Etwas von Viktualienmarkt

60 Jahre Berlinale – ein Gespräch mit Festivalchef Dieter Kosslick

Am 6. Juni 1951 feierten die Internationalen Filmfestspiele Berlin ihre Premiere. Seit fünf Jahrzehnten gehören sie zu den drei wichtigsten Filmfestivals der Welt, wobei Berlin der einzige Ort ist, an dem das Publikum so viele Filme sehen kann. 2009 verzeichnete die Berlinale mit 275.000 verkauften Eintrittskarten und fast 500.000 Kinobesuchen in zehn Tagen einen neuen Besucherrekord. Dieter Kosslick hat die Leitung ein Jahr nach dem Umzug des Festivals vom alten Festivalstandort am Ku´damm an den Potsdamer Platz übernommen und das Angebot kräftig ausgebaut. Er kreierte die „Perspektiven Deutsches Kino“, den Talent Campus, auf dem Hunderte junge Filmemacher aus aller Welt Kontakte knüpfen können, die Kulinarische Reihe und im Vorjahr die Special Screenings, die zu einem Schaufenster des deutschen und internationalen Films wurden.


M | Die Berlinale feiert in diesem Jahr ihren 60.Geburtstag (11.bis 21.Februar). Seit wann sind Sie dabei?

DIETER KOSSLICK | Das war 1984. Ich war als Geschäftsführer des Hamburger Filmbüros gekommen, um die Premiere von Detlev Bucks erstem Film „Erst die Arbeit und dann“ zu erleben. Wir waren alle mächtig stolz auf diesen Film. Detlev fuhr mit seinem Traktor vor dem Bikinihaus und dem völlig überfüllten Filmtheater FK66 vor. Ich war überwältigt, weil ich noch nie in meinem Leben auf einem Filmfestival war. In meiner Naivität habe ich Hellmuth Karasek, damals noch Starkritiker des Spiegel und seiner hochschwangeren Frau versprochen, ihnen zwei Sitzplätze zu besorgen. Das hat dann nur durch die Stadlers, die das Kino noch heute führen, geklappt. Den Rest des Festivals haben wir im „Florian“ in der Grolmannstraße verbracht, wo damals alle nachts gelandet sind.
M | Nicht mal 20 Jahre später wurden Sie dann nicht ganz unerwartet selbst Chef der Berlinale?

KOSSLICK | Das Gerücht entstand ein Jahr vor der Anfrage von Kulturstaatsminister Michael Naumann nach einer Kolumne in einer Berliner Tageszeitung, in der ich zum Thema „Meine Berlinale“ irgendwas politisch Korrektes geschrieben habe: Bunt wie der Viktualienmarkt in München, elegant wie Hamburg, sympathisch wie NRW. Jahre zuvor war ich schon mal inoffiziell von Vertretern der Filmwirtschaft gefragt worden, aber da dachte ich noch, das ist ein Job, den ich nie in meinem Leben machen würde.

M | Was hat Sie umgestimmt?

KOSSLICK | Die Anfrage kam nach 20 Jahren Filmförderungstätigkeit und versprach eine neue Herausforderung. Ich war ein bisschen ermüdet. Über Filmfinanzierung kann ich heute noch im Schlaf ein Panel halten. Ich habe dann gezögert, denn wir hatten gerade eine Superwohnung in Kölns Südstadt bezogen und das kalte Berlin bot vor neun Jahren lange nicht so viel Spaß wie heute. Kulturstaatsminister Michael Naumann hat mich mit dem Heine-Zitat überzeugt, es sei manchmal gut den Schreibtisch zu wechseln. Als ich ihn dann gewechselt hatte, hatte er seinen auch nicht mehr.

M | Ist die Berlinale denn jetzt so geworden, wie Sie es sich erträumt hatten?

KOSSLICK | Die Kolumne war eher humoristisch gemeint, aber man kann sie durchaus ernst nehmen. In der Rückschau auf 60 Jahre wird man sehen, die Berlinale hatte immer was vom Viktualienmarkt und war immer elegant. Das sind nicht alles Neuerfindungen des vierten Direktors. Aber sie ist dahin gewachsen, wohin ich sie ausdehnen wollte: Im Nachwuchsbereich und auf der wirtschaftlichen Seite, dem Filmmarkt. Mit allen Sorgen, die wir durch die Wirtschaftskrise hatten, werden wir auch in diesem Jahr mit einem glänzenden Ergebnis dastehen. Der Markt ist wieder ausgebucht. Daher ist sie so geworden, wie ich das mal skizziert hatte.

M | Vor allem hat die deutsche Filmszene ihre jahrzehntelang gepflegten Animositäten gegenüber der Berlinale abgelegt und ist in Scharen gekommen. Mittlerweile sind Fatih Akin oder Andreas Dresen Stammgäste auf anderen A-Festivals. Erfüllt Sie das auch ein wenig mit Wehmut?

