Gedächtnis-Lücke

Die ARD feiert sich in diesem Jahr selbst. Das ist ihr gutes Recht. schließlich hat sie sich, wie ARD-Vorsitzender Peter Voß in der soeben publizierten Festbroschüre „50 Jahre – 50 Daten“ stolz anmerkt, „längst zum Kulturfaktor Nummer eins in Deutschland entwickelt“.

Zweifellos hat sie in den fünf Jahrzehnten ihres Bestehens bundesdeutsche Zeitgeschichte wesentlich mit geprägt: „alle großen Ereignisse, die die Deutschen bewegten, von der Fußball-WM 1954 über die Mondlandung 1969 bis zum Fall der Mauer 1989 sind untrennbar mit dem Namen ARD verbunden“. Den Ruhm der ARD zu mehren hatte sich eine weitere Einrichtung auf die Fahne geschrieben: die Deutsche Mediathek, die geplante Programmgalerie des deutschen Rundfunks. Die Mediathek gibt es noch nicht, sie hat schöne und teure Räume am Potsdamer Platz in der Hauptstadt, aber sie ist eine virtuelle Institution. Und wird es wohl nach Lage der Dinge noch einige Zeit bleiben. Seit zehn Jahren wurde das Für und Wider, das Wie und Warum dieses potenziellen Programmgedächtnisses erörtert. Mal hatten die Öffentlich-Rechtlichen keine Lust, mal die Privaten kein Geld. Unlängst schien der Durchbruch nahe. Die Finanzierung war gesichert, vor allem dank großzügiger Unterstützung des französischen Mischkonzerns Vivendi. Den Franzosen liegt eben viel an der Bewahrung des deutschen Kulturerbes. Internationalen Patriotismus nennt man sowas wohl. Zuletzt ging es nur noch um die Gründung der „Deutschen Mediathek GmbH“. Aber die ARD-Intendanten mochten nicht Gesellschafter werden. Sie wollten allenfalls kooperieren. Das „unternehmerische Risiko“ sei zu groß, hieß es. Das von einem Senderverbund, der für die Senderechte an zweitklassigen Länderspielen ein Mehrfaches der Summe hinlegt, die für die Mediathek anteilig im Jahr benötigt wird. Der Senat von Berlin, zweitgrößter Sponsor des Projekts, schrieb Bittbriefe an Voß, appellierte an die „kulturelle Verantwortung“ des Senderverbundes. Ermutigt durch den Rückzieher der ARD machte auch das ZDF Absetzbewegungen. Man hat viel zu tun. Jubiläumsfeierlichkeiten die einen, Erlebnispark die anderen.

Gefeiert wird auch anderswo. In New York zum Beispiel. Dort zelebriert das Museum of Television & Radio in diesem Jahr den fünfundzwanzigsten Jahrestag seiner Gründung. Die ARD, so fand Voß, sei verpflichtet, auch in Zukunft ihrem in 50 Jahren erworbenen Ruf gerecht zu werden. Welchem Ruf? „Garant zu sein für Qualität, Kompetenz, Glaubwürdigkeit und Fortschritt.“ Und, so fügen wir mit Blick auf die Mediathek hinzu, für Bürokratismus, Knickrigkeit und Provinzialismus

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