Erst Fakten, dann Emotion

„Schwarzrotbunt“ (ZDF) und „Babylon“ (WDR): Zwei Fernsehmagazine, die sachlich über das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern informieren.

„Wo bitte kann ich gegen Ausländer unterschreiben?“, diese Frage sei in einigen Bundesländern bei der Unterschriftensammlung der CDU zu hören gewesen, so die Moderatorin Aysâim Alpman im Fernsehmagazin „Babylon“ (WDR). Warum fällt es bloß denen, die gegen Ausländer Stimmung machen, so leicht zu emotionalisieren? Und weshalb tun sich die Befürworter hingegen relativ schwer, ihre Gefühle zu äußern?

Eine interessante Frage, meint Markus Bach von der ZDF-Redaktion „Schwarzrotbunt: Wir in Deutschland“. Seine Antwort: Vergleichsweise einfach sei es, gegen Ausländer zu polemisieren, egal ob sie aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen sind. In der Negation komme es oft schnell und leichtfertig zu Pauschalurteilen. „Schwarzrotbunt“ mache es sich jedoch deshalb keineswegs zur Aufgabe, im Zuge der Gegenöffentlichkeit in jeder Lebenslage positiv über Ausländer zu berichten. Sie etwa als „Gutmenschen“ darzustellen. Differenziert wolle man hinzuschauen, sich mit allen Aspekten des Themas auseinandersetzen. Doch ist das „Für und Wider“ geklärt und die Fakten vermittelt, seien durchaus Emotionen erlaubt, so das Credo der Redaktion.

Das ständige Bemühen um den klassischen angelsächsischen Journalismus ist der Sendung in der Tat anzusehen. Beispiel „Doppelte Staatsbürgerschaft“: „Schwarzrotbunt“-Moderatorin Jacqueline Boyce stellt ihren Studiogästen – dem Vorsitzenden des Rates für Migration, Michael Wollenschläger, genauso wie dem rechtspolitischen Sprecher der CSU, Wolfgang Zeitlmann, – reine Informationsfragen. Woher er denn die Erkenntnisse habe, daß es durch diese spezielle Form der Einbürgerung zu fundamentalistischen Bestrebungen in der Bundesrepublik kommen könne, will sie etwa wissen. Daß die CDU/CSU mit „Hau-druff-Argumenten“ in die Debatte gehe, erläutert im Anschluß Bernd Ulrich Haagen im ausgewiesenen Kommentar.

Information gegen Manipulation

„Schwarzrotbunt“ und „Babylon“ sind die einzigen Fernsehmagazine, die sich mit dem „Zusammenleben von Deutschen mit Ausländern“ beschäftigen. Nicht nur interkulturelle Bereicherungen sind Thema, auch Konfliktstoff wird benannt. Ein Sujet, das offenbar wie kein anderes die deutschen Gemüter erregt. Nicht nur die Hessenwahl wurde auf diese Art gewonnen, im Wahlkampf zündelten die rechten Parteien schon immer gern mit Worten. Die Boote waren stets besonders voll, die Einwandererschwemme außergewöhnlich groß, etc, man kennt das, so werden Ängste bewußt geschürt. Als gelte es, auf Teufel komm raus von den tatsächlich relevanten politischen Themen abzulenken. Ganz gleich, ob es um Arbeitslosigkeit, soziale Absicherung, Wohnungsnot oder generelle Verteilungskämpfe geht: Die Fremden eignen sich in den Augen konservativer Politiker offenbar wunderbar dazu, von politischen Fehlern und unzureichenden Konzepten abzulenken.

