Deutsche Welle – Opfer der rot-grünen Sparpolitik?

Mal wieder: Rotstift statt inhaltlicher Debatte um Programmziele

Bei der Deutschen Welle herrscht Panikstimmung. Das von Finanzminister Hans Eichel im Bundestag durchgesetzte Sparpaket sieht drastische Etatkürzungen für den deutschen Auslandsrundfunk vor. Erstmals in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks drohen betriebsbedingte Kündigungen. Intendant DW-Dieter Weirich spricht von „Kahlschlag“ und einem „Verstoß gegen das Auslandsrundfunkgesetz“. Die Senderleitung erwägt eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Dieter Weirich fühlte sich getäuscht. Noch im Mai sei ein Etat von 635 Millionen Mark für das Jahr 2000 zwischen der DW, dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, Staatsminister Michael Naumann, und dem Bundesfinanzministerium verabredet worden. Jetzt solle der Sender im kommenden Jahr nur noch 581 Millionen Mark erhalten. Allem Anschein nach habe die Regierung mit der DW „offenkundige Scheinverhandlungen“ geführt. Für die folgenden Jahre sei mit noch stärkeren Schnitten zu rechnen. In der mittelfristigen Finanzplanung solle der Haushalt bis zum Jahre 2003 um 89 auf 546 Millionen Mark gekürzt werden. Da Tariferhöhungen und Preissteigerungen zusätzlich aus dem eigenen Etat erwirtschaftet werden müßten, laufe dies auf eine Kürzung von 22,4 Prozent im Vergleichszeitraum bis 2003 hinaus. Wie auf diese Weise das in der rot-grünen Koalitionsvereinbarung angestrebte Ziel einer „Verbesserung der medialen Außenrepräsentanz“ erreicht werden solle, sei unklar. Die Deutsche Welle sei zudem „von dem Streichkonzert erheblich stärker betroffen als andere Institutionen der auswärtigen Medien- und Kulturarbeit“. Es handle sich um einen „Kahlschlag“, der „gravierende personelle und soziale Folgen“ für die Deutsche Welle haben werde.

Aus dem Hause von Kulturstaatsminister Michael Naumann kam flugs die Gegenrede: „Das Bild der Bundesrepublik im Ausland zu fördern bleibt weiterhin Ziel dieser Regierung.“ Aber auch die Deutsche Welle müsse wie alle öffentlichen Institutionen einen „Beitrag zu den notwendigen Einsparungen“ leisten. Von überproportionalen Einschnitten könne keine Rede sein. Der Betriebshaushalt werde gekürzt wie der Gesamtetat Naumanns; die Zuschüsse für Investitionen sollten aber konstant bleiben.

Betriebsbedingte Kündigungen befürchtet

Weirich widerspricht. Die Investitionen seien so knapp berechnet, daß zwecks Modernisierung der Welle Mittel aus dem Betriebshaushalt in den Investitionsetat verlagert werden müßten. „Dies bedeutet weitere Einschränkungen für Programm und Personal.“ In England und den USA würden Haushalte saniert, ohne die mediale Außendarstellung zu schwächen. Die Welle werde daher „im Wettbewerb mit anderen Auslandsrundfunkveranstaltern weit zurückfallen.“ Weirich: „Die Botschaft ist klar: Weniger Auslandsrundfunk ist gewollt.“ Wie die „gravierenden personellen und sozialen Folgen“ der Kürzungen für die Deutsche Welle konkret aussehen könnten, erklärte Weirich zunächst nicht. Für Mitte August ist eine Direktoren-Konferenz vorgesehen, die über die mögliche Schließung von Programmen und Betriebsteilen beraten soll. Bereits im September wird ein definitiver Beschluß über programmreduzierende Maßnahmen erwartet. Im „Flurfunk“ verbreiteten sich dramatische Gerüchte über die Auswirkungen der rot-grünen Sparpläne: Schließung von bis zu 14 Redaktionen, Entlassung von 150 der insgesamt rund 1700 festangestellten DW-Mitarbeiter in Köln und Berlin, Jobverlust für rund 200 freie Mitarbeiter.

