EU-Reform des Urheberrechts hat nur wenige Freunde

Tina Groll (Mitte) moderierte den mittlerweile dritten Mediensalon, der von dju in ver.di, DJV Berlin und der Werkstatt für Medienkompetenz meko factory veranstaltet wird Foto: Thaisa Mezzavilla / meko factory

„Kritiker befürchten einen Angriff auf die Meinungsfreiheit, den Todesstoß für Startups und  das Ende der Linkfreiheit, also quasi das Aus für ein freies Internet: Worum geht es bei der EU-Urheberrechtsreform eigentlich konkret?“ Mit dieser Frage eröffnete Moderatorin Tina Groll den mittlerweile dritten Mediensalon von dju in ver.di, DJV Berlin und meko factory im hauptstädtischen taz-Café. Sechs Expert_innen auf dem Podium gaben erwartungsgemäß unterschiedliche Antworten, doch als uneingeschränkter Freund der Reform bekannte sich kaum jemand.

Von der EU-Kommission wird die aktuelle Urheberrechtsreform als ein „Schlüsselelement“ ihrer Strategie für einen digitalen Binnenmarkt gepriesen. Die Podiumsteilnehmer_innen – neben Netz- und Rechtsexpertin Julia Reda, Grünen-Fraktions-Abgeordnete im Europaparlament – ausschließlich Männer – sehen sie dagegen äußerst kritisch. Vor allem aus Sicht der Kreativen. Die Debatte fokussierte sich auf drei Problemkreise, die bereits in der Einladung thematisiert worden waren: auf das EU-weite Leistungsschutzrecht für Presseverleger (Artikel 11); den Artikel 3, der kommerzielles Text- und Data-Mining einschränken würde, sowie auf Artikel 13, der künftig von Plattformbetreibern die Einschränkung von Upload-Filter verlangt und bewirken könnte, dass Inhalte gelöscht werden, bevor sie überhaupt für alle sichtbar werden, entschieden durch Algorithmen oder durch Gerichte.

Streit ums Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Stefan Heck, der die Verwerterseite für die VG Media vertrat, lobte das im Vorschlag der EU-Kommission vorgesehene Leistungsschutzrecht für Presseverlage und Nachrichtenagenturen als Chance für die Pressevielfalt und die „Erhaltung der vielen kleineren regionalen Verlage“ auch hierzulande. Er räumte sogar ein, dass es „richtig“ sei, auch die Journalist_innen daran zu beteiligen! Das Wie ließ er offen. Auch sah er im Leistungsschutzrecht „Ansätze zur Regulierung der großen Plattformen“. Insgesamt wurde die Frage, ob das nationale Leistungsschutzrecht für Presseverlage, wie es seit 2013 in Deutschland vereinbart ist, sinnvoll oder gescheitert sei, unterschiedlich beantwortet. Ole Jani, Medienanwalt bei CMS Hasche Sigle, und vor allem Heck sahen es noch „längst nicht am Ende“. Etliche „Ansprüche daraus müssten erst noch erstritten“ werden. Es sei ein „robustes Recht“, wegen seiner Ausnahmen allerdings etwas schwierig. Reda sah es eher als gescheitert an. Aus der EU-Reform wollte sie den Artikel zum Leistungsschutzrecht gern „wieder loswerden“. Urheberrechtsanwalt und Copyright-Aktivist Till Kreutzer bezeichnete das Leistungsschutzrecht schlicht als Unsinn. „Eine gute Idee“ sei es lediglich für zwei Akteure: „Politiker, die Angst vorm Springer-Verlag haben und Axel Springer selbst“, so Kreutzer zynisch. Das Leistungsschutzrecht bediene Partikularinteressen, der Artikel 11 gehöre nach seiner Überzeugung gestrichen. Es sei wichtig, „dass auf politischer Ebene nicht die falschen Weichen gestellt werden“, forderte er.