Dem gefährlichen Trend, auf diese Weise zu irrationalem Nationalismus und Volkstümelei anzustiften, setzten diesmal sowohl die WDR-Sendung als auch das ZDF-Magazin detaillierte Informationen entgegen. Es wurde über die Außenseiterposition berichtet, die Deutschland in bezug auf europäische Standards übernimmt. Darüber, daß die doppelte Staatsbürgerschaft nahezu überall in schönste Normalität umgesetzt ist. „Pakistanischer Brite, oder umgekehrt, wen interessiert das schon in England“, heißt es in einem ZDF-Filmbeitrag. Auch wenn es ein bißchen kalt sei, Mohammed Khokhar jedenfalls fühle sich dort zuhause und gehe wählen. Seit 1981 gibt es im Vereinten Königreich die doppelte Staatsbürgerschaft, ohne daß sich in diesem Zusammenhang etwa die Zeitungsarchive merklich gefüllt hätten. Auch in Holland und Belgien rede kein Mensch über angebliche Sicherheitsrisiken oder Loyalitätskonflikte. Auch käme niemand auf die Idee, der doppelte Paß könne etwa Identitätsprobleme auslösen, konstatierte man trocken bei „Babylon“ im WDR. Können wir also aufatmen? Ist das öffentlich-rechtliche Fernsehen besser als sein Ruf? Nimmt es ganz korrekt seinen Auftrag kultureller und politischer Informationspflicht wahr? Zu schön, um wahr zu sein. Denn diese gesellschaftspolitisch längst fälligen und anregenden Fernseh-Diskussionen müssen in der Programm-Zeitschrift absichtsvoll und aufwendig gesucht werden, da zappt man nicht einfach so aus Versehen vorbei. Die Sendungen sind in Programm-Nischen versunken, ähnlich einer Stecknadel im Heuhaufen.

Frühe Sendezeiten

Wer „Babylon“ sehen möchte, sollte am Wochenende etwas früher aufstehen, die Sendung läuft samstags von zehn bis elf Uhr morgens. Das Magazin präsentiert nicht nur Geschichten aus dem deutschen Alltag, sondern richtet den Blick auch in andere Länder, um andere Lebensgewohnheiten und Denkweisen vorzustellen. In der jeweiligen Landessprache wird über EU-Länder wie Italien, Spanien, Griechenland und Portugal berichtet, aber auch über die Türkei und die osteuropäischen Staaten Ex-Jugoslawien und Polen. Wer diese Sendung auf deutsch sehen will, sollte sich indes sonntags Morgenmuffeligkeit abtrainieren und statt dessen um zehn Uhr morgens pure Bildungslust unter Beweis stellen. Bei neueren Fernsehgeräten läßt sich der Zweikanalton beliebig, samstags wie sonntags, entsprechend einstellen.

Das ZDF bevorzugt den ausgeschlafeneren Fernsehzuschauer. Aber auch der sollte zumindest ein kleines Opfer bringen. Samstags um halb eins gibt es halt Besseres zu tun als Mittag zu essen. Denn wie soll man sonst erfahren, warum der sächsische Fabrikarbeiter Herbert nach Feierabend heimlich zu einem Indianer vom Stamm „Black feet“ mutiert. Oder daß sein Kumpel „Old Bull“ stolz darauf ist, keine Faschings-Rothaut zu sein, sondern sich seriös und (fast!) wissenschaftlich in die Historie und Gegenwartsgeschichte der Indianer vertieft. Und es zudem sein kann, daß bereits der Morgen graut, bevor sich beide wieder in freundliche Nachbarn zurückverwandeln. Denn sie pflegen dasselbe Verhältnis zur Zeit wie die Indianer: gar keins.

Für den durchschnittlichen ZDF-Zuschauer trifft dies jedoch nicht zu. Weshalb er dann wohlwollende, aber mahnende Briefe an die Redaktion schreibt, Tenor: „herausragende Sendung, aber falscher Sendeplatz“. Dennoch sind solche unersättlichen, anspruchsvollen und wißbegierigen Menschen wohl in steigender Tendenz zu registrieren. Lag der Durchschnitt 1998 noch bei 283000 „Schwarzrotbunt“-Zuschauern, im Dezember verfolgten bereits 420000 das multikulturelle Geschehen auf dem Bildschirm. Vor der Hessenwahl saßen sogar 430000 Menschen vor dem Fernseher. Wahrscheinlich um sich von den allzu simplen Parolen an den CDU-Ständen zu erholen. Doch „Schwarzrotbunt“ erntet keineswegs ausschließlich Zuspruch. Dreiviertel der Zuschauerpost sei negativ, entstamme dem rassistischen Sumpf – „für uns ein Zeichen, wie wichtig die Sendung ist“, meint der Pressesprecher der Redaktion, Markus Bach. Für uns auch.

 

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