Den Traum von Multimedia werden deutsche Kabelhaushalte noch lange träumen
13 Milliarden Euro: eine stolze Summe. So viel soll die Deutsche Telekom letztlich für den Verkauf ihrer TV-Kabelnetze erhalten. Die Käufer kommen überwiegend aus Amerika; wie es der Zufall will, haben mit Liberty und Callahan gleich zwei von ihnen ihren Firmensitz im Großraum Denver. Prompt machte die Anspielung auf die TV-Serie „Denver-Clan“ die Runde, schließlich ging es auch da stets um das ganz große Geld. Und weil gerade Liberty-Chef John Malone nur dort zu investieren pflegt, wo er auf dicken Reibach hofft, dürfte in den 18 Millionen deutschen Kabelhaushalten schon bald das große Rechnen beginnen: Bleibt man beim Kabel – oder ist eine Satellitenschüssel langfristig nicht günstiger?
Malone, einer jener letzten Tycoons, die mit riskanten Geschäften riesige Vermögen erwirtschaften, profitiert als erster von der Telekom-Entscheidung, sich komplett vom Kabelnetz zu trennen. Richard Callahan (Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg) und das Konsortium rund um den Briten Gary Klesch (Hessen) durften nur 55 beziehungsweise 65 Prozent der Netze erwerben; Malone ging gleich aufs Ganze. Doch es wird nicht bei den geschätzten 5 bis 6 Milliarden Euro bleiben, die er der Telekom überweisen muss. Soll sich die Investition amortisieren, muss Liberty die sechs erworbenen regionalen Kabelnetze ins 21. Jahrhundert führen. Und das wird teuer, denn die Telekom ließ die in den siebziger und achtziger Jahren verbuddelten Kupferkoaxialkabel für den Fernsehempfang schon seit geraumer Zeit in Ruhe vor sich hin schlummern.
Für den Telefonriesen indes ist das Kabelkapitel endgültig Geschichte. Das belegt nicht allein der 100-prozentige Verkauf der Regionalgesellschaften in Berlin/Brandenburg, Bayern et cetera. Liberty sackte gleich auch noch die Tochterfirmen Kabel-Services (TV-Kabel-Vermarktung) und Media Services (IT-Dienstleister) mit ein; die Telekom braucht sie nicht mehr. Das gilt auch für die Decodertechnik: Den milliardenschweren Einstieg bei Leo Kirchs Decoder-Firma Beta Research (d-box) kann sich die Telekom nun ebenfalls sparen.
Telefonieren übers Fernsehkabel oder Fernsehen mit dem Telefon?
Die scheinbar abrupte völlige Abkehr der Telekom vom TV-Geschäft via Kabel, bei dem sie lange zumindest eine Sperrminorität behalten wollte, hat natürlich Methode. Liberty, Callahan und Klesch werden ihre Kunden ködern, indem sie ihnen anbieten, demnächst übers Fernsehkabel auch tele-fonieren zu können. Die Telekom wird exakt den anderen Weg gehen: Bei ihr kann man schon in absehbarer Zeit mit dem Telefonkabel auch TV-Programme empfangen; DSL machts möglich. Und während sich bei Kabel NRW bereits die ersten Verzögerungen einstellen – eigentlich sollten schon längst Tausende von Haushalten per „high speed“ durchs Internet sausen können -, bastelt die Telekom eifrig an ihrer schnellen Datenübertragung per breitbandigem DSL. Aus dem Umfeld von Liberty ist sogar zu hören, dass die Firma auf den Multimedia-Ausbau mit Rückkanalfähigkeit vorerst verzichten wird. Der Rückkanal aber ist der Gag an der Sache, denn ohne ihn bleibt Fernsehen wie bisher eine Einbahnstraße. Die von Liberty zunächst geplante Digitalisierung erhöht zwar die Anzahl der Programme, doch der Schlüssel zur Zukunft liegt nach Ansicht der meisten Experten in der Interaktivität; und die ist eben nicht gegeben, wenn man ganz gewöhnlich zum Telefon greifen muss, um beim Teleshopping-Kanal das praktische Heimwerker-Set zu bestellen.
Natürlich ist es aus Sicht der meisten Kunden erst mal eine gute Nachricht, wenn sich nichts ändert; manche hatten nach der Ankündigung des Liberty-Deals bereits „Programmchaos und saftige Preise“ („Focus“) prophezeit. Diese Gefahr besteht in der Tat nach wie vor, und vielleicht ist die endgültige Tragweite des Komplettverkaufs auch noch gar nicht allen Beteiligten klar. Hans Hege, Direktor der Medienanstalt Berlin-Brandenburg, muss sich daher längst wie der Rufer in der Wüste fühlen. Seit gut einem Jahr warnt Hege vor dem Ausverkauf. Für ihn ist das Kabelnetz „eine unserer wertvollsten nationalen Ressourcen für die Zukunft“; und die ist nun fest in ausländischer Hand. Dabei hat es auch einheimische Interessenten gegeben. Doch die Deutsche Bank beispielsweise war nur bereit, 10 Milliarden zu zahlen – für das gesamte Netz; und nicht etwa Euro, sondern Mark.
„Nationale Zukunftsressource“ Kabelnetz fest in ausländischer Hand
Natürlich war den Bankern klar, warum sie nicht mit den Amerikanern mithalten wollten. Die Tatsache, dass die Deutsche Bank nun auch noch ihre Kabeltochter Tele Columbus an Liberty und Callahan verkauft, wird zwar als „Scheitern im Kabel-TV“ („Süddeutsche Zeitung“) interpretiert; letztlich aber ist es bloß ein Akt der Vernunft. 50 bis 100 Milliarden Mark an Investitionskosten wären laut dem Basler Prognos-Institut nötig, um die Kabelnetze für neue Dienste (Filme auf Abruf, Telefonie et cetera) hochzurüsten. Vor solch einer Summe dürfte selbst ein Milliardär wie John Malone zurückschrecken. Liberty, Callahan und Co. werden daher erst mal kleine Brötchen backen.
Die Digitalisierung der Haushalte wird sich allerdings relativ zügig vollziehen, denn nur mit einem größeren Angebot können die neuen Kabelherren ihren Kunden mehr Geld aus der Tasche ziehen. Das naheliegendste Szenario: Programme werden gebündelt und zu gestaffelten Preisen angeboten. Das Paket mit ARD, ZDF, dem regionalen Dritten, RTL, SAT1 und ProSieben gibt’s noch zum günstigen Basispreis; alle weiteren Sender muss man abonnieren – wie im US-Kabel. Und steigen werden die Preise natürlich auch, sonst hätten die US-Investoren ihr Geld ja gleich verbrennen können.