auskunftsersuchen nur noch mit meinen persönlichen Daten ergänzen und unterschreiben. Ich kopiere den Personalausweis und faxe das Ganze, bevor ich beide Blätter in einen Briefumschlag stecke und per Post verschicke.

11. September 2014: Das Bundesverfassungsschutzamt hat geantwortet, der Auskunftsanspruch sei „spezialgesetzlich” geregelt, d.h. beschränkt. Ich müsse einen konkreten Sachverhalt, etwa die Teilnahme an einer bestimmten Demonstration, nennen und „ein besonderes Interesse an einer Auskunft” darlegen. Ich hätte bis zum 6. Oktober Gelegenheit einen entsprechenden Sachverhalt zu nennen, um die „gesetzlichen Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch” zu erfüllen.
Ich bin empört: Soll ich den Verfassungsschützern nun selbst Informationen für eine mögliche Akte über mich liefern? „Das ist eine Unverschämtheit”, bestätigt mich Albrecht Ude vom Netzwerk Recherche, mit dem ich Kontakt aufnehme. Nach den bisherigen Rückmeldungen sei das aber „Standardverhalten des BfV, das mauert”.
Ich stoße im Internet auf den „enkeltauglichen Medienblog Freigeber”, den Jens Brehl 2013 eingerichtet hat. Der Blogger hat auch nachgefragt – bei gleich drei Geheimdiensten: „Bereits am Montag, den 14. Juli habe ich beim hessischen Landesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesamt für Verfassungsschutz und beim Bundesnachrichtendienst einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt”, schreibt er. Zwei Wochen später teilten ihm die hessischen Verfassungsschützer mit, dass keine Daten über ihn gespeichert seien. Vom Bundesamt für Verfassungsschutz erhielt er am 25. Juli die gleiche Antwort wie ich: Man könne seinem Ankunftsantrag nur nachgehen, wenn ein besonderes Interesse vorliege. Schriftlich und telefonisch erläuterte Brehl im August, dass es ihm unmöglich sei, einen konkreten Sachverhalt zu nennen. Auf eine Antwort vom BfV wartet er immer noch. Beim Bundesnachrichtendienst ist seine Widerspruchsfrist am 3. November abgelaufen.

19. September 2014: Ich warte nicht bis zum 6. Oktober, sondern antworte sofort auf das Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz: „Ich bin sehr erstaunt, dass Sie meinem Auskunftsersuchen mit dem Hinweis auf ‘spezialgesetzliche’ Regelungen nicht nachkommen und mich stattdessen auffordern, Ihnen einen konkreten Sachverhalt für mein Anliegen zu nennen. Diesen konkreten Sachverhalt hatte ich Ihnen nämlich bereits in meinem Schreiben vom 10. August genannt: Als Journalistin habe ich persönlich ein spezifisches Interesse, zu erfahren, was wer über mich speichert, denn ich fürchte, dass es mir ergehen könnte wie der Journalistenkollegin Andrea Röpke, über die rechtswidrig Daten gesammelt wurden und werden.”

12. November 2014: Ich werde ungeduldig und greife zum Telefonhörer. Beim Kölner Bundesamt will ich die zuständige Sachbearbeiterin sprechen und lande zunächst in der Warteschleife „Thank you for calling …”, werde letztendlich aber doch mit ihr verbunden. Auf meinen Hinweis, dass ich bereits zwei Monate auf eine Antwort warte, sagt sie: „Das Schicksal teilen Sie mit sehr vielen anderen. Wir haben so viele gleich gelagerte Anfragen. Die Bearbeitungszeit dauert sehr lange.” – „Dauert das so lange, weil Sie Ihre Antworten erst abstimmen müssen”, hake ich nach. Nein, sie mache das alleine. Zwei Monate seien keine lange Zeit, die Bearbeitung könne eventuell auch sechs Monate dauern. Ich solle etwas Geduld aufbringen und „keine falschen Schlussfolgerungen ziehen”.
Ich telefoniere noch einmal mit Albrecht Ude. „Die bekommen sonst wohl unter 100 Anfragen. Da sind 20, 30 mehr schon spürbar”, meint er. Nach bisherigen Rückmeldungen mauern außer dem Bundesamt für Verfassungsschutz auch der Bundesnachrichtendienst und der Militärische Abschirmdienst. Die anderen seien „relativ fix”. Das Netzwerk Recherche sammelt weitere Fälle und will sie noch vor der nächsten Jahrestagung auswerten, um auf dieser Grundlage politisch und eventuell auch juristisch aktiv zu werden. Zunächst solle Kontakt mit der Bundesdatenschutzbeauftragten Andrea Voßhoff aufgenommen und juristischer Rat von Anwälten eingeholt werden.

19. November 2014: Mein Artikel liegt vor mir. Ich schreibe den Schluss: Netzwerk Recherche will den Geheimdiensten mit seinem Projekt zeigen, „dass ihr Handeln in der Öffentlichkeit kritisch betrachtet wird.” Erste Nadelstiche scheinen diese zu spüren.
Gezielter stachen Schweizer Journalisten vor einem Jahr in das Nest der Massenüberwacher. Reporter der Wochenzeitung (WOZ) drehten den Spieß um und hefteten sich an die Fersen von Markus Seiler, Behördenchef beim Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Blogger Jens Brehl berichtet über den Coup vom Dezember 2013. Drei Journalisten überwachen den Geheimdienstchef mit legalen Methoden und finden heraus, wie viel er verdient, wo er wohnt, dass er als Personalverantwortlicher in der reformierten Kirche einen wichtigen Gottesdienst schwänzt, welche Hobbys er hat, wo seine Yacht ankert oder wie sicher er Auto fährt. Diese Informationen sollen in der WOZ-Sonderausgabe zu Datenschutz und Überwachung erscheinen. Zuvor erhält Seiler per Videobotschaft das Angebot, die gesamte Zeitungsauflage zu kaufen. Finanziell könne er sich das durchaus leisten, rechnen die Journalisten vor. Doch der Geheimdienstchef geht nicht darauf ein. Die Sonderausgabe mit dem Titel „Denn wir wissen, was Sie tun” erscheint und stößt in ganz Europa auf ein großes Medienecho.

 Links:

https://netzwerkrecherche.org/blog/mit-frag-den-dienst-auskunftsantraege-bei-geheimdiensten-stellen/

http://www.der-freigeber.de/

http://www.woz.ch/markusseiler

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