Radio im Internet
Seit 1993 gibt es sie: Radiostationen im Internet. So bunt wie das World Wide Web ist auch die Zusammensetzung der etwa 3000 „radio stations on the net“. Portugiesische Musiksender, die britische BBC, amerikanischer Polizeifunk (www.polizeiscanner. com), christliche Fundamentalisten aus den USA, Studentenradios und Unterstützer der Zapatisten finden sich hier genauso, wie die öffentlich-rechtlichen Stationen der bundesdeutschen Radiorealität. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten existieren seit langem Stationen, die ihr Programm ausschließlich über das Internet versenden. Die MIT-Liste (wmbr.mit.edu) verschafft einen Überblick darüber, was zur Zeit auf Sendung ist.Grundsätzlich lassen sich zwei unterschiedliche Radioformen im Netz erkennen. Die „Bitcaster“ sind Stationen, die online ihr Angebot verbreiten. Es besteht die Möglichkeit, sich wie beim terrestischen Radio in ein laufendes Programm einzuschalten. „Radio on demand“ bietet dagegen eine völlig andere und neue Nutzung. Auf Abruf stehen hier Beiträge und Sendungen bereit, die nur angeklickt werden müssen. Nachrichten und Tondokumente werden hörbar, wenn der Nutzer es wünscht. Damit verläßt das alte Medium Radio die lineare Bindung an die Zeit. Informationen können gezielt nachgefragt und individuell abgestimmt werden. Es verliert sich der Zwang, das Radiogerät zu einer bestimmten Uhrzeit einzuschalten, um z.B. ein anspruchsvolles Feature über Medienpolitik zu hören. Bayern 5 (br.gmd.de/b5akt) kombiniert beide Formen auf sinnvolle Weise. Der Netzsurfer kann sich live in die aktuelle Übertragung einklinken, aber auch im Archiv nach Beiträgen suchen und diese abrufen. Welche besonderen Möglichkeiten das Internet beinhaltet, zeigt der britische Server „OneWorld“. Hier gibt es „radio on demand“ für engagierte und politisch arbeitende Medienmacher. „Die Beiträge sind frei verfügbar für alle Radios in der Welt mit einem Internetanschluß und Interesse an Menschenrechten, Umwelt und Entwicklung“ verkündet die Homepage von „OneWorldRadio News“.
Bevor der ungetrübte Radiogenuß aus den Boxen erklingt, muß der Rechner programmatisch auf den neuesten Stand gebracht werden. Denn wer mit dem Computer Radio hören will, muß seinen Browser mit einem „Plug in“, einem kleinen Zusatzprogramm, auf die Beine helfen. Die aktuellen „Player“ machen es möglich, die Audiodaten direkt beim Eintreffen abzuhören. Ein solches Programm kann meist kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden. Die Real Audio Technik von Progressive Networks (www.real.com) gehört zu den bekanntesten und verbreitetsten Standards. Ein anderer „Player“ ist Streamworks von Xing (stream.xingtech.com). Die Softwarefirmen finanzieren sich über den Verkauf der Serversoftware, die benötigt wird, um Töne und Radiobeiträge ins Netz zu geben. Hier ist die Auseinandersetzung um zukünftige Marktanteile bereits in vollem Gange.
Radio Bremen ist seit Mai ‘97 mit Text, Bildern und Audiodaten im Netz vertreten. Wolfgang Hagen ist dort Programmleiter und für die Aktivitäten des Senders im Cyberspace verantwortlich. „Es sind jetzt ganz harmlose Anfänge, sie führen aber dazu, daß die ganze Organisation der Medien, die an Zeitachsen orientiert und hoheitlichen Funktionen ausgesetzt war, sich verändert. Der entscheidende qualitative Sprung besteht darin, daß Interaktion und Navigation in der Summe ein neues Medium ergeben“. Einer solchen Entwicklung stehen zur Zeit noch geringe Übertragungsraten und die Gebühren der Telekom im Wege – Hindernisse, die in absehbarer Zeit aus dem Weg geräumt sein dürften. Das Monopol der Telekom ist gefallen, die Gebühren sinken. Jedoch drohen bereits weitere Kosten für die radiosüchtigen Netzsurfer. Denn nach dem gültigen Staatsvertrag über Radiogebühren und der Auffassung des Bayrischen Rundfunks ist „jedes Gerät, mit dem Rundfunksendungen empfangen werden können, ein Rundfunkempfangsgerät“. Demnach sind Computer, mit denen Radio gehört oder Radiobeiträge abgespielt werden können, als Rundfunkempfangsgerät anzusehen. Da jedes Empfangsgerät grundsätzlich eine Gebührenpflicht auslöst, gilt dies auch für Internet-PCs. Um die Einführung der neuen Medien nicht zu behindern, haben die Ministerpräsidenten der Länder vorgeschlagen, erst einmal bis zum Jahre 2003 darauf zu verzichten.
Bis dahin sind die Plätze in der ersten Reihe noch frei.