Erfolgreich gegen Neo-Nazis

Aktionen in Weimar – wichtige Rolle der Lokal-Medien

Sambamusik liegt über der Stadt. Überall im Zentrum stehen Lautsprecher in den offenen Fenstern, das Programm des Lokalradios erklingt, und die Weimarer wippen im Samba-Takt. Junge Leute verteilen portionsweise 60 Liter frisch gekochten Schokoladenpudding, Motto „Die braune Masse muss weg“. Kinder malen Plakate mit roten, gelben und braunen Gesichtern. Goethes Wohnhaus ist verstellt, mit großen, alten Holzkisten. Die Weimarer wissen, Häftlinge des nahegelegenen KZs Buchenwald mussten sie bauen für die kriegssichere Auslagerung von Kunstschätzen.

An Fenstern und Fassaden hängen Plakate, worauf gerade jemand ein Hakenkreuz in den Müll fallen lässt, zu zigtausenden gedruckt und zum Teil kostenlos verteilt von der „Thüringischen Landeszeitung“ (TLZ). Das sind nur einige Ideen, mit denen sich die Bevölkerung der Stadt Weimar gegen Nazi-Aufmärsche zur Wehr setzte. Denn Thüringens NPD hatte gleich zwei Versuche gestartet, in der 62000-Einwohner-Stadt zu marschieren, am 1. und am 20. Mai.

Rund 20000 setzten ihr couragiertes Nein dagegen und beteiligten sich am 1. Mai an vielen ironischen, aber auch nachdenklichen Aktionen. Am 20. Mai zog wieder eine bunte Karawane durch die Klassikerstadt. Für das juristische Nein legte sich das Rechtsamt ins Zeug und verfasste Verbotsverfügungen, die auf dem Weg durch die Instanzen Bestand hatten. Einer Gewerkschafter-Delegation aus Hamburg und Südholstein im Juni sagte der Weimarer Oberbürgermeister Volkhard Germer: „Ich bin stolz auf die Weimarer Bürgerinnen und Bürger“. Die taten sich nämlich zusammen, als die Demonstrationsabsichten der NDP bekannt wurden. Zum ersten Treffen Anfang April kamen beachtliche 200 Menschen, um zu beraten, wie man sich verhalten wolle, wenn die Nazis durch Weimar marschieren. Denn dass sie letztlich marschieren würden, war für viele noch wahrscheinlich. Dort, wo Städte und Landräte Demonstrationen von Neo-Nazis verboten hatten, hatten Gerichte diese Verbote kassiert. Trotzdem, die Weimarer wollten ihrer Stadt nicht den Neo-Nazis überlassen, auch wenn der Marsch genehmigt werden sollte.

Erfolgreich sind wir nur gemeinsam. Dieser Satz war allen klar. Also mussten Aktionsformen gefunden werden, die die berühmte Oma nicht in den Fernsehsessel drücken, wenn sie den Heldenmut wackerer Antifaschisten aus sicherer Entfernung beobachtet. Viel mehr sollte sie Lust haben, mitzumischen, wenn Weimar sich abwendet von Rechtsradikalen. Nun, alle ließen sich was einfallen. Beteiligt haben sich schließlich nicht nur alle Ratsparteien, der Motorsportclub, die Feuerwehr, Schulen, die Museen, die KZ-Gedenkstätte, die Kirchen, die Musikhochschule, der DGB, das Deutsche Nationaltheater – neben den schrillbunten Autonomen, um nur einige zu nennen.

Besonders wichtig waren Radio Lotte und die Weimarer Lokalredaktion der TLZ. Deren Lokalchef Thorsten Büker: „Für uns in der Redaktion war schnell klar, in dieser Sache müssen wir unsere professionelle Neutralität in der Berichterstattung über Bord werfen. Für ihren Aufmarsch hatte die NDP Plätze ausgewählt, an denen sie entweder die Opfer verhöhnt oder die Täter gepriesen hätten. Das wäre eine wirkliche Brüskierung gewesen. Während eines Interviews mit dem Leiter der Gedenkstätte Buchenwald entstand die Idee zu dem Plakat, von da an das Logo für die umfangreiche Berichterstattung in Sachen Bunt statt Braun.

