40. Mainzer Tage der Fernsehkritik zur Flut medialer Angebote
Wird das Fernsehen seinen Leitmediencharakter mit der Digitalisierung wahren können? Oder wird es in der Vielfalt der Angebote verschwinden? Diese Fragen standen bei den 40. Mainzer Tagen der Fernsehkritik zur Debatte.
„Wie ein Leuchtturm“ gelte es künftig, aus der Flut digitaler Medien-Angebote herauszuragen und Aufmerksamkeit zu erregen. So schilderte ZDF-Intendant Markus Schächter den Anspruch des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf dem Mainzer Lerchenberg, wo zum 40. Mal Experten, Wissenschaftler, Fernsehmacher und Kritiker tagten, in diesem Jahr zum Thema „Wandel der Öffentlichkeit – Fernsehen im digitalen Wettbewerb“. Die neue Konkurrenz schilderte er als „Weltliga großer Finanzinvestoren“, „triple player der Telekoms“ und die „Monopolklasse unregulierbarer Internetriesen“. Werden die Heuschrecken unser gutes, altes Fernsehen mit seinem seriösen Journalismus auffressen? Das ist die eine Sicht der Dinge.
Doch man kann das alles auch ganz anders betrachten. So wie der langjährige Moderator des öffentlich-rechtlichen Fernsehens (ZAK) und heutige Produzent (Probono) Friedrich Küppersbusch in seinem satirischen Vortrag. Er zielte direkt auf einen entscheidenden wunden Punkt. Das Internet kann auch als Gegenöffentlichkeit angesehen werden: Ob wohl die Macht der Konzerne, der Gremien, die Gängelung durch diverse Institutionen und die Dominanz des Mainstream-Journalismus mit der Löschtaste des Computers zu entfernen sein wird? Derart positive Visionen verhinderten nicht etwa die „Schweinekapitalisten“ und auch nicht der Gesetzgeber, vermerkt Küppersbusch ironisch. Traurige Gewissheit ist nach seiner Ansicht: „Der Mensch ist noch nicht so interaktiv, wie die Technik ihm das erlauben würde“.
Pragmatische Pläne
Dennoch, das klassische Programmfernsehen werde sich ändern müssen, um gegen die sich online tummelnde Konkurrenz von You Tube über God Inc bis zu Current TV (das Portal von Al Gore) mit ihren vielfachen Teilöffentlichkeiten anzukommen. Darüber ist man sich einig. Pragmatische Pläne gibt es bereits: Ab 1. September will das ZDF die Hälfte seiner ausgestrahlten Sendungen sieben Tage kostenlos in seiner Mediathek im Internet zur Verfügung stellen. Jeder soll sich an jedem Ort der Welt und zu jeder Zeit einloggen können. Dieses Vorhaben ruft allerdings Kritiker auf den Plan. Thomas Frickel, geschäftsführender Vorsitzender der Interessensvertretung für Dokumentarfilmer, ag dok, moniert, diese Neuerung gehe auf Kosten der Produzenten. Immer mehr Rechte wollten sich die Sender sichern, von einer Honorierung sei keine Rede. Es müsse so etwas wie Tarifverhandlungen geben, entgegnete Robert Amlung, Leiter der Hauptredaktion Neue Medien (ZDF).
Jochen Wegner, Chefredakteur von Focus Online, sprach Klartext: „Ich wollte nicht in ihrer Haut stecken und all die Männer im Archiv im Keller haben, die diese Rechte verwalten müssen“. Schächter konterte, das Archiv sei ein großartiger Schatz, der nachgefragt sein werde. Urheberrechte seien medienpolitisch zu klären.
Internetbeispiele, wie die Darbietungen von Videoblogger Toni Mahoni wurden bei den Tagen der Fernsehkritik indes einzig gewürdigt, weil dieser das vom ZDF so begehrte Publikum unter 30 Jahren anzieht. Beispielsweise, wenn er im Netz mit verrauchter Stimme vom Kaffeetrinken, seinem leeren Portemonnaie und anderen Alltäglichkeiten singt. Mit verblüffend ehrlichen Worten versuchte ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender die Furcht zu dämpfen, mit dem Banalen mithalten zu müssen: Ja, das habe es doch schon immer gegeben. Beispielsweise habe man sich an den Schlagzeilen der Bildzeitung orientiert.
ZDF-Moderator Steffen Seibert fragte den Chefredakteur von Focus Online: „Wofür sind Sie persönlich bereit, Gebühren zu zahlen?“ Wegner interessiert sich für die Langzeitdokumentationen des Autors Martin Kessler. Ausgerechnet! Denn dieser langjährige freie Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sah sich kürzlich gezwungen, seine sozialkritische und politisch bissige Dokumentation „Neue Wut“ über die Proteste gegen Hartz IV im Internet zu vermarkten. Womit er auch erfolgreich war. ZDF und ARD allerdings hatten seinen brisanten Film nicht senden wollen. Die Abteilung im ZDF für Gesellschaftspolitik, einst von Rudolf Blank geleitet, wurde inzwischen als eigenständige Abteilung aufgelöst. Was nicht gerade für eine neue Offenheit spricht. Nun wurde freilich beim ZDF-Intendanten Schächter nachgefragt, warum Kesslers Film nicht ausgestrahlt wird: Der berief sich darauf, es handele sich um eine Entscheidung des zuständigen Redakteurs. Das erinnert an den Satiriker Kurt Tucholsky, der jenen Typus eines hauptsächlich Journalismus verhindernden Hauptamtlichen als „Billetknipser an den Schranken der Öffentlichkeit“ bezeichnete.
Junge Kreative auf das Podium
Wie bei den meisten Tagungen gab es die interessantesten Einsichten beim Pausengespräch. Dort wurde angeregt, das nächste Mal Podien nicht nur mit jenen Chefs der populären Massenmedien zu besetzen, die „hauptsächlich Geschäftsmodelle und Quoten im Kopf haben“. In der Tat, wäre es nicht wunderbar, wenn junge Leute von Internetseiten wie www.de.indymedia.org oder politisch ambitionierten Foren wie www.nachdenkseiten.de oder www.labournet.de lässig mit Jeans neben den Herren in den grauen Anzügen Platz nehmen würden? Und es dann erhitzte Streitgespräche zwischen jungen Kreativen und professionellen Journalisten geben würde? Auf diese Weise könnte wohl umgesetzt werden, was der Züricher Kommunikationswissenschaftler Otfried Jarren vorschlug: „Der öffentliche Rundfunk muss neue Netzwerkfähigkeiten erlernen“. Es gelte nun, besondere Beziehungen zur Community aufzubauen. Nun, Seibert kündigte an: „Die Mainzer Tage der Fernsehkritik wird es ewig geben“. Und so ist längst nicht aller Tage Abend. Denn dort werden immer auch gute Ideen geäußert. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) erklärte, sich vorstellen zu können, neue Projekte einzurichten: Etwa ein Bürgerfernsehen nach dem Beispiel Al Gores – geordnet, sortiert und moderiert von Journalisten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens.