Fernsehumstieg mit Folgekosten

Neues Antennen-TV läutet Ende März eine Zäsur für die Fernsehverbreitung in Deutschland ein

In der Nacht vom 28. zum 29. März schalten an bundesweit 44 Stand­orten die Sendeanlagen auf das neue Antennenfernsehen um. Dann werden öffentlich-rechtliche und private TV-Programme statt in DVB-T im Nachfolgestandard DVB-T2 ausgestrahlt. Das bedeutet aber auch, dass Zuschauer_innen, die bisher den freien Empfang des Angebots aus privaten und öffentlich-rechtlichen Sendern über Antenne genießen konnten, künftig bezahlen müssen und neue Technik benötigen.

Internationaler Standard DVB-T“ für Antennenfernsehen

Was drei Dutzend Länder weltweit schon hinter sich haben, ist in Deutschland mit einer Weltpremiere verbunden: Zum ersten Mal wird das effizientere DVB-T2 mit einem Feature verheiratet, was so eigentlich nur für Ultra HD vorgesehen war: HEVC (H.265). Der moderne Videocodec verringert die Datenraten bei der Programmverbreitung um bis zu 50 Prozent – ohne sichtbare Qualitätseinbußen beim Bild.

Die deutsche Erfindung nennt sich DVB-T2 HD – auch weil es beim neuen Antennenfernsehen nur noch lineares TV in High Definition-Qualität gibt. Bei den anderen Übertragungswegen hat der Kunde die Wahl zwischen digitalem Standard-TV und HDTV, was oft eine Preisfrage ist: Standard kostet nicht extra (Satellit) bzw. ist im Basispreis drin (Kabel und IPTV), HDTV muss zugekauft werden. Diese Pakete beinhalten vor allem Privatsender – bei ARD, ZDF & Co. ist das in den Gebühren, genannt Haushaltsabgabe, schon drin. Von den anderen Bewegtbild-Angeboten ganz abgesehen: Sky, Amazon Prime Video und Netflix sind eh alle nur kostenpflichtig zu abonnieren.

Antenne künftig nur noch bezahlt

Mit dem Umstieg vom kostenfreien Antennenfernsehen DVB-T auf den modernen Nachfolger DVB-T2 HD entfällt für die deutschen Zuschauer_innen nun die Qual der Wahl. Sie haben schlicht keine mehr, wenn es mehr als nur ein Dutzend öffentlich-rechtliche Programme sein sollen. Insgesamt über 40 HDTV-Sender gibt’s terrestrisch künftig nur noch im Paket für 5,75 Euro im Monat – von einer 3-monatigen Schnupperphase bis Ende Juni abgesehen. Offiziell betrifft der Umstieg nur neun Prozent der über 38 Millionen deutschen TV-Haushalte (also 3,4 Mio), wobei es im Schnitt 1,5 TV-Geräte pro Haushalt gibt. Hauptempfangswege bleiben Satellit (46,5 % = 17,68 Mio) und Kabel (45,9 % = 17,47 Mio). Den Rest teilen sich IPTV wie Entertain von der Telekom und Streaming- bzw. Mobil-TV.

Unter dem Motto „spring oder stirb” wagt das Schlusslicht unter den klassischen Verbreitungswegen also nun einen Modernisierungssprung, dessen Ausgang noch ungewiss ist. Werden die Kunden den Wechsel mitmachen und das neue Angebot annehmen oder wandern sie zu Alternativen ab? Erste Anzeichen sieht der Streaming-Anbieter Zattoo, der zwar in der Basisvariante vordergründig kostenfrei ist, aber real dann doch eine Internet-Flatrate kostet. Die Antennen-Konkurrenz hat über TNS Infratest bei 1.000 Deutschen erfragen lassen, dass hochgerechnet eine halbe Million Betroffene (12,6 %) auf Streaming umsteigen wollen, statt ihren Antennenempfang zu modernisieren. Das heißt, sie konsumieren Audio- und Video-Angebote – auch Radio und Fernsehen – über Internet. Von der Umstellung beim Antennenfernsehen könnten aber auch Kabel und Satellit profitieren. Denn 11,7 Prozent der Befragten würden zum Kabel und 10,8 Prozent zum Satellitenempfang wechseln. Das wird derzeit mit Werbeaktionen der Kabel- und Satellitenanbieter gepusht, die bei genauem Hinsehen entweder Mogelpackungen sind oder „postfaktisch“ argumentieren.

