Feigenblatt Medienkompetenz?

Neues NRW-Mediengesetz setzt auf Liberalisierung – Lokalfunk und Bürgerfunk bleiben Nischen

Seit dem 31. Juli gelten im bevölkerungsreichsten Bundesland neue Regeln für die Veranstaltung und Verbreitung von Rundfunkprogrammen und Mediendiensten. DGB, ver.di und djv kritisieren vor allem das Zulassungsverfahren.

Er wolle das alte Gesetz aus den 80er Jahren vereinfachen und modernisieren, erläuterte Ministerpräsident Wolfgang Clement im letzten Jahr seine Pläne mit der Novelle. Kurz nach der Verabschiedung des Landesmediengesetzes (LMG) im Juni dieses Jahres klang er dann schon anders. Das Gesetz sei „kein Jahrhundertwerk“, das sei in der heutigen Zeit auch gar nicht möglich. Es sei auf der Höhe der Zeit, bleibe aber künftigen Änderungen nicht verschlossen.

Vor allem die geplante Vereinfachung ist nicht zu entdecken. War das alte Landesrundfunkgesetz mit seinen 71 Paragraphen schon als regelungswütig kritisiert worden, ist das neue stolze 130 Paragraphen dick.

Senden kann, wer will

Eine der wichtigsten Neuerungen ist das liberalisierte Zulassungsverfahren. Die bisherige Überprüfung der Lizenzbewerber, ob sie in der Lage sind, die anspruchsvollen Programmgrundsätze des alten LRG zu erfüllen, entfällt. Jeder, der einen Wohnsitz in NRW sowie die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt, kann in Zukunft Rundfunkprogramme und Mediendienste anbieten. Lediglich bei knappen Übertragungswegen, die es nur noch in einem überschaubaren Zeitraum geben soll, soll die Landesanstalt für Medien (ehemals „für Rundfunk“) im Rahmen von Vorrangentscheidungen die Meinungsvielfalt berücksichtigen. Der DGB NRW hält dieses sogenannte „Führerschein-Modell“ (jeder der eine Lizenz hat, darf senden) für verfassungswidrig, denn die unverzichtbare gesellschaftspolitische Funktion von Rundfunk für die freie Meinungsbildung hatte das Bundesverfassungsgericht noch in seinem 91er-Urteil zum nordrhein-westfälischen Lokalfunk unterstrichen.

Verändert wurde auch die Medienaufsicht. Die 45-köpfige Rundfunkkommission wird durch eine Medienkommission mit 23 Mitgliedern ersetzt. Schmerzlich für die, die nicht mehr dabei sind. Zusätzlich muss die neue Landesanstalt für Medien (LfM) jährlich eine Medienversammlung einberufen und ein fünfköpfiger, vom Landtag gewählter Medienrat erstellt Jahresberichte über die Entwicklung des Rundfunks. Ob sich diese neuen Strukturen bewähren, wird sich erst nach einigen Jahren Erfahrung erweisen.

Das nordrhein-westfälische Experiment „Zwei-Säulen-Modell“, die Trennung von Programmverantwortung und -finanzierung, bleibt im Lokalfunk erhalten, wird auf Ballungsraumrundfunk aber nicht angewandt. Ein rein kommerzielles „Radio Ruhrgebiet“ beispielsweise wird möglich.

Großen Wert messen die Politiker dem mündigen Bürger und deshalb der Medienkompetenzvermittlung bei. Doch gerade die, die täglich mit dieser Arbeit befasst sind – die Bürgerfunker in NRW, die zur Zeit rund zwei Stunden täglich im kommerziellen Lokalfunk senden, lasen den ersten Regierungsentwurf zum Landesmediengesetz mit Entsetzen. Die Regelungen zur Sendemenge und Finanzierung hätten für mehr als die Hälfte der 160 anerkannten Radiowerkstätten das Aus bedeutet.

Einige Rückschritte

Daraufhin starteten die Bürgerfunker einen umfassenden und, wie auch Regierungssprecherin Miriam Meckel, anerkannte „gut organisierten Protest“: Lehrer beschrieben, wieviel ein Radioprojekt für ihre Schüler gebracht hat, amnesty international hob den Bürgerfunk als Medium der Gegenöffentlichkeit hervor, Hörer lobten die Hörspiele, Macher die Möglichkeiten der Qualifizierung … Aber: „Leider konnten wir nicht an allen Punkten Rückschritte für den Bürgerfunk verhindern.“, so Jürgen Mickley vom Vorstand des Landesverbands Bürgerfunk (LBF). Dem Bürgerfunk in den kleineren Sendern gehen immer noch rund anderthalb Stunden pro Woche verloren. Die Förderung für den nichtkommerziellen Teil des Lokalfunks kann leicht sinken. Das sei, so Mickley, zwar schmerzlich, aber es werde das flächendeckende Netz der Radiowerkstätten nicht, wie befürchtet, zerstören. Die pauschale Förderung von Medienkompetenzprojekten wurde im Gesetz ergänzt durch den Zusatz: „der Bestand des Bürgerfunks (Förderung von Sendezeiten) darf dadurch nicht infrage gestellt werden“. Im Gegenteil: Der Landesverband Bürgerfunk sieht in der Struktur der Studios weitere Potentiale.

Einzigartiges Netz noch mehr nutzen

Der Bürgerfunk in NRW leiste längst mehr als „nur“ täglich 70 Stunden nichtkommerzielles Programm zu produzieren. „Er vermittelt Kenntnisse und Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien, er bringt seine Produzenten ins Internet, Kinder und Senioren werden gezielt angesprochen, er kooperiert mit den Offenen Kanälen im Fernsehen, er bildet aus, er stellt Kontakte her … und das alles mit viel Engagement und ehrenamtlicher Beteiligung“, berichtet auch Gabi Fortak vom „medienforum münster“. Und dieses einzigartige Netz von kleinen Medienzentren könne – gerade in Zeiten knapper Kassen – gut als Grundlage für die anstehenden zusätzlichen Aufgaben der Medienkompetenzvermittlung genutzt werden.


Auch in Zukunft werden sich die Bürger von Nordrhein-Westfalen zu Wort melden

www.nrw.de/Landesmediengesetz

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