Die deutsche Filmbranche kämpft mit Förderreformen, Steuererlassen und der sich abzeichnenden Digitalisierung
Die deutsche Filmbranche ist wie eine Zielscheibe: Im Fadenkreuz von Bundes- und Regionalzuschuss sowie kultureller und wirtschaftlicher Förderung gelingt selten eine Zehn. Volltreffern wie „Der Schuh des Manitu“ stehen zu viele Querschläger gegenüber, die mühevoll nur fünfstellige Kino-Besucherzahlen erreichen.
Mit der Ufa Filmtheater GmbH ist nun die erste Abspielkette pleite, und die anderen Beschäftigten der Kinos mussten erst kürzlich mit Streiks ein paar Euro Lohnerhöhung erzwingen. Die Branche kann sich zwar seit drei Jahren über steigende Besucherzahlen freuen, doch die Einnahmen stagnieren. Die großen Ketten und Multiplexe verdrängen die kleinen Lichtspieltheater. Zugleich sank der Marktanteil des deutschen Films im letzten Jahr von 18 auf 12 Prozent, internationale Erfolge sind nicht üppig und die Exporterlöse eher klein. Bei Koproduktionen und Filmfonds hat die unberechenbare Besteuerungslage der Finanzbehörden in den letzten zwölf Monaten zu Einbrüchen geführt.
Auch die TV-Produktion holpert, denn die Zeiten der großen eigenen Fernseh-Eventfilme und hochklassigen deutschen TV-Movies sind vorerst vorbei. Der Einbruch der Werbeeinnahmen (allein 2002 um über 5 Prozent) führt zu Spardruck bei den Sendern, der vor allem die private Flimmerbranche trifft. So kann Sat.1 dieses Jahr 100 Millionen Euro weniger fürs Programm ausgeben. Kein Wunder, dass Geschäftsführer Martin Hoffmann – bekannt für cineastische Experimentierfreude und seine Liebe zu Eigenproduktionen – vorsichtig verkündet: „Risikofreude an sich ist kein Wert“.
Nicht nur die Berliner Station als Teil der ProSiebenSat.1 Media AG setzt wie die konkurrierende RTL-Senderfamilie nun stärker auf Wiederholungen, billige Talks, preiswerte Gerichts- und Psycho-Shows, Ratesendungen mit hohen Quoten und auf die mit Gruppenrabatt eingekaufte TV-Serienware. Dazu kommen noch einige massenattraktive Sportübertragungen, so dass die Sendeplätze und Mittel für Eigen- oder Auftragsproduktionen rarer werden. Doch auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten, mit ihren sieben Milliarden Euro Gebühreneinnahmen eigentlich gut ausgestattet, stützen mit Produktionsaufträgen eher ihre Töchter.
Deshalb fordern Filmproduzentenverbände und ihre Mitglieder wie etwa Alexander Thies von NFP – Neue Filmproduktion: Die Wettbewerbsverzerrung muss durch die Trennung von Sendern und Produktionstöchtern beendet werden – zur Not gesetzlich verordnet. Ohnehin ist die EU-Transparenzrichtlinie noch gar nicht richtig beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland umgesetzt. Angesichts der wettbewerbsverzerrenden Quersubventionierung mittels Gebührengeldern ist der Produzentenprotest verständlich. Denn die durch Unterkapitalisierung und Kursverlust gebeutelten deutschen Produktionsfirmen befällt der Virus des Auftragsstopp so heftig, dass mittlerweile sogar schon Mittelständler kurz vorm Sterbebett stehen. Die stellen mit etwa 100 Firmen das Rückgrat der deutschen TV- und Kinoproduktionslandschaft, die aber auch viele kleine Unternehmen umfasst. Wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsförderung in einer Studie feststellte, beziehen die Privatsender nur etwa zwei Fünftel ihrer Auftragsproduktionen von Tochterfirmen, während es bei ARD und ZDF zwei Drittel sind.
Nur gute Worte beim „Bündnis für den Film“
Und was macht die Politik angesichts des Sturms im Film-Metier? Die hat mit Christina Weiss bereits den dritten Bundes-Staatsminister für Kultur und Medien in den letzten fünf Jahren installiert – alle bekennen sich zum Reformprojekt „Bündnis für den Film“. Doch weder Michael Naumann noch Julian Nida-Rümelin gelang der Durchbruch. Jetzt kriselt die Branche und ihr Umfeld, so dass die Chancen für eine zukunftsträchtige Umstrukturierung rapide sinken. Auch verstärkt die hohe Staatsverschuldung eher den Trend zur Schließung von Fördertöpfen wie beim Film.
