Erweiterter Online-Auftrag

Foto: RBB/Oliver Ziebe

Zukunftsreform für öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschlossen

Nach sechsjähriger Debatte haben sich die Ministerpräsident*innen am 2. Juni auf eine Reform von Auftrag und Struktur der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verständigt. Die Sender bekommen künftig mehr Freiheit bei Entscheidungen über das Programmangebot, der Online-Auftrag wird erweitert, die Gremien sollen mehr Kompetenzen erhalten. Kritiker warnen vor Einschnitten im Programm. Die Verabschiedung des Staatsvertrags soll bis Oktober 2022 erfolgen.

Bereits am 20. Oktober 2021 hatte die Rundfunkkommission der Länder konkrete Vorschläge für eine Reform von ARD, ZDF und Deutschlandradio beschlossen. Zwei Monate lang konnten sich anschließend gesellschaftliche Organisationen, Verbände und Bürger dazu äußern und Anmerkungen formulieren. Diese öffentliche Konsultationsphase zum „Diskussionsentwurf zu Auftrag und Strukturoptimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ endete am 14. Januar. Eigentlich sollten die eingegangenen Stellungnahmen auf der Internetseite der Rundfunkkommission nach Auswertung veröffentlicht werden. Passiert ist bislang jedoch nichts.

Mit der Novellierung verbinden die Länder zwei Ziele: die „Erhaltung der publizistischen Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit“ der öffentlich-rechtlichen Anstalten vor dem Hintergrund der digitalen Transformation. Gleichzeitig soll ihre Akzeptanz als wichtige Säule für Medienvielfalt, Pluralismus und Demokratie gestärkt werden.

Die zeitlichen Verzögerungen deuten auf anhaltende Meinungsverschiedenheiten bei einigen der Regelungen hin. Kaum umstritten dürfte das Ziel sein, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu schärfen. Dazu gehört die „Aufgabe, ein Gesamtangebot zu unterbreiten“. Dabei sollen sie die „Möglichkeiten nutzen, die ihnen aus der Beitragsfinanzierung erwachsen“, nämlich „durch eigene Impulse und Perspektiven zur medialen Meinungsvielfalt beitragen“. Will sagen: Das Privileg einer bedarfsgerechten Beitragsfinanzierung verpflichtet die Sender, jenseits von massenkompatiblen Programmen – anders als die private Konkurrenz – auch Formate für Minderheiten anzubieten.

Neu ist auch der Passus, wonach allen Bevölkerungsgruppen „die Teilhabe an der Informationsgesellschaft“ ermöglicht werden soll, unter „angemessener Berücksichtigung aller Altersgruppen“. Explizit genannt werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die „Belange von Menschen mit Behinderungen“ sowie die „Anliegen von Familien“. Ein generationenübergreifender Integrationsauftrag.

Unterhaltung ist ein elementarer Baustein

Dass Kultur, Bildung, Information und Beratung zu den elementaren Aufgaben der Sender gehören, war unumstritten. Zum Auftrag gehöre aber auch „Unterhaltung, wenn sie einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entspricht“, teilte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer nach Abschluss der Beratungen mit. An diesem Punkt schieden sich lange Zeit die Geister. Sind Comedy, Krimis, Schmonzetten und Quizshows für ARD und ZDF wirklich unabdingbare Programmgenres? Politiker wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hatten – sehr zum Beifall der kommerziellen Veranstalter – keinen Hehl daraus gemacht, dass sie derlei Elemente in öffentlich-rechtlichen Programmen für durchaus verzichtbar halten.

Thomas Bellut, bis März Intendant des ZDF, verteidigte von Beginn an die öffentlich-rechtliche Unterhaltung: „Quizshows vermitteln Wissen, TV-Filme thematisieren gesellschaftspolitische Fragen, auch Comedy und Satire vermitteln Informationen.“ Daher müsse Unterhaltung ein elementarer Baustein des Auftrags bleiben. In dieser Definition sind die grundlegenden Distinktionsmerkmale zu den Entertainment-Erzeugnissen der Privatsender schon enthalten. Formate wie das berüchtigte „Dschungelcamp“ oder Container-Shows vom Schlage „Big Brother“ gehören eher nicht zum öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil. Dass künftig Gerichte klären müssen, welche Spielarten der Unterhaltung diesem Profil entsprechen und welche nicht, ist hoffentlich nicht zu befürchten.

Schließlich vertritt auch das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, zum klassischen Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zähle neben der Information gleichrangig auch die Unterhaltung. Eine Rechtsprechung, die von den Karlsruher Richtern erst im August 2021 in seiner Entscheidung zur Beitragsfinanzierung bestätigt wurde. Versuche, ARD und ZDF durch einen eng gefassten Unterhaltungsbegriff auf die „harten“ Programmsparten abzudrängen, dürften somit zum Scheitern verurteilt sein. Umgekehrt können jene, die für eine friedliche Koexistenz von anspruchsvollen Nischenformaten und massenkompatiblen Programmen plädieren, sich durchaus auf Karlsruhe berufen.

Flexibilisierung des Auftrags

Einigkeit bestand über einen weiteren Kernpunkt der Reform, die weitgehende „Flexibilisierung“ des Auftrags. Dieser wird im Fernsehen reduziert auf das Erste, das ZDF, die Dritten, ARTE und 3sat. Die übrigen bisher linear ausgestrahlten digitalen Zusatzprogramme – tagesschau24, One, ARD-alpha, ZDFneo, ZDFinfo, Phoenix und Kinderkanal – fallen künftig unter den so genannten Flexibilisierungsmechanismus. Sie können nach Ermessen der Anstalten weiter betrieben, komplett in den Online-Bereich verlagert (linearer Switch Off) oder auch eingestellt werden.