Neue Technik erforderlich

Fakt ist aber, für die die beim Antennenfernsehen bleiben wollen: Die neue, volle DVB-T2 HD-Vielfalt kostet nicht nur 69 Euro Jahres-Abo, sondern erfordert auch neue Heimtechnik. Die alten DVB-T-Empfänger sind Schrott und müssen durch neue geeignete Geräte ersetzt werden (s. Kasten).

Dabei läuft jedoch nicht alles rund. Wie die Deutsche TV-Plattform (DTVP) unlängst in einer Pressemitteilung einräumte, sind bisher nur „rund 15 Prozent der betroffenen Haushalte” vorbereitet. Selbst aktuelle ­Erfolgszahlen von Boxen-Verkäufen können nicht ­darüber hinwegtäuschen, dass die Verbraucher verunsichert sind. Dazu trägt auch die DTVP selbst bei. In ihren jüngsten FAQs wird an einer Stelle behauptet, man habe „über 1200 Gerätemodelle von mehr als 30 Herstellern” zertifiziert und ein paar Absätze weiter wird von „über 40 Herstellern” gesprochen.

Logo in grün entwertet

Der internationale Standard DVB-T2 in Kombination mit HECV (H.265) ergibt den (deutschen) Standard DVB-T“ HD (Antennenfernsehen)

Die vom Verein im Auftrag der Initiative DVB-T2 HD zertifizierten Geräte mit einem grünen Logo sollen „Orientierung für Verbraucher und Handel” bieten. Aber das Problem ist: Solche markierten Geräte tauchen nur bei Fachhändlern wie Expert auf – in Prospekten der Massenmärkte wie Mediamarkt und Saturn sieht man kaum etwas davon. Im Gegenteil: Es gibt Logo-Eigenkreationen der Händler oder das blaue, internationale DVB-T2-Logo. Die Schuld liegt aber nicht bei den großen Handelsketten und ihrer Ignoranz allein – das grüne Logo hat sich selbst entwertet. Eigentlich steht es nur für das besondere deutsche Antennen-TV und hilft den Verbrauchern wenig beim Gerätekauf. Beispiel: Mit solchen Logo-Boxen sind eigentlich nur kostenfreie Sender empfangbar. Wer mehr will, muss noch ein Zusatz­modul kaufen. Dafür haben aber die billigen Zapping-Boxen meist keinen Slot.

Selbst wer für die Entschlüsselung geeignete (integrierte) Boxen kauft, kann nicht sicher sein, dass er dann auch die Mediatheken etwa von ARD und ZDF abrufen kann. Die werden im Standard HbbTV angeboten. Der ermöglicht, dass man im laufenden Programm via Internet die Zusatzdienste bzw. Video-Angebote über den roten Knopf an der TV-Fernbedienung abrufen kann – etwa bei Olympia als eigener Regisseur zwischen den Sportarten wechseln, Tagesschau und heute-Journal oder den verpassten Krimi zu beliebiger Zeit sehen.

Blau-grünes Logo doppelt

Freenet TV-Logo auf stilisiertem freenet TV CI+ Modul

Ok, sagt sich der interessierte Umsteiger: Dann orientiere ich mich eben am zweiten offiziellen Umstiegs-Logo „freenet.tv”. Promotet vom Sendenetz- und Plattformbetreiber Media Broadcast, verspricht das Blau-grüne die volle DVB-T2 HD-Vielfalt und integriert außer DVB-T2 auch HEVC und die kostenpflichtige Entschlüsselung. Klappt bei integrierten Boxen – das Zusatzmodul ist aber nur für Ultra HD-Fernseher geeignet, die HEVC von Haus aus an Bord haben. Wer als Verbraucher denkt, er sei mit „freenet.tv” auf der sicheren Seite, wird da ebenfalls enttäuscht: Die (meist teureren) Boxen können die moderne nichtlineare Bewegtbildnutzung wie HbbTV auch nicht leisten.

Nicht gerüstet für Mobilempfang

Was als Unfreundlichkeit gegen ARD, ZDF & Co. gewertet werden kann, ist aber ein großes Eigentor der Media Broadcast. Die hat schon jetzt bei DVB-T eine HbbTV-basierte Multithek mit Video-Abruf, Apps und gestreamten Sendern. Das wird in DVB-T2 HD fortgesetzt und deshalb gibt’s seit ein paar Wochen nun ein weiteres und damit drittes Logo: „freenet.tv connect”. Bisher weist die Webseite dies nur für eine Samsung-Box aus, aber auch andere können HbbTV – u.a.