Dabei ist die Problemlage ziemlich klar. In dem seit November 2001 vorliegenden Filmpolitischen Reformkonzept (siehe auch „M“ 4 / 2002) steht als Essenz, dass die „Rolle des deutschen Films im In- und Ausland“ als Kultur- wie auch Wirtschaftsgut nur durch „gemeinsame, kooperative Aktionen aller beteiligter filmpolitischer Kräfte“ zu erreichen ist. Fünf Punkte hatte schon Nida-Rümlin als wesentlich für eine reformierte Filmpolitik benannt, darunter: Anreize für den wirtschaftlichen Erfolg der einzelnen Filmproduktionen zu verstärken, Rahmenbedingungen künstlerischer Kreativität zu verbessern (Drehbuchförderung), unabhängige Filmproduzenten in ihrer Rolle als zentrale Akteure zu unterstützen.
TV-Geld umstritten
Christina Weiss will aber „das Konzept nicht unbesehen übernehmen“, kündigte sie unlängst im Interview mit dem Fachdienst „promedia“ an. Nach Expertengesprächen bereitet sie in diesen Wochen eine weitere Tagung des „Bündnis für den Film“ vor. Dabei stehen die Novelle des Filmfördergesetzes, Nachbesserungen an den Steuerbeschlüssen zu Medienfonds sowie weitere Schritte zur Mobilisierung von Privatkapital und zur Stärkung der Eigenkapitalbasis von Produzenten im Mittelpunkt. Sekundiert wird sie dabei von der Produzentenvereinigung film20. Deren Generalsekretärin Georgia Tornow attackierte unlängst Finanzminister Hans Eichel: „Die Ideen zu Mindestbesteuerung und Verlustabzug sind für die Filmproduzenten eine echte Killerapplikation“. Statt dessen fordert film20 eine „Bereichsausnahme Film“ beim geplanten Steuervergünstigungsabbaugesetz.
Auch die Grünen als Regierungspartner haben konkrete Vorstellungen. Sie wollen, wie Antje Vollmer in „promedia“ sagte, dass sich Produzenten durch kürzere Lizenzphasen der Sender einen Rechtestock aufbauen, der ihnen über einen Zweitverwertungsmarkt zusätzliche Erlöse bringen könnte. Außerdem sollte der öffentlich-rechtliche Rundfunk wegen des Gebührenprivilegs bei Förderfonds stärker als die Privatsender herangezogen werden. Überhaupt droht das spannungsbeladene Verhältnis der TV- zur Kinobranche an der Stelle Film zu brechen. Alle Sender wollen nicht höhere Summen in die bundesweite Filmförderung einzahlen, private drohen gar mit Reduzierung und Ausstieg. Dahinter steht die Verärgerung über das „strukturelle Ungleichgewicht im dualen Rundfunksystem“. Wie der Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telekommunikation, Jürgen Doetz, vorrechnete, gehe die Schere zwischen Werbe- und Gebühreneinnahmen von ARD und ZDF sowie den Werbeerlösen der Privatsender immer weiter auseinander – im vergangenen Jahr fast drei Milliarden Euro. Unternehme die Politik nichts dagegen, müssten die Privatsender eben ihr freiwilliges Engagement, z.B. bei der Filmförderung, kürzen.
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender wollen ihre Beiträge zur Bundesfilmförderung nicht erhöhen, gehen eigene Wege. Sie investieren lieber in regionale Förderung, oder setzen auf konkrete Kooperationsprojekte. Eines davon ist das Label „Ostwind“, eine Kooperation von ZDF und ORB, bei der zwölf Low-Budget-Produktionen von jungen Filmemachern entstehen. „Wir sind mehr eine dramaturgische Werkstatt, statt ein reines Finanzierungsmodell“, sagen die beiden Verantwortlichen in Mainz und Potsdam, Annedore v. Donop und Cooky Ziesche. Das Einzigartige an „Ostwind“: Die Spiel- und Dokumentarfilme laufen erst bei Festivals und im Kino, ehe sie in den beiden TV-Programmen gezeigt werden. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen, wie der preisgekrönte Streifen „Berlin is in Germany“ zeigt. Und der Südwestrundfunk (SWR) kofinanziert künftig bis zu vier Debütfilme im „Fifty-Fifty“-Programm Baden-Württembergs.
Regionalförderung stärker multimedial
Überhaupt geht der Trend bei der Regionalfilmförderung weg vom klassischen Film hin zur gemischten multimedialen Förderung. So ist die Mitteldeutsche Medienförderung (MDM) als jüngstes Regionalgremium von den Ländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen bewusst nicht als reine Filmförderanstalt gegründet worden. Das sieht MDM-Geschäftsführer Manfred Schmidt als Erfolg. Auch die Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg sieht sich für den Medien- und IT-Bereich zuständig. Berlin-Brandenburg bastelt schon seit mindest einem Jahr an der Zusammenlegung des gemeinsamen, fast mittellosen Medienbüros mit dem millionenschweren Filmboard. Selbst wenn von beiden Landesparlamenten die Mittel für den neuen Medienboard aufgestockt werden, liegt die Hauptstadtregion mit ihrem Filmetat deutlich hinter Bayern und Nordrhein-Westfalen. Im Kern ist und bleibt die Regionalförderung aber nur ein standortbezogenes Ansiedlungsinstrument mit Infrastruktur- und Marketingaufgaben für ein oder mehrere Bundesländer. Neue Impulse ins Gerangel um die Film- und Produzentenbranche bringt auch die EU ein. So überprüft die Kommission in Brüssel derzeit Verträge der sieben Hollywood-Studios mit europäischen Sendern. Deren Hunger auf attraktive Bildschirmware in Kinoqualität ist so groß, dass Erlöse aus den Exklusivdeals mit dem alten Kontinent den US-Majors jährlich 1,5 Milliarden Dollar aus TV-Rechten einbringen – zusätzlich zu den sonstigen Erlösen aus Kino, DVD / Video und anderer Filmverwertung. Hinter dieser Verdreifachung in den letzten Jahren vermutet EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti Knebelverträge und illegale Kartellabsprachen. Weitere Veränderungen auch für die audiovisuelle Branche könnte die Überprüfung der Richtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ und deren Verknüpfung mit dem Media-Plus-Programm bringen.
Geradezu wie Kleinkrieg mutet das Gerangel aber angesichts der Digitalisierung an. Die greift nun immer stärker vom Rundfunk- und Medienbereich auf den Film über. Und wird die 100 Jahre alte Zelluloid-Branche ähnlich revolutionieren wie der Ton und die Farbe. „Star Wars“ lässt grüßen! Die neue Studie der Filmförderanstalt (FFA) „Digitales Kino kommt …“ schaut nicht nur über den deutschen oder europäischen Tellerrand, sondern kommt auch zu dem Schluss: „Der Flaschenhals in der Verbreitung des digitalen Kinos sind die Filmtheater“. Produziert wird heute schon – aus Kostengründen – sehr oft digital, statt auf teurem 35-Millimeter-Film in aufwändiger Kulisse an exotischen Drehorten. Auch der Vertrieb wird trotz etlicher ungelöster Probleme bald auf den Zug aufspringen – immerhin spart man sich teure Kopien.Nur die Abspielstätten sind zögerlich. Kein Wunder, kostet doch die neue Technik bis zu 150 000 Euro pro Leinwand. Doch wie sollen die hohen Investitionen wieder eingespielt werden?
Studios und Verleiher sind da gefragt, aber auch die Phantasie der Theaterbetreiber. Alternative Einkommensquellen – etwa durch Events in Kinos – werden schon in etlichen Ländern erfolgreich getestet. Außer der Kreativität des Einzelnen müsse aber, so FFA-Vorstand Rolf Bähr, „auch darüber nachgedacht werden, ob und in welchem Umfang die digitale Zukunft bereits im neuen Filmförderungsgesetz Eingang finden sollte“. Seine Warnung ist eindringlich: Wenn wir uns nicht auf die Digitalisierung vorbereiten, „verpassen wir die Chance, dem europäischen Film die Kinos wieder zugänglich zu machen“.