Die Popstarformel zieht nicht mehr

Die klassischen Jugendzeitschriften kämpfen mit Auflagenverlusten und Umsatzeinbrüchen auf dem Anzeigenmarkt

Wenn die wachsende Titelzahl als Zeichen eines gesunden Marktes gilt, dann braucht sich die Jugendpresse keine Sorgen zu machen: Mit 35 in IVW ausgewiesenen Titeln ist die Dichte im Jugendmarkt so hoch wie noch nie zuvor. Aber die junge Zielgruppe zeigt sich launisch: Generalisten wie „Bravo“, „Popcorn“ oder „Hit“ mußten mit schwindenden Auflagen kämpfen, während Titel wie „Pop Rocky“, „Mega Star“ und „Limit“ endgültig von den Kiosken verschwanden.

Zwei Verlage konnten sich gegen diesen Trend behaupten. So konnte der Stuttgarter Dino-Verlag gleich für 3 Titel massive Zuwächse vermelden. Das „GZSZ“-Magazin, ein Fantitel für die RTL-Soap „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“ ließ mit einer verkauften Auflage von 436879 Exemplaren sogar den erfolgsverwöhnten Senkrechtstarter „Sugar“ hinter sich und wird als Magazin für Mädchen nur noch von „Bravo-Girl“ übertroffen, das 537 000 Exemplare verkaufen konnte. Auch „GZSZ-Rätselspaß“ (264 000 Exemplare) und die „Simpsons“-Comics (163 587 Exemplare) konnten sich einen Platz in der obersten Riege der Jugendtitel erobern.

Das zweite Glückskinde der Branche ist der Attic Futura-Verlag. Zwar ist „Hit“ mit einer verkauften Auflage von 160.332 Exemplaren mittlerweile das Schlußlicht unter den klassischen Jugendtiteln, da-für reüssierten die Mädchentitel „Sugar“ und „16“ um so deutlicher. „16“ konnte zu seiner ersten IVW-Quartalsmeldung gleich eine verkaufte Auflage von 174.364 Exemplaren vorweisen, während „Sugar“ mit einer verkauften Auflage von 415.000 Exemplaren eine Größenordnung erreicht, die noch der frühere Bauer-Verlagsleiter Claus-Dieter Grabner als Gefahrenzone für die etablierten Titel bezeichnete.

Erfolgsmischung mit Gimmicks

Die Erfolgsmischung von „Sugar“ und „16“ ist erstaunlich einfach. Verpackt in einem luxuriösen Hochglanz-Layout erhalten die jungen Leserinnen eine Flut von Schminktips, Lebensbeichten und appetitlichen Boys. Als entscheidendes Kaufargument dürfen weder bei „Sugar“ noch bei „16“ die hochwertigen Gimmicks fehlen, die oft allein mehr wert sind, als das ganze Heft kostet. Aber obwohl bei den Mädchen Schminksets, Anhänger und ähnliche Dreingaben gut ankommen, zögern die konkurrierenden Verlage wegen der hohen Produktionskosten.

Als erster Wettbewerber reagierte jetzt die Verlagsgruppe Jürg Marquard, die mit ihrem Traditionstitel „Mädchen“ eine behutsame Annäherung an die Hochglanzära wagte. „Mädchen“ hatte im alten Gewand rapide an Auflage verloren: So wanderten im ersten Quartal des Jahres knapp 72 000 Exemplare weniger über die Verkaufstheken – gut ein Fünftel der Auflage. Weitere Stützmaßnahmen sind wahrscheinlich, wenn der Relaunch nicht anschlägt. Denkbar ist hier eine höhere Erscheinungsfrequenz für das „Mädchen“-Sonderheft „Miss Beauty“ oder der Import des „Sugar“-ähnlichen US-Konzepts „Jump“. Attic-Futura-Verlagsleiter Günter M. Bregulla rechnet schon jetzt mit weiteren „Sugar“-Klonen: „Das ist nur logisch, daß es die anderen Verlage ab einem bestimmten Punkt auch mit diesem Konzept versuchen wollen.“

Auflagenverluste bei „Bravo“

Neue Konkurrenz aus der „Bravo“-Familie muß Bregulla dabei allerdings weniger fürchten, da bei Bauer jetzt erst die Ordnung des eigenen Stammgeschäfts ansteht. Schnelle Hilfe tut Not: Bis auf „Bravo Screenfun“ mußten alle Titel der „Bravo“-Gruppe mit erheblichen Auflagenverlusten kämpfen. Am schlimmsten traf es das Flaggschiff „Bravo“, dessen verkaufte Auflage von 1 241 469 Exemplaren auf 824 351 Exemplare schrumpfte. Jeder dritte Käufer verzichtete damit auf seinen gewohnten Cocktail aus Starberichten und Sexualberatung. Entsprechend hoch ist der Erwartungsdruck, der jetzt auf dem neuen Chefredakteur Jürgen Stollberg lastet.