Mit der Flexibilisierung des Auftrags kommen auf die Rundfunkgremien neue Aufgaben zu. Sie sollen „Zielvorgaben zu inhaltlichen und formalen Qualitätsstandards setzen“. Ob und wie diese Zielvorgaben erfüllt werden, ermitteln Rundfunk-, Fernseh- und Hörfunkräte in standardisierter Form – „nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und publizistischer Praxis“. Eine heikle Auftragserweiterung, findet Hermann Kuhn, Vorsitzender des ARD-Programmbeirats: „Dreht dieser Punkt der Zielvorgabe die Programm-verantwortung nicht um?“ monierte er unlängst bei einem Online-Fachgespräch der Heinrich-Böll-Stiftung. Und: „Müssten das nicht eigentlich die Intendanten oder die Programm-Verantwortlichen machen?“

Ein Argument, das auch von Philipp Franke, Referatsleiter Medienpolitik im Staatsministerium Baden-Württemberg, geteilt wird. Durch die Festlegung von Standards nur durch Gremien werde „so ein bisschen die bisherige Intendanten-Verfassung in Frage gestellt“, meint er, zugleich drohe teilweise eine „Überforderung der Gremien“. Sanne Kurz, für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Rundfunkrat des Bayerischen Rundfunk, hegt gleichfalls Zweifel, ob ehrenamtlich arbeitende Gremien über die nötige Expertise für eine so anspruchsvolle Aufgabe verfügen.

„Diese Gremien bekommen keine professionelle Betreuung“, sagt sie. Auch gebe es „keine übergeordnete bundesweite Organisation, die den Gremien Know-how zur Verfügung stellt“. Eine Antwort auf das im Staatsvertragsentwurf enthaltene Angebot an die Räte, auch auf die Expertise von externen und unabhängigen Sachverständigen zu setzen. Es bleibt abzuwarten, ob diese laut Malu Dreyer erweiterten Mitsprachemöglichkeiten in Sachen „Qualitätsstandards und Kostencontrolling“ die Gremien nicht doch recht bald an ihre Grenzen bringen.

Breitere Diskussion gefordert

Unterdessen kommen auch aus Teilen der Gesellschaft Forderungen nach einer tiefgreifenden Rundfunkreform. Ende 2021 meldete sich die Initiative „#UnsereMedien – Öffentlich-rechtliche Medien müssen unterstützt und weiterentwickelt werden“ zu Wort. Sie wurde im Umfeld des Kölner Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik gegründet. „Bei Sendern und der Politik darf nicht weiter der Eindruck entstehen, sie machten das alles unter sich aus“, sagt die frühere WDR-Redakteurin Sabine Rollberg, eine der Mitinitiator*innen.

„Die Auftragsdefinition der öffentlich-rechtlichen Medien sollte kein punktueller, politik-technischer Kompromiss der Landesregierungen sein, sondern einen breiter angelegten kontinuierlichen Entwicklungsprozess einleiten“, heißt es im Gründungsaufruf. Die Initiative erwartet von den Sendern unter anderem eine Digitalstrategie, „die Abhängigkeiten von globalen kommerziellen Plattformen reduziert und stattdessen auf eigene interaktive, vernetzte Plattformen und europäische Kooperationen setzt“.

Auch der Reformentwurf der Rundfunkkommission spricht in § 30 von Tele-medienangeboten „unter Einbeziehung einer gemeinsamen Plattformstrategie“. Allerdings greift er nicht explizit die Position der Karlsruher Richter auf, wonach der ÖRR ein inhaltliches Gegengewicht zu sozialen Netzwerken und Online-Plattformen wie Google, Facebook & Co. bilden soll. Eine „gemeinsame Plattformstrategie“ stehe in einem Spannungsverhältnis zum Engagement der Anstalten auf Drittplattformen, stellte der Medienrechtler Jan Christopher Kalbhenn in einer Analyse des Diskussionsentwurfs fest. Problematisch sei in diesem Kontext die Formulierung, die Angebote der Anstalten sollten besonders dort wahrnehmbar sein, „wo die Nutzung dieser Angebote üblicherweise besonders hoch ist“, also etwa das Einstellen von Podcasts bei Spotify, des von jugendlichen Zielgruppen meistgenutzten Streaming-Dienstes. Auf diese Weise, so kritisiert Kalbhenn, würden die Anstalten mit beitragsfinanzierten Inhalten zur Steigerung der Attraktivität der Oligopole beitragen. „Die kommerzielle Logik der Online-Plattformen lässt sich nicht immer mit den Prinzipien des gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks vereinbaren.“

ver.di warnt vor Programmeinbußen

Auch ver.di warnt vor negativen Auswirkungen einzelner Bestimmungen des Medienänderungsstaatsvertrags auf die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. „Einschränkungen bei Unterhaltungsprogrammen, Kostendeckelung beim Aufbau digitaler Kanäle und bürokratische sogenannte Benchmarks für die inhaltliche Arbeit werden das (vom Bundesverfassungsgericht geforderte, d. Red.) nötige Gegengewicht verkleinern“, erklärte Christoph Schmitz, für Medien zuständiges ver.di-Bundesvorstandsmitglied. „Nur ein Rundfunk, der sich im digitalen Verbreitungsweg und in allen Belangen qualitativ hochwertig und uneingeschränkt durch die Politik entwickeln kann“, so Schmitz, „ist ein verfassungsgemäßer öffentlich-rechtlicher Rundfunk“.

 

 

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