Im Lokalradio bildete sich eine Arbeitsgruppe aus festen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen. Sie warben z.B. auch mit zusätzlichen Handzetteln entlang der Aufmarsch-Route für die Idee mit den Samba-Rhythmen. Ab Mitte April gab es täglich neben Interviews zum Stand der Vorbereitungen jeweils um 5 Minuten vor 12 eine Tageszusammenfassung zum Thema Neo-Nazis und Gegenaktivitäten. Die wurden von der Stadt (!) koordiniert, in einem eigens eingerichteten Büro. Sie bot auch städtischen Versicherungsschutz für die angemeldeten Aktionen. Denn es war ja nicht klar, ob die Gerichte die Verbotsgründe akzeptierten. Die erleichternde Nachricht vom Oberverwaltungsgericht kam erst 2 Tage vor dem 1. Mai. Und wegen des für den 20. Mai geplanten Nazi-Aufmarschs kam die – höchstrichterliche – Nachricht erst eine Stunde vor Demo-Beginn. Erstmals in Deutschland bestätigte ein Gericht ein Verbot nicht mit einer unübersichtlichen „Gemengelage“, hervorgerufen durch linke Gegendemonstranten, sondern sah es wie die Stadt Weimar. Die hatte argumentiert und sorgfältig belegt, vom NDP-Aufmarsch selbst ginge sehr wahrscheinlich Gewalt aus.

Auf diesem Erfolg ruht sich Weimar aber nicht aus, und schon gar nicht Radio Lotte und die TLZ. Die entwarf gemeinsam mit einer Werbeagentur das Logo für einen Aufkleber „Thüringen Tolerant“. Der regionale Stromkonzern sponsorte die Druckkosten für 200000 Exemplare, die reißend weg gehen. Eine große, öffentliche Veranstaltung für Ende September plant die TLZ für Weimar auch. Radio Lotte hat sich mit dem VS, dem Schriftstellerverband in der IG Medien, zusammengetan, für einen Wettbewerb von SchülerInnen und Jugendlichen. Arbeitstitel: „Flammen in den Herzen, statt Bücher in den Flammen“. Texte aus verbrannten Büchern, z.B. Kästner oder Tucholsky, werden wie HipHop-Literatur oder als Slam-Poetry gelesen, regelmäßig bei Radio Lotte zu hören und im März als öffentlicher Wettbewerb präsentiert. Nachahmung erlaubt.


  • Astrid Matthiae studierte Fischereibiologie und arbeitet seit 1986 als freie Hörfunkautorin. Innerhalb ihres Themenschwerpunkts Fischerei- und Agrarpolitik geht es ihr oft auch um soziale und gewerkschaftliche Themen. Ob TagelöhnerInnen in Andalusien – und im Alten Land oder Fischarbeiterinnen in Dänemark. Die kommen u.a. in ihrer Kulturgeschichte des Herings Vom Aufstieg des Arme-Leute Fischs von 1999 als Hörbuch (MC) erschienen; als plattdeutsche (!) CD ihr preisgekröntes Feature über Arbeiterbewegung und Nazizeit in Eckenförde, In dütt komodige Familjenhaut … Beides zu haben im Handel oder bei der Autorin, Tel. 040/4394766.
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »

Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?
mehr »

Beim Tatort selbst ermitteln

Ein Zocker sei er nicht. So sagte es Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), als er im August vorigen Jahres auf der Gamescom in Köln zu Gast war. Am ARD-Stand hat sich der damalige Vorsitzende des Senderverbunds dennoch zum Zocken eingefunden, zu sehen auch im Stream auf der Gaming-Plattform Twitch. Erstmals hatte die ARD einen eigenen Auftritt auf der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele – ein deutliches Signal, dass die ARD auch auf Games setzt. Und das hat maßgeblich mit dem SWR zu tun.
mehr »

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »