Gedrängel im Haifischbecken

Der Hörfunkmarkt in Berlin und seine Besonderheiten

Vor einiger Zeit sah die Welt der elektronischen Medien in Berlin noch etwas anders aus. Im Fernsehen war das Bild recht überschaubar. Es gab sechs TV-Programme, darunter die beiden Ost-Kanäle DDR 1 und 2. Auch auf der Berliner UKW-Skala herrschte nicht eben großes Gedränge. 15 Radio-Sender tummelten sich dort zwar, darunter fünf DDR-Programme und vier „Besatzer“-Sender, aber nur wenige hatten wirklich Resonanz beim Publikum.

Eindeutiger Liebling in der Gunst des Publikums war der Sender Freies Berlin: Seine vier Programme wurden seinerzeit von 65 Prozent der Berliner eingeschaltet. Wer nicht SFB hörte, entschied sich meist für den RIAS, den „Rundfunk im amerikanischen Sektor“. Radiowerbung wurde ausschließlich vom SFB ausgestrahlt.Das war 1984. Seither ist einiges geschehen.

Wohl kaum ein Wirtschaftsbereich wurde in den vergangenen 15 Jahren so radikal umgekrempelt wie der Hörfunkmarkt. Der erste große Einschnitt erfolgte 1987 mit der Zulassung privater Anbieter. Am 1. März 1987 nahm der erste Privatsender in Berlin mit zunächst vier Stunden am Tag den Sendebetrieb auf: Kurioserweise handelte es sich um das linksalternative „Radio 100“. Sechs Wochen später folgte – zunächst auf derselben

Frequenz – der als Froschfunk berühmt gewordene Sender „Hundert,6“ des einstigen Filmemachers Ulrich Schamoni. 1989 ergibt sich schon ein ganz anderes Bild. Da war der SFB bereits auf 33 Prozent der täglichen Reichweite gefallen, überrundet vom RIAS, der – vor allem dank der Pop-Welle Rias 2 – an die 40 Prozent der Hörer auf sich vereinigte. Mit Hundert,6 hatte indes der einzige kommerziell orientierte Privatsender inzwischen die Marktführerschaft übernommen.

„Radio 100“ ist längst Geschichte, während „Hundert,6“ sich nach diversen „Relaunches“ einen respektablen Platz auf dem Berliner Radiomarkt erkämpft hat. Was heute wesentlich schwieriger sein dürfte als noch vor zehn Jahren. Denn im Gefolge des Mauerfalls 1989, dem zweiten großen Einschnitt, ist die Zahl der Sender gewaltig in die Höhe geschossen. Heute buhlen acht öffentlich-rechtliche und 25 private Hörfunkprogramme um die Hörer des Großraums Berlin-Brandenburg. Die Sender balgen sich um einen Markt, auf dem die Bruttoeinnahmen allein zwischen 1991 und 1996 von 70 Millionen Mark auf rund 170 Millionen Mark gestiegen sind. Im gleichen Zeitraum wuchs auch die Zahl der werbefinanzierten Programme von fünf auf 18, während die werbefreien Stationen sich von 13 auf sieben verringerten.

Jobmaschine?

Der Hörfunkmarkt – eine Jobmaschine? Wie man’s nimmt. Andreas Köhn, stellvertretender Landesvorsitzender der IG Medien Berlin-Brandenburg, schätzt, daß in der Region „etwa 4.000 bis 6.000 Menschen“ im privaten Hörfunk Arbeit gefunden haben. Genau einzugrenzen sei dieser

Personenkreis nicht, vor allem, weil feste Arbeitsverhältnisse in der Branche nicht die Regel sind. „Viele arbeiten auf Honorarbasis, andere mit einem Pauschalvertrag, andere wiederum jobben für ständig wechselnde Auftraggeber.“ Miteingerechnet in diese Zahl sind die Mitarbeiter kleinerer Produktionsfirmen, in die die Sender vielfach ganze Tätigkeitsbereiche auslagern. Das gilt vor allem für die Technik. Der kleine christliche Sender „Radio Paradiso“ zum Beispiel läßt seit seiner Gründung 1997 die gesamte Technik von einer externen Firma besorgen. Der Sender selbst fährt ein absolutes Low-Budget-Vollprogramm mit gerade mal sieben Festangestellten, von denen sechs die Redaktion bilden. Radio Paradiso ist zugleich ein Exempel für die Unsicherheit der Jobs in der Branche. Schon ein Jahr nach dem Start drohte der Konkurs, wurden die Verträge der damals noch 21 Festen vorsorglich gekündigt. Jetzt wurschtelt man sich mit einem Viertel des vorherigen Etatansatzes durch.

Zu deutlich abweichenden Beschäftigtenzahlen kommt der Berliner Kommunikationswissenschaftler Klaus Goldhammer in einer Studie, die er 1997 im Auftrage der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) vorlegte. Danach waren 1996 insgesamt 2.982 feste und freie Mitarbeiter im Hörfunk der Region beschäftigt. Diese teilten sich allerdings sehr ungleichgewichtig auf die verschiedenen Sendersysteme auf. Das Gros dieser Mitarbeiter – insgesamt 2.505 – arbeiteten für die acht Hörfunkprogramme von SFB und ORB. Eine Minderheit von 477 war bei den zwölf befragten Privatsendern tätig. Festangestellt waren bei den Öffentlich-Rechtlichen 563 Personen, also rund 70 pro Programm. Bei den Privaten arbeiteten im Schnitt jeweils nur rund 40 Personen pro Sender, davon nur je 23 in Festanstellung. Goldhammer findet diese Diskrepanzen „weder überraschend, noch zu monieren, da die öffentlich-rechtlichen Sender aufgrund ihrer hergebrachten Planstellenstruktur und der im Vergleich zumeist weit höheren Eigenproduktionsquote und der Herstellung personalintensiver Programme nahezu zwangsläufig mehr Mitarbeiter beschäftigen müssen“.

Umgekehrt gilt für die Privaten: Sie versuchen mit möglichst wenig manpower, vor allem mit wenigen Festen, ihre Programme zu fahren, um in Krisenzeiten flexibel reagieren zu können. Wie prekär ihre Jobs sein können, haben vor allem die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von „Hundert,6“ erleben müssen. Die wechselvolle Geschichte des Senders zwischen Marktführerschaft Ende der 80er Jahre, Einbruch nach dem Mauerfall, mißglücktem Formatwechsel Mitte der neunziger Jahre bis hin zur aktuellen Stabilisierung als Newsradio war begleitet von permanenter Mitarbeiterrotation. Allein 1996, als Geschäftsführer Georg Gafron mit seinem Projekt einer Senderfamilie um „Hundert,6“ scheiterte, flogen 80 der 130 Mitarbeiter auf die Straße. „Leise und effizient“, so freute sich Gafron damals, habe man diesen „einmaligen Verschlankungsprozess über die Bühne gebracht“. Leise und effizient – das konnte deshalb funktionieren, weil eine betriebliche Interessenvertretung nicht existiert. Jeder noch so schüchterne Versuch, einen Betriebsrat zu gründen, wurde von der Geschäftsleitung in der Vergangenheit mit Repressalien und Rauswürfen vereitelt. Der wiedergekehrte wirtschaftliche Erfolg – „Hundert,6“ erreichte bei der letzten Media-Analyse mit 81.000 Durchschnittshörern Rang zwei unter den Berliner Sendern – erlaubte es, die Zahl der Mitarbeiter wieder zu erhöhen. Derzeit sind es nach Auskunft von Sprecher Sebastian Manz 148, von denen 65 in der Redaktion, 40 in Technik sowie Sende- und Produktionsleitung, 18 in der Verwaltung, 11 im Marketing und zwei im Bereich „Event“ beschäftigt sind. „Wegen der neuen Gesetzgebung“, so Manz, habe sich die Zahl der freien Mitarbeiter reduziert.

Die Vorgänge bei „Hundert,6“ sind zwar spektakulär, aber durchaus keine Einzelfälle. Im Privatfunk herrscht vielfach das Prinzip „Hire and Fire“. Die Gewerkschaften stehen weitgehend machtlos daneben. Ihre Bemühungen, in den Berliner Privatfunkbetrieben Fuß zu fassen, waren bislang nicht sonderlich erfolgreich. Der Organisationsgrad ist „sehr gering, etwa zwischen 15 und 20 Prozent“, sagt Andreas Köhn. Das hängt zusammen mit der Flexibilität der Arbeitsverhältnisse, sicher aber auch mit der gerade im Privatfunk verbreiteten Jeder-ist-seines-Glückes-Schmied-Ideologie. Wo es schon nicht zur Bildung von Betriebsräten reicht, fällt auch die Durchsetzung tarifvertraglicher Regelungen schwer. Häufig wird von den Geschäftsleitungen mit organisationsrechtlichen Tricks gearbeitet. Beliebt ist das Splitting der Unternehmen in Redaktions- und Produktionsgesellschaften, um bei drohender Pleite mit alter Technik und neuem Personal weitermachen zu können. Nach Angaben von Köhn sind zudem allenfalls die Hälfte der Privatsender Mitglied im Tarifverband der Arbeitgeber in diesem Bereich.

„Haifischbecken“, „Versuchsküche des deutschen Hörfunks“ – die für den Berliner Hörfunkmarkt gefundenen Attribute sind so schillernd wie das Spektrum der hier ausprobierten Formate. Auf der engbesiedelten UKW-Skala finden sich Programme, die die Bedürfnisse der unterschiedlichsten Zielgruppen abdecken: von Urban Dance bis Klassik, vom Inforadio bis zum Weltmusiksender reicht die Palette. Erst in diesem Jahr stieß mit Radyo Metropol FM der erste türkischsprachige Sender außerhalb der Türkei dazu. Goldhammer attestiert in seiner Studie der MABB unter vielfaltspolitischen Gesichtspunkten ein „geglücktes Lizenzierungsmodell“. Dennoch kommt der Verfasser angesichts des zuletzt stagnierenden Werbemarktes zu der Empfehlung, „momentan keine weiteren werbemarktrelevanten Sender zu lizenzieren“. Der Spielraum für Newcomer werde von Mal zu Mal enger. Goldhammer: „Die Sender treten in einen Verdrängungs- und Verteidigungswettbewerb um vorhandene Werbebudgets und Reichweiten, dessen Ende aus heutiger Sicht nicht abzusehen ist.“

Dieser Verdrängungswettbewerb läuft bereits. Denn nach Berechnungen der A.C.Nielsen Werbeforschung haben 1998 die vier führenden Sender allein über 60 Prozent aller in Berlin-Brandenburg ausgegebenen Werbegelder unter sich aufgeteilt. Die letzte MA ergab eine Nivellierung an der Spitze: neben Marktführer Berliner Rundfunk konnten sich „Hundert,6“, „94,3 r.s.2“, „Spreeradio“, „104,6 RTL“ und „Energy“ im vorderen Drittel plazieren. Für kleinere Formatradios, wie „Jazzradio“, „Klassik Radio“ oder „Radio Paradiso“, die nicht in der MA ausgewiesen wurden, dürfte der Spielraum zunehmend enger werden.

Promotionkampagnen für die Media-Analayse

Ende September ist die neue Media-Analyse gestartet. Zeitgleich legten die Sender mit ihren aktuellen Promotionskampagnen los. Gerade die Berliner Radiobranche war lange berüchtigt für ihre leicht irren, tendenziell menschenverachtenden Aktionen im Umfeld der MA-Erhebungen. 1996 etwa bot der damalige Marktführer „104,6 RTL“ seinen Hörern beim – wie es hieß – „beklopptesten Radiospiel der Stadt“ ein frisch renoviertes Badezimmer als Preis an. Als Gegenleistung war den Teilnehmern aufgetragen worden, live und möglichst laut ihre alten Kacheln von der Wand zu schlagen. Da es keine Gewinngarantie gab, demolierten einige Hörer ihr Bad völlig sinnlos. 1997 ließ der aktuelle Marktführer „Berliner Rundfunk“ im Rahmen der Aktion „Tankrausch“ kostenlos Benzin ausschenken. Freilich nur an diejenigen Autofahrer, die den Sender auf der ersten Stationstaste ihres Autoradios programmiert hatten. Das Ergebnis war ein veritables Verkehrschaos vor den betreffenden Tankstellen. Zuweilen ist ein „Event“ gar Bestandteil des Arbeitsvertrages. Im vergangenen Jahr stürzte sich „r.s.2“-Moderator Jochen Trus mit seinem Fallschirm aus 3.000 Metern in die Tiefe. Um den Nervenkitzel „funkisch“ rüberzubringen, moderierte Trus seinen freien Fall live für die Hörer des Senders. In einer Klausel seines Vertrags hatte der Moderator gelobt, binnen kürzester Zeit seinen – und damit des Senders – Bekanntheitsgrad gewaltig zu steigern. Im Berliner Äther kann die Luft ganz schön dünn werden.

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