Betriebsbedingte Kündigungen – das wäre ein Novum in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auf der Streichliste ganz oben: das Berliner Radiostudio der Welle. Wobei allerdings die Hauptstadtberichterstattung nicht vermindert werden soll. Völlig unklar ist, welche Fremdsprachenprogramme aus dem Äther verschwinden sollen. Die Überlegung, das spanischsprachige DW-Programm stillzulegen, stößt bei den betroffenen Kollegen auf ungläubiges Staunen. Sie vermuten, daß die Intendanz mit dieser Drohung lediglich politischen Druck auf die Regierung ausüben will. Unklar auch das Schicksal der eben erst ausgebauten Balkan-Berichterstattung. Für die intensive Berichterstattung über den Kosovo-Krieg hatte die Welle einhelliges Lob kassiert. Die dabei entstandenen Zusatzkosten von knapp 15 Millionen Mark wurden bislang nicht erstattet – entgegen den ursprünglichen Hoffnungen der Senderleitung, aus Sondermitteln für den Kosovo-Einsatz kompensiert zu werden. Dennoch will Weirich dem Vernehmen nach am Konzept des „Krisenradios“ festhalten.

Nebulös erscheint auch das Schicksal von Deutsche-Welle-tv. Das Auslandsfernsehen hatte sich erst zu Beginn dieses Jahres im Zuge einer umstrittenen Reform als Nachrichten- und Informationssender neu positioniert. Etwa zeitgleich geriet der Sender in stürmische Gewässer: ein im Auftrag des Auswärtigen Amtes erstelltes Gutachten qualifizierte den Asien-Dienst der DW-tv als „langweilig“ und „unprofessionell“. (M 1-2/99). Zugleich waren Pläne ruchbar geworden, nach denen ARD und ZDF künftig wesentliche Funktionen beim Auslandsfernsehen übernehmen wollen. Unter Federführung von WDR-Intendant Fritz Pleitgen werde demnach an einem gemeinsamen Konzept von ARD, ZDF und DW für ein 24-stündiges Satellitenprogramm gearbeitet. Träger eines solchen Projekts könne eine internationale TV-Holding sein, an der sich auch der Bund und die Wirtschaft beteiligen könnten. Nähere Informationen über den Charakter dieser Pläne waren bislang nie an die Öffentlichkeit gedrungen.* Einer Einstellung der DW-tv, so viel gilt als sicher, würde sich Weirich aus Prestigegründen mit allen Mitteln widersetzen.

Die IG Medien und der DW-Gesamtbetriebsrat fordern seit Jahren eine qualifizierte „inhaltliche Debatte um die Programmziele des öffentlich-rechtlichen Auslandssenders Deutsche Welle“. Der DW-Betriebsverband der IG Medien erneuerte Ende Juni diese Forderung. Ein „neues Aufgabenkonzept“ müsse her, in dem die künftigen Prioritäten der Deutschen Welle markiert werden müßten. Etwaiger Personalabbau solle mittels eines Rahmensozialplans realisiert werden: „sozialverträglich und vor allem ohne betriebsbedingte Kündigungen“.

Auch der DW-Redakteursausschuß forderte Intendant Weirich in einer Stellungnahme auf, „nicht nur Kürzungsvorschläge, sondern auch inhaltliche Konzepte zu erarbeiten“. Es mache wenig Sinn, „beispielsweise eine Weltsprache wie Spanisch ganz zu streichen und Programme zur Disposition zu stellen, nur weil die Mehrheit der dort tätigen Kollegen kurz vor der Pensionierung stehen“. Eine solche Beliebigkeit erwecke sonst den Eindruck, der ganze Sender sei „entbehrlich“. Wörtlich heißt es: „Nur mit einem eigenen Konzept, wie der Auslandsrundfunk im kommenden Jahrtausend bestehen kann, kann den drastischen Kürzungen begegnet werden.“

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