Mit Data-Mining übers Ziel hinausgeschossen

Beim Text- und Data-Mining, das ja darauf setze, aus vorhanden Daten neue Informationen herauszuholen, werde mit der Reform, so Kreutzer, mittlerweile jede auch noch so flüchtige Kopie, die in einem Rechner bei solchen Verarbeitungsprozessen entstehe, quasi unter das Urheberrecht gefasst. Das gehe zu weit. „Die Panama-Papers waren Data-Mining“, erinnerte Reda. Die EU-Kommission habe es mit dem Regelungsversuch in Artikel 3 „eigentlich gut gemeint“, sei jedoch über das Ziel hinausgeschossen. Die Bestimmungen privilegierten die Wissenschaft, könnten aber andere wirtschaftliche tätige Akteure behindern. Große Fachverlage könnten künftig umfassende Lizenzen verlangen, so Reda. Auch Jani stellte den Bezug zu Forschung und Gesellschaft her: „Text und Daten sind Treibstoff für künstliche Intelligenz“. Er leitete daraus eine urheberrechtlich relevante Nutzung ab, an der die Schöpfer des Treibstoffs beteiligt werden sollten.

Upload-Filter – ein untaugliches Mittel

Mit dem geplanten Artikel 13 sollen Plattformen für illegale Inhalte haftbar gemacht werden. „Die einzige Art, wie sie Rechtsverletzungen entkommen können, sind Upload-Filter, damit so etwas erst gar nicht hochgeladen werden kann“, erläuterte Reda. Dadurch würden, das zeige sich schon jetzt, „auch jede Menge legale Inhalte gelöscht“, auch deshalb seien solche Filter kein taugliches Mittel. Sie machte darauf aufmerksam, dass bereits kurze Zitate zwecks Rezension oder Übersetzungen von Texten Urheberrechtsverletzungen darstellen könnten. Eine allgemeine Lizensierung, die das verhindern könne, hielt die EU-Parlamentarierin für „idiotisch“. „Wir befürworten keine Upload-Filter“, erklärte auch Till Valentin Völger, Vorsitzender des InteressenVerbands Synchronschauspieler (IVS) und Mitglied bei ver.di. Diese seien „nur was für die Großen“, für kleinere Anbieter dagegen auch finanziell schwer leistbar, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen. Dem stimmte Patrick Bunk, Gründer und CEO von Ubermetrics Technologies, zu. Kleine Startups könnten es sich nicht leisten, eigene Upload-Filter-Systeme zu entwickeln. Sie wären darauf angewiesen, sie von den Großen zu kaufen, was viele ebenfalls nicht bezahlen könnten. Bunk sah in den Reformplänen generell Gefahren für die Geschäftsmodelle von Startups. Damit werde es ihnen unmöglich gemacht, weiter das öffentliche Netz als allgemeine Datenquelle für Analysen und Tools zu nutzen. Sie liefen künftig ständig Gefahr, Urheberrechte zu verletzen und würden dafür womöglich „in Grund und Boden geklagt“.

Versprochene Vereinfachung nicht eingelöst

Das Urheberrecht bezeichnete Kreutzer als die „moderne Straßenverkehrsordnung im Internet“. Jedoch wisse auf der Straße jeder, was zu tun sei, das Urheberrecht sei dagegen weitgehend unverständlich. Julia Reda verglich die aktuellen Reformvorstellungen im Kern als „großen Weihnachtsbaum für alle Lobbyisten“, unter dem für jeden von ihnen ein Geschenk liegen würde. Die versprochene Vereinfachung europäischen Urheberrechts bleibe aus.

Für Medienanwalt Ole Jani geht es bei der Reform vor allem auch um das „Portemonnaie der Kreativen“. Es werde nicht ausreichend geklärt, wem die digitalen Werte eigentlich zugordnet werden und ob Urheber von „ihrer Saat auch ausreichend ernten“ könnten oder stattdessen „den Free-Ridern die Oberhand“ gelassen werde. „Auffallend wenig Regulierung“ und unzureichende Unterscheidung zwischen tatsächlichen Urhebern und „derivativen“ Rechteinhabern wie Produzenten oder Verleihern, die also ihre Rechte von den Kreativen lediglich ableiten, kritisierte Völger, der auch als Delegierter in der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) tätig ist. Wenn Rechtsinhaber geschützt werden, so Völger, wirke sich das zumeist nur zugunsten der Produzenten aus, die sich die Rechte der Kreativen grundsätzlich umfassend einräumen lassen. Dann aber ist kein positiver Effekt zugunsten derjenigen zu erwarten, die die Werke und Leistungen tatsächlich erbracht und geschaffen haben. Hier bedarf es nach Völger dringend einer Differenzierung.