HBBTV-basierte Multithek (Video, Apps, Streaming) in DVB-T2 HD

Humax, Kathrein, Schwaiger und einige Technisat-­Boxen. Dazu kommt ein weiteres hausgemachtes Problem von Media Broadcast, die seit 2016 zur freenet AG gehört: Bisher sind keine Sticks oder andere geeignete Technik für den Empfang unterwegs verfügbar, also für Autos, Busse, Boote, Züge bzw. Smartphones, Laptops, Tablets etc. Ein Unding, macht doch schon jetzt bei DVB-T der Mobilempfang 48 Prozent aus, wie der freenet AG-Chef Christoph Vilanek Mitte 2016 verkündete.

Digitales Standard-TV läuft aus

Vier verschiedene Logos, ein mauernder Handel und nur bedingt geeignete bzw. fehlende Empfangstechnik – das Chaos für Verbraucher ist komplett! Doch nicht nur das: Der 29. März 2017 wird – egal ob Umstieg-Erfolg oder -Misserfolg – auch so in die Branchengeschichte eingehen. Als der Tag, an dem die ­Zäsur am deutschen TV-Markt begann. Denn: Auch bei den Hauptverbreitungswegen Kabel und Satellit gibt’s ernsthafte Überlegungen, wie bei der neuen Antenne, das Fernsehen komplett nur noch kostenpflichtig in HDTV anzubieten. Selbst für ARD und ZDF hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) die parallele Verbreitung in beiden Standards nur noch bis Ende 2019 in den Gebühren eingepreist. Und die sind als Rundfunkbeitrag zu zahlen, egal ob man die Programme nutzt bzw. ein Empfangsgerät besitzt. Daneben gibt’s dann künftig Privat-TV nur noch in HD – entweder via „Empfangsentgelt” als Pay light oder als echtes Pay-TV. Ob ab 2020 oder wegen Kartellamts-Kabelauflagen erst ab 2022 – die nahe Zukunft für deutsche Zuschauer heißt also: Alles Bezahlfernsehen!


Alles auf einen Blick

In umfangreichen Web-­Specials finden Interessierte neutrale Informationen zu Empfangsgebieten, Pro­grammen und Geräten sowie Aktuelles und FAQs:

Projektbüro:

www.dvb-t2hd.de

Deutsche TV-Plattform:

www.tv-plattform.de/de/

dvb-t2-hd-einfuehrung

Media Broadcast:

https://freenet.tv/

 

 

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Die Zukunft der Filmförderung

In der morgigen Plenarsitzung des Bundestages wird über die Zukunft der deutschen Filmwirtschaft entschieden, der vom Bundestagsausschuss für Kultur und Medien beschlossene Gesetzentwurf zum Filmfördergesetz (FFG) steht zur Abstimmung auf der Tagesordnung. ver.di begrüßt eine Reform der Filmförderung, denn in Zukunft müssen Filmproduktionen Tarif- und Urheber-Vergütungen verbindlich einhalten.
mehr »

Rundfunkreform mit vielen Fragezeichen

Bis zuletzt hatten die öffentlich-rechtlichen Anstalten auf ein Ende der Blockade einer Beitragserhöhung durch die Ministerpräsidenten der Länder gehofft. Die Verweigerungshaltung der Politik ließ ihnen am Ende keine Wahl: Am 19. November kündigten ARD und ZDF eine Klage beim Bundesverfassungsgericht an, um ihren Anspruch auf die von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) errechnete Empfehlung einer Beitragserhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro monatlich durchzusetzen.
mehr »

Komplett-Verweigerung der Rundfunkpolitik

Nachdem die Ministerpräsident*innen am heutigen Donnerstag zur Rundfunkpolitik beraten haben, zeichnet sich ein düsteres Bild für die öffentlich-rechtlichen Medien, ihre Angebote und die dort Beschäftigten ab. Beschlossen haben die Ministerpräsident*innen eine Auftrags- und Strukturreform und einen ab 2027 geltenden neuer Mechanismus zur Festsetzung des Rundfunkbeitrags. Nicht verabschiedet wurde jedoch der fällige Rundfunkbeitragsstaatsvertrag.
mehr »

KI: Menschen wollen Regeln

Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland sorgen sich einer Umfrage zufolge um die Glaubwürdigkeit der Medien, wenn Künstliche Intelligenz (KI) im Spiel ist. 90 Prozent der Befragten fordern dazu klare Regeln und Kennzeichnungen. Dies ergab eine am Mittwoch in Berlin veröffentlichte Studie der Medienanstalten. Für die repräsentative Erhebung "Transparenz-Check. Wahrnehmung von KI-Journalismus" wurden online 3.013 Internetnutzer*innen befragt.
mehr »