KOSSLICK | Ich habe mal scherzhaft zu Thiery Frémaux, dem Chef der Filmfestspiele von Cannes gesagt, ich treibe das mit den deutschen Filmen so lange, bis du mir alle wegschnappst. Diesem Klassenziel bin ich näher gekommen. Nach 20 Jahren in der deutschen Filmszene wusste ich natürlich um das hiesige Potential. Durch die Präsentation im Wettbewerb ist die internationale Szene auf Fatih Akin, Tom Tykwer, Andreas Dresen, Wolfgang Becker und viele andere aufmerksam geworden. Überzeugt haben aber ihre Filme, wir haben nur Starthilfe gegeben. Manchmal passiert auch etwas ganz Besonderes wie vor zwei Jahren bei der Uraufführung von Doris Dörries „Hanami – Kirschblüten“. Der Film löste ungeheure Emotionen aus. Ich hoffe, dass wir so etwas wiederholen können.

M | Doris Dörries „Die Friseuse“ läuft ebenso wie Matti Geschonneks Adaption des Bestsellers „Boxhagener Platz“ in der 2009 eingeführten Reihe der Special Screenings im Friedrichstadt-Palast, die sich bewährt hat?

KOSSLICK | Wer spüren will, dass die Berlinale ein Publikumsfestival ist, sollte in den Friedrichstadt-Palast gehen, der 2009 von der ersten bis zur letzten Vorführung ausverkauft war. Dort entsteht in kürzester Zeit durch diesen atriumhaften Bau eine ungeheuer stimmungsvolle Atmosphäre. Natürlich werden wir ihn weiter bespielen.

M | Andererseits hat man den Eindruck, dass Ihnen die neuen, mit viel Geld von ihren Regierungen ausgestatteten Festivals den einen oder anderen Titel vor der Nase wegschnappen?
KOSSLICK | Mit 60 sieht man die Dinge sicher etwas gelassener. Die Berlinale musste mehr als andere Festivals viele Stürme überstehen. Auch jetzt habe ich nicht das Gefühl, dass wir die Konkurrenz nicht aushalten könnten. Ein Wermutstropfen bleibt aber. Wenn jedes neue Festival in den umliegenden Monaten nur einen guten Film eines bekannten Regisseurs spielt, den wir auch gewollt hätten, kann dies das Programm schon beeinflussen. Trotzdem sieht es gut für uns aus. In diesem Jahr wird man sehen können, dass das Independent-Kino weltweit wieder sehr stark geworden ist. Es gibt viele Neuentdeckungen.

M | Trotzdem – hat die Berlinale an Attraktivität verloren?

KOSSLICK | Vor 20 Jahren war es selbstverständlich, dass der Produzent eines Films, der im Oktober fertig war, bis zur Berlinale gewartet hat. Das gibt es heute nur noch in Ausnahmefällen wie jetzt bei Benjamin Heisenbergs „Der Räuber“ (der sich wegen der Geburt seines zweiten Kindes gegen Venedig entschied, d.A.) oder dem Panoramafilm „Die Fremde“. Die Marktbedingungen haben sich grundlegend verändert. Viele Filme sind kreditfinanziert und müssen schnell ins Kino. Produzenten haben Angst vor der Internet-Piraterie. Und es ist auch ein Investment, auf so einem Festival eine große Öffentlichkeit herzustellen. Für diese Situation habe ich Verständnis. Der Verlust mancher Titel bereits bekannter Regisseure wird heute aber kompensiert durch die Entdeckung neuer Talente und ihrer Filme. Filme, die zum Teil über unsere eigenen Gründungen, den Co-Production Market, den World Cinema Fund und den Talent Campus entstehen konnten. Dazu gehört auch der Gewinner des Goldenen Bären 2009, „Eine Perle Ewigkeit“. In diesem Jahr sind zwei Filme dabei, die auf dem Co-Production Market vorgestellt wurden: Die iranisch-deutsche Koproduktion „The Hunter“ von Rafi Pitts im Wettbewerb und Esmir Filhos Spielfilmdebüt „The Famous and The Dead“ in der Reihe Generation 14plus.

M | Könnten Sie im Berlinale-Palast auch 3-D-Filme spielen?

KOSSLICK | Wenn wir wollten ja. Uns sind aber nur wenige 3-D-Filme angeboten worden, einen haben wir ausgewählt und werden ihn im Zoo-Palast zeigen.

M | Wird 3-D das Kino retten?