Kleiner Schritt zur Stärkung der Rechte Kreativer möglich

Die Frage von Moderatorin Tina Groll, ob und was an der geplanten Reform denn „richtig gut“ sei, brachte vor allem den Hinweis auf die Artikel 14, 15 und 16 und die dort enthaltenen Transparenzklauseln, die Kreativen unter anderem einen Auskunftsanspruch bei den Verwertern zugestehen sowie Vertragsanpassungsansprüche gegenüber ihren Vertragspartnern soweit ihre Vergütung unangemessen niedrig war. Das sei, so Völger, „ein richtiger Schritt“ und schaffe jedenfalls theoretisch bessere Voraussetzungen, Rechte auch durchzusetzen. Allerdings sind die im Richtlinienentwurf vorgesehenen Schutzinstrumente zugunsten der Kreativen – wie auch aktuell im deutschen Recht – lediglich so ausgestaltet, dass sie vom Einzelnen individuell gegenüber ihrem Produzenten geltend gemacht werden müssen. Insofern betont Völger, dass es noch besser sei, wenn sich „einzelne Urheber zur Durchsetzung ihrer Rechte nicht in die vorderste Reihe stellen müssen“, sondern hier durch Gewerkschaften oder Verwertungsgesellschaften vertreten werden könnten. Völger erinnerte an das Beispiel des Synchronschauspielers Marcus Off, der deutschen Stimme von Jonny Depp in „Fluch der Karibik“. Off habe zwar nach einem über 10-jährigen Prozess gegen Disney knapp 100 000 Euro Nachvergütung erstreiten können, aber in der Zwischenzeit aufgrund des Prozesses „weitaus höhere Verluste erlitten“. Er habe stark unter den Repressalien durch die Produzenten zu leiden gehabt, die ihn fortan nur noch in sehr eingeschränkten Maße beschäftigten. Auch würden so Völger die Kreativen zu den eigentlichen Profiteuren ihrer Arbeit „meist gar nicht durchdringen“. Problematisch sei, dass die Artikel 14 bis 16 sich nur gegen die Vertragspartner der Kreativen richteten, die aber oftmals gar nicht die eigentlichen Verwerter der Werke seien. Viele von diesen hätten ihren Sitz im europäischen Ausland und könnten sich so einer Inanspruchnahme faktisch entziehen.

Die Artikel 14 bis 16 seien leider nur ein „ganz kleiner Anteil“ am Gesetzesvorhaben – und die einzigen, in denen direkt etwas über die Urheber stünde, kritisierte Kreutzer: „Wenn Springer etwas von Google bekommt, wo bleiben da die Kreativen?“

Doch „hoffentlich gut“ werde nach Meinung von Julia Reda künftig die Bildungsschranke geregelt, die Austausch fördere und Ausnahmen vom Urheberecht zu Bildungszwecken europaweit vereinheitliche. Als positiv bewertete Jani die Reform als einen „Einstieg in die Plattformregulierung“, er sah Ansätze, die Wertschöpfung im Internet fair zuzuordnen und die „Kreativen wieder ins Zentrum“ zu stellen. Dagegen wurden allerdings sofort Zweifel laut: Plattformregulierung funktioniere nicht über das Urheberrecht, erklärte Kreutzer. Da gehe es um „Marktprobleme, die besser mit dem Kartellrecht anzugehen seien“, fiel Patrick Bunk ein.

Abschließend wurde erörtert, wie es praktisch weitergehen werde mit der Reform, denn im Mai stehe bereits die Abstimmung im EU-Parlament an. Julia Reda prognostizierte, dass die bulgarische Ratspräsidentschaft trotz der „verfahrenen Situation eine zügige Einigung“ anstrebe. Wenn Deutschland und Frankreich die Linie diktierten, wäre das schädlich. Dann stünde zu befürchten: „Deutschland bekommt das Leistungsschutzrecht und Frankreich die Upload-Filter.“ Eine Reform, die allen europäischen Ländern zugutekomme, sei das nicht. Den hoffnungsvoll-versöhnlichen Schlusspunkt setzte Völger: „Schauspieler, Drehbuchautoren, Maskenbildner, auch Journalisten brauchen Produzenten und Verlage, damit sie ihre Leistungen an die Öffentlichkeit bringen können.“ Das neue EU-Urheberrecht möge dafür sorgen, dass der „Anspruch Einzelner nicht wertlos“ werde und der Profit der Verwerter nicht im krassen Missverhältnis zu den Erlösen der Urheber stehe.

Der nächste Mediensalon wird bereits am 9. Mai eröffnet, dann geht es um Robo-Journalismus. Getagt wird ausnahmsweise im Vodafone Salon in der Berliner Behrenstraße.

 

 

 

 

 

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