Weg vom Starkult

Stollberg verweist hier wie sein Ex-Verlagschef Grabner auf die Abhängigkeit der Titel von den Stars. 1998 hätten die Blattmacher ihre Hefte weitgehend ohne zugkräftige Stars füllen müssen. Die Abwesenheit von Kelly-Kult und Take-That-Hysterie milderte die Kauflust der Jugendlichen an den Kiosken erheblich. Doch der „Bravo“-Chefredakteur glaubt nicht mehr an die Rückkehr der zugkräftigen Pop- und Filmikonen: „Das Verhältnis der Fans zu den Stars hat sich geändert. Die Jugendlichen der späten 90er sind cooler und dem Starkult gegenüber wesentlich kritischer.“ Auf das Ende der Popstarformel müssen die Generalisten eine Antwort finden, fordert Stollberg: „,Bravo’ war nie ein Blatt, das sich nur über die Stars definiert und verkauft hat.“

In seinem Flaggschiff hat der neue Steuermann die neue Kehrtwende schon vollzogen und setzt nun auf Boulevard-Berichterstattung zu Jugendthemen. Wo der 99. Bericht über die Kelly-Familie nicht mehr zieht, soll nun die Lebensbeichte eines spielsüchtigen Jugendlichen oder das Tagebuch eines Flüchtlingsmädchen aus dem Kosovo das Leserinteresse fesseln. Die neue Infokompetenz soll sich auch bei den Starberichten niederschlagen: „Ich will mich nicht mehr allein auf die Zugkraft einzelner Namen und Gesichter verlassen. Deshalb reichern wir unsere Berichte, wo immer es geht, mit Zusatzinformationen an.“

Trend zu Spezial-Titeln

Aber „Bravo“ leidet auch unter dem Druck, Jugendliche aus Altersgruppen fesseln zu müssen, deren Interessen zu weit auseinander liegen. Der Trend geht deshalb mittelfristig auch hier zu einer spezialisierteren Titel-Palette. Mit dem ab August regelmäßig erscheinenden „Comet“ für die Leser zwischen 16 und 29 Jahren wird „Bravo“ teilweise von dem Druck entlastet, den journalistischen Spagat über alle Altergruppen zu schaffen. Für die ganz jungen „Bravo“-Leser liegt mit „Clean“ schon ein entsprechendes Zielgruppenkonzept in der Schublade.

Eine unverhoffte Konkurrenz bescherte Stollberg der Marquard Verlag. Gerald Büchelmaier, der im Oktober ‘98 den „Bravo“-Chefredakteurssessel räumen mußte, übernimmt das Kommando bei Marquards „Popcorn“. Büchelmaier soll das Blatt, das in seinen besten Zeiten 400.000 Exemplare verkaufte und zuletzt auf 181.000 verkaufte Exemplare abstürzte, relaunchen und die Auflage steigern. Es ist für ihn eine Rückkehr: von 1977 bis 1991 war er Chefredakteur von „Popcorn“ und „Mädchen“. Büchelmaier wird jedoch nicht Chefredakteur, sondern bleibt Berater und führt die Redaktion nur als Teamchef auf Zeit.

Neue Angebote für Multimedia-Kids

Für die speziellen Wünsche der Multimedia-Kids schickt Bauer einen neuen Titel ins Rennen. „Screen Basics“ erscheint seit Mai und soll eine Mischung aus jüngerer „Computer-Bild“ und populärer „Tomorrow“ sein. Kommt das Konzept an, dann wird „Screen Basics“ 14täglich versetzt mit „Bravo Screenfun“ im Monatsrythmus erscheinen. Eine elegante Konstruktion: „Bravo Screenfun“ ist zur Zeit der einzige Titel der Bravo-Familie, bei dem sowohl Auflage als auch Anzeigengeschäft wachsen. 1998 steigerte er seinen Anzeigenumfang um 334,4 Seiten – Ein Plus von 730,1 Prozent. „Screen Basics“ würde hier zusätzlichen Raum für potentielle Anzeigenkunden bieten und gleichzeitig Reserven im Leserpotential ausschöpfen.

Auch andere Verlage haben inzwischen die Nische für sich entdeckt. So startete der Egmont Ehapa Verlag im März mit „Mausklick“ einen ersten Angriff auf „Bravo Screenfun“. Das Heft erscheint mit einer Monatsauflage von 150 000 Exemplaren und ist mit einer Zielgruppe von 8 bis 13 Jahren etwas jünger positioniert als der Bauer-Titel. Nicht ohne Ironie ist die Tatsache, daß Egmont Ehapa schon einmal bei dem Versuch, den Markt der Jugendlichen für sich zu öffnen, mit einem „Bravo“-Titel konkurrierte. Der Ehapa-Titel „Magic Sports“ mußte schon nach einem dreiviertel Jahr dem übermächtigen „Bravo Sports“ weichen.

Springer steht auf der Matte

Trotz der Turbulenzen im Markt dürfte die Zahl der Titel wohl auch weiter steigen. Jetzt ist mit dem Axel Springer Verlag ein neuer großer Player gestiegen. Der Hamburger Großverlag ließ im März die VM § TM Verlag GmbH § Co KG eintragen. Der im Handelsregister eingetragene Unternehmenszweck dürfte in den Chefetagen von Bauer § Co. für wenig Freude sorgen: „Herausgabe, Druck, Veröffentlichung und Vertrieb einer periodisch erscheinenden Jugendzeitschrift in deutscher Sprache.“ Zwar winkt der Springer-Verlag bei der Frage nach konkreten Plänen noch ab, aber es gilt als unwahrscheinlich, daß das vorsorglich gegründete Rechtskonstrukt lange ohne konkrete Projekte bleiben wird. Schließlich ist mit Claus-Dieter Grabner der ehemalige Herr der „Bravo“-Familie für den Zeitschriften-Bereich im Springer-Verlag verantwortlich.

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