KOSSLICK | „Avatar“ und die anderen Filme sind Innovationen, die das Kino für viele Leute wieder attraktiv gemacht haben. Sie haben eine Latte gelegt, was man im Kino audiovisuell herstellen kann. Das ist eine Neuigkeit, eine Sensation, so wie es das Kino immer bot. Und die Entwicklung wird weiter gehen. Ich habe mich aber mit diesem Aspekt weniger beschäftigt. Mich hat immer eher das Gebäude interessiert, in dem das Kino stattfindet. Wie es aussieht und was es sozial und wirtschaftlich für ein Dorf, einen Kiez oder eine Stadt bedeuten kann.

M | Wozu Sie sich immer eingemischt haben, zum Beispiel durch Proteste gegen die Schließungen von Kinos am Ku’damm?

KOSSLICK | Jetzt ist der Ku’damm wieder reanimiert und es geht Gott sei Dank durch Investition in Technik und Komfort wieder los. Beim 60. Jubiläum werden wir auch über die Veränderungen der Kinolandschaft und die Bedeutung von Kino diskutieren, Mit „Berlinale goes Kiez“, bei dem zehn Berliner Kinos in den Bezirken Berlinale-Filme spielen, sowie der Vorführung von „Metropolis“ und der künstlerischen Installation eines Kinovorhangs am Brandenburger Tor wollen wir das Kino bei der Berlinale thematisieren.

M | Kiez-Kino, Installation – ihr Etat steigt weiter. Haben Sie auf das Angebot von Kulturstaatsminister und Kulturausschuss des Bundestages zurückgegriffen, Ihnen finanziell unter die Arme zu greifen?

KOSSLICK | Ich habe gesagt, wir versuchen den möglichen Ausfall von Sponsoren zu kompensieren. Das war eben nicht sicher und wir sind eine Zeit lang mit angezogener Handbremse gefahren. Aber die Politiker hatten mein Wort und ich hatte ihr Wort. Das hat mir Sicherheit gegeben, dass wir nicht in ein Loch fallen würden. Unser Budget beträgt 18 Millionen Euro. 6,5 Millionen Euro bekommen wir vom Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Er hat zudem das Engagement auf den Talent Campus ausgeweitet. Als Vorsitzender des Stiftungsrats der Kulturstiftung des Bundes hat er auch befürwortet, dass der World Cinema Fund weitere zwei Jahre gefördert wird. Und wir haben Unterstützung von Berlin, vom Hauptstadtkulturfonds für die Installation eines riesigen Kinovorhangs am Brandenburger Tor anlässlich unseres Jubiläums erhalten. Das sind schöne Geburtstagsaktionen für das Kino und das Publikum.

Das Gespräch führte Katharina Dockhorn

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

ARD-Krimis werden barrierefrei

Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprache – das sind die so genannten barrierefreien Angebote, die gehörlosen oder extrem schwerhörige Fernsehzuschauer*innen gemacht werden. Die ARD sendet fast alle neu produzierten Folgen ihrer Krimireihen „Tatort“ und „Polizeiruf 110“ auch mit Gebärdensprache. Beide Reihen seien „die ersten und aktuell die einzigen regelmäßigen fiktionalen Angebote mit Gebärdensprache in der deutschen Fernsehlandschaft“, erklärte die ARD.
mehr »

Top Tarifergebnis im Kino

In den Tarifverhandlungen mit der Kino-Kette UCI (United Cinemas International GmbH) wurde am 19. Februar 2024 ein Tarifergebnis erzielt, das an vielen Stellen die ver.di-Forderungen erreicht, so auch den Einstiegslohn von 14 Euro. In der anschließenden Befragung der Mitglieder bis zum 4. März gab es keinerlei Ablehnung. Somit beschloss auch die ver.di-Tarifkommission einstimmig die Annahme des Tarifergebnisses.
mehr »

Einschüchterungsversuche der Hohenzollern

Eine Studie der Universität Leipzig hat am Beispiel der deutschen Adelsfamilie Hohenzollern untersucht, wie kritische Berichterstattung und Forschung durch gezielte Anwaltsstrategien beeinflusst oder behindert werden sollen. Die Kommunikationswissenschaftler*innen haben dabei die Wirkung von SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) aus Sicht der Betroffenen nachvollzogen. Verunsicherung und Einschränkung der Arbeitsfähigkeit sind direkte Folgen bei ihnen.
mehr »

Honoraruntergrenzen bei der Kulturförderung

Claudia Roth will ein Versprechen einlösen und Mindeststandards für Honorare von Freien bei der Kulturförderung des Bundes sichern. Laut Ampel-Koalitionsvertrag von 2021 sollten öffentliche Gelder für die Kultur an faire Vergütung gekoppelt sein. Nun, so die Kulturstaatsministerin, werden „für den Kernbereich der Bundeskulturförderung“ Mindesthonorare für Künstler*innen und Kreative eingeführt